Das hat gedauert. Nachdem die erste Staffel "Weissensee" 2010 vom Publikum mit bis zu 5,68 Millionen Zuschauern gefeiert wurde, gab die ARD augenblicklich eine zweite Staffel in Auftrag. Die beiden Fernsehpreise 2011 für "Beste Serie" und "Bester Schauspieler" (Jörg Hartmann) war eine nachträgliche Bestätigung für diese kluge Entscheidung.

Dann das Dilemma: Obwohl die bereits Ende 2011 vollendete zweite Staffel die versammelten ARD-Verantwortlichen bei der Abnahme so rührte, "dass sie Rotz und Wasser geheult haben" (Regisseur Friedemann Fromm), fanden die Planer keinen Platz im Programmschema. Im ganzen Jahr 2012 nicht. Schließlich erschien im März 2013 die DVD.
Und ein TV-Ausstrahlungstermin? Wohl im Herbst. Wer nicht noch ein halbes Jahr auf die eventuelle Fortsetzung der spannenden Familiengeschichte warten wollte, kaufte sich also zähneknirschend die DVD und bezahlte das gebührenfinanzierte Großprojekt damit ein zweites Mal. Schwer einzusehen.

Jetzt endlich kommt sie also, die Fortsetzung der Geschichte um die Familien Kupfer und Hausmann in der DDR von 1987. Und um es gleich vorwegzunehmen: Das Warten hat sich gelohnt. Die neuen sechs Folgen sind genauso packend wie die der ersten Staffel.

Falk Kupfer, der gnadenlose Stasibeamte, wird noch schizophrener. Er erpresst vormittags Geständnisse und ringt nachmittags in der Paartherapie um seine Frau. Auf den Straßen regt sich Widerstand gegen die rigide Staatsführung, kritische Flugblätter tauchen auf, spontane Demonstrationen überraschen die Ordnungshüter.

Wie begegnet man den Aufmüpfigen? Hans Kupfer glaubt an Glasnost, die neue Politik der Offenheit, die Michael Gorbatschow seit zwei Jahren in der Sowjetunion durchsetzt. Das versucht er auch dem Stasinachwuchs zu vermitteln, den er schult. Kupfers Kollegen allerdings glauben eher an immer perfidere Spionagemethoden und erzieherische Härte. Die Rolle der Kirche wird über die Figur des kämpferischen Pfarrers Robert Wolff erzählt, gespielt von Ronald Zehrfeld, dem prominentesten Neuzugang im erneut grandiosen "Weissensee"-Ensemble.

Auch ein Thema: Doping im Sport

Stasi, Glasnost, Friedensbewegung - welche Relevanz hat das 2013? "Ich glaube, dass DDR-Geschichte gesamtdeutsche Geschichte ist", sagt Friedemann Fromm, der auch Autor der zweiten Staffel ist. "Da sind 17 Millionen Menschen, die einen massiven Bruch in der Biografie haben. Das verändert ein Land."

Doch es habe auch einen Zugewinn sogenannter "Soft Skills" gegeben. "Die Fähigkeit zur Improvisation, mit einem gewissen Witz auf den Alltag zu sehen, mit Widrigkeiten umgehen - das sind alles Qualitäten, die erst nach und nach durchkamen."

Wenn man sich Randthemen der Serie wie Zwangsadoption, Westkredite und besonders Doping im Leistungssport ansieht, werden die Verbindungen zwischen West- und Ostdeutschland und auch die Brücke in die Jetztzeit noch deutlicher. Erst im Mai enthüllte der "Spiegel", in welchem Umfang westdeutsche Pharmaunternehmen Medikamententests in der DDR durchführten: mehr als 600 Arzneimittelversuche. Meist ohne Wissen der Betroffenen. Aber immer gegen harte Westdevisen.

Der im August veröffentlichten Studie der Berliner Humboldt-Universität nach wurde auch in der Bundesrepublik spätestens seit Beginn der 70er-Jahre systematisch gedopt, mit staatlicher Hilfe, so ähnlich wie in der DDR - und mit ähnlichen gesundheitlichen Spätfolgen für die Athleten.

DDR - Staatsführung auf Kredit

"Mit dem Mauerfall kam auch heraus, wie marode der Staat DDR war", erklärt Fromm. "Man hat Westwaren nachgeahmt, um die Leute ruhigzustellen, ihnen ein kleines privates Glück zu ermöglichen, damit sie die Schnauze halten. Alles auf Pump." Der Staat sei letztlich sehr schnell zerbrochen. "Das System war in sich völlig hohl."

Werden wir diese Episode deutscher Geschichte auch im "Weissensee"-Gewand sehen? Ja, sagt Friedemann Fromm, eine dritte Staffel sei beschlossen. "Die setzt mit dem Mauerfall ein. Wir erzählen die Zeit direkt danach, als für einen kurzen Moment alles hätte passieren können." Im Herbst 2014 sollen die Dreharbeiten beginnen. Ein Ausstrahlungstermin ist noch nicht bekannt. Geduld mit der Serie haben wir ja jetzt geübt.

Frank I. Aures

Weissensee
DI 17.9. Das Erste 20.15 Uhr

"Universelle Typen" - Interview mit Florian Lukas

In "Weissensee" ist er Martin Kupfer, ein systemtreuer Polizist, den die Liebe zu Julia, Tochter der oppositionellen Sängerin Dunja Hausmann, staatliche Repression spüren lässt. Florian Lukas (40) wird auch in "Weissensee III" mitspielen.

TV SPIELFILM: Die Frequenz der Schicksalsschläge ist in "Weissensee" so hoch wie in einer Daily Soap. Trotzdem ist die Geschichte glaubhaft und ergreifend. Wie geht das?

FLORIAN LUKAS (lacht) Ich kann es mir auch nicht erklären. Es liegt wohl daran, wie es inszeniert ist. Friedemann Fromm macht das sehr vorsichtig und zurückhaltend. Zu manchen Sätzen musste er mich überreden, weil die im Drehbuch so kitschig wirkten. Sie haben dann aber tatsächlich funktioniert.

Was haben die dargestellten DDR-Geschehnisse von 1988 mit uns heute zu tun?

FLORIAN LUKAS Die Typen, die da gezeigt werden, sind doch universell. Es setzen sich immer die gleichen Leute durch. Weil sie besonders rücksichtslos sind. Und in Kauf nehmen, dass andere auf der Strecke bleiben. Es gab sie in der DDR beim Geheimdienst, es gibt sie heute in vielen Wirtschaftsunternehmen.

Wenn man das weiterdenkt... Kann man gar nichts lernen aus der Geschichte?

FLORIAN LUKAS Ich weiß nicht. Die Banker können heute scheinbar machen, was sie wollen. Wie will man die stoppen? Oder die Geheimdienste? Wir verstehen ja nicht mal, was die überhaupt tun. Dagegen scheint mir die Stasi geradezu niedlich. Rührend!

Waren 1988 viele so systemkritisch wie in Weissensee gezeigt? Oder eher gar nicht interessiert an Politik?

FLORIAN LUKAS Das weiß ich nicht. Ich war 1988 erst 13 Jahre alt. Ich habe erst später verstanden, dass da was nicht in Ordnung war. Als Kind nimmt man es als völlig selbstverständlich hin, dass eine Mauer mitten durch die Stadt läuft.

"Weissensee" wartete Jahre auf die Ausstrahlung. Fans mussten sich mit der DVD trösten. Muss frustierend sein für Sie.

FLORIAN LUKAS Nein. Ich habe einfach keinen Einfluss darauf. Das ärgert mich als Schauspieler schon lange nicht mehr. Als Gebührenzahler schon. Du bist gezwungen, ein Produkt zu kaufen, gehst in den Laden, weil du es nun haben willst, bekommst es aber nur, wenn du noch mal bezahlst. Ist doch eigenartig.

Frank I. Aures