10. Personal Shopper

Entfremdung vom Job, Umgang mit Trauer und die große Einsamkeit in einer vernetzten Welt sind die Themen in diesem diskreten Film von Olivier Assayas ("Die Wolken von Sils Maria"), der in Cannes mit dem Regiepreis geehrt wurde. Kristen Stewart spielt eine in Paris lebende persönliche Assistentin, die für die Reichen und Schönen dieser Welt Luxuseinkäufe erledigt. In einer anderen Welt, dem Jenseits, befindet sich ihr Zwillingsbruder, der vor kurzem verstorben ist. Mit ihm versucht sie in Kontakt zu treten... Die moderne Geistergeschichte, die sich daraus entspinnt, erfüllt keine Erwartungen, die viele an modernes Horrorkino stellen. Dem feinsinnigen ehemaligen Filmkritiker Assayas geht es eher um einen philosophischen Gegenwartsbefund, die Suche nach Spiritualität in einer beschleunigten Welt und Identitätsfindung. (Uwe Jonasson)

9. Aus dem Nichts

Spätestens seit Fatih Akins "Gegen die Wand" weiß der Zuschauer, dass dieser Mann ein Faible für explizite Bildern und unberechenbare Hauptfiguren hat. Auch seine aktuelle Muse Diane Kruger bleibt in dem dreigeteilten Rachedrama bis zum Schluss ein Mysterium. Gott sei Dank, denn so wird "Aus dem Nichts" zu einem ungezähmten Biest von Film, das einen am Ende erschaudert in die Ecke pfeffert. (Maximilian Fischer)

8. Get Out!

Der abgelegene Landsitz erinnert mit seinen herrschaftlichen, weißen Säulen an eine Südstaatenplantage, die dort ansässige weiße Familie an sorglos, spießige Wohlstandsbürger. An einem Wochenende empfangen sie ihre Tochter und deren Freund, den afroamerikanischen New Yorker Fotograf Chris Washington (Daniel Kaluuya). So harmlos dieses Story-Set-up anfänglich wirkt: ein bizarrer, mitreißend inszenierter Horrortrip wird daraus. Regisseur Jordan Peele stellt aus Mystery-, Horror- und Staire-Elementen einen Genre-Mix zusammen, der am Ende stürmisch in einen blutigen Überlebenskampf mündet. Alles erlebt der Zuschauer aus den Augen des Opfers, dem Afroamerikaner. Die Manipulation schwarzer Männer durch weiße Frauen und das Versklaven des schwarzen Körpers, aber auch der subtile, versteckte Rassismus in amerikanischen Vorstädten ist Gegenstand von Peeles unerschrockenem Realismus. Get Out ist ungewöhnlich, intelligent und herausfordernd und das Wichtigste: Er ist relevant. (Steven Sowa)

7. La La Land

Modernen Musical-Filmen haftet oft ein altbackener Wunsch nach nostalgischer Reinkarnation an. Doch "La La Land" ist gleichzeitig altmodisch und (post-)modern. Damien Chazelle präsentiert die glorreiche Rückkehr des Kino-Musicals als intelligente Hommage an die Goldene Ära des Genre, die Musicals der 50er von Gene Kelly, Stanley Donen und Vincente Minnelli. Chazelle betrachtet sie aber durch die Augen von Jacques Demy ("Die Regenschirme von Cherbourg") was "La La Land" trotz aller Hommage zu einem sehr modernen Film macht und in einem der besten Schlussmomente der neueren Filmgeschichte mündet. Dazu noch Ryan Gosling und Emma Stone auf dem Höhepunkt ihres Könnens: Eine stärkere Geschichte hatte das Kinojahr 2017 nicht zu bieten. (Michael Hille)

6. Hell or High Water

Wer diesen modernen Western aus einem wirtschaftlich und moralisch bankrotten Amerika gesehen hat, muss sich nicht über die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten wundern. Zwei abgehängte texanische Brüder (Chris Pine, Ben Foster) nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und überfallen die Banken, die sie auspressen. Auf die Jagd nach den Brüdern macht sich der knorrige Ranger Jeff Bridges, mit seinen liebevoll gemeinten, aber "politisch unkorrekten" Witzen über seinen indianischen Partner selbst ein wandelnder Anachronismus. Mit Musik von Nick Cave und einer der stärksten Dialogzeilen der jüngeren Filmgeschichte: "Mein ganzes Leben war ich arm, genauso wie meine Eltern und meine Großeltern. Das ist wie eine Krankheit, wird weitergegeben von Generation zu Generation". (Sebastian Milpetz)

5. Dunkirk

Aufgrund der zersplitterten Erzählweise kann man Christopher Nolans historisches Kriegspanorama um die Rettung eingekesselter britischer Soldaten etwas spröde finden. Auch wenn es Momente des Heroischen gibt, stehen sie nicht wirklich im Erzählinteresse des Regisseurs. Dem ist es wichtiger in kalkulierter szenischer Folge die Ohnmacht des Einzelnen, den Überlebenskampf inmitten der Höllenmaschinerie Krieg zu zeigen. In "Dunkirk" sehen wir einen perfektionistischen Regisseur auf der Höhe seiner Kunst. Jeder gewählte Bildausschnitt, jeder Szenenaufbau, jede Choreographie der Figuren erzählt hier vom Formbewusstsein eines klugen Gestalters, dessen Vorstellung vom Kino dem Großmeister Stanley Kubrick nicht gerade wenig verdankt. (Holger Lübkemann)

4. Moonlight

Es ist natürlich unfair, zwei Filme mit völlig unterschiedlicher Stoßrichtung zu vergleichen, aber durch das Oscar-Duell, gekrönt von der Panne bei der Verleihung des besten Films, kommt man kaum darum herum, "Moonlight" mit "La La Land" abzugleichen. Und erst wenn man "Moonlight" gesehen hat, merkt man, dass es bei dem Musical doch nur um First World Problems geht. Bei Barry Jenkins geht es hingegen um Menschen, die nichts, aber auch gar nichts zu träumen haben. Er erzählt in drei Kapiteln die Coming-of-Age-Geschichte eines afroamerikanischen Jungen. Wir begegnen Chiron erst als unsicherem Zehnjährigen auf der Suche nach einer Vaterfigur, dann als Teenager, der seine Liebe für einen Kumpel entdeckt und schließlich als Drogendealer mit muskelbepacktem Körperpanzer. "Moonlight" ist ein Meisterstück des poetischen Realismus, mit subtiler Metaphorik und stillen, aber kraftvollen Momenten fernab von Elendsklischees oder Ghetto-Romantik. (Sebastian Milpetz)

3. Manchester by the Sea

Wie eine kleine Unachtsamkeit, ein kurzer Kontrollverlust ein ganzes Leben auf den Kopf stellen kann, diese Frage beschäftigte Regisseur und Drehbuchautor Kenneth Lonergan bereits im kraftvollen Trauerdrama "Margaret" von 2011 - und ist auch die Prämisse für sein stilles, aber wuchtiges Meisterwerk "Manchester by the Sea". Casey Affleck (Oscar!) brilliert darin als von schrecklicher Schuld gepeinigte Seele, neben ihm glänzen Michelle Williams und Lucas Hedges. Wer hier nicht heult, ist bereits versteinert. (Kay Borowietz)

2. Blade Runner: 2049

Atmosphärische Bilder mit Sogwirkung, Farbkontraste aus einer anderen Dimension, omnipräsenter Staub und Kamerafahrten so elegant und bestechend, dass ganze Generationen Roger Deakins nacheifern werden: "Blade Runner: 2049" ist eine intensive Massage der Sinne. Die Fortsetzung des Science-Fiction-Klassikers von 1982 stellt seinen Helden, den Blade Runner K (Ryan Gosling), ins Zentrum seines post-apokalyptischen Szenarios und der Frage: Was macht den Menschen zum Menschen? Nach Ridley Scott ist es im Jahr 2017 nun der kanadische Filmemacher Denis Villeneuve, der aus dem dystopischen Weltentwurf von Autor Philip K. Dick ("Träumen Androiden von elektrischen Schafen?") einen Film erschafft. Und wie er das schafft: Nicht nur die einzigartigen Schauwerte dieser trostlos, kaputten Zukunft ziehen den Zuschauer in den Bann. Vor allem ist Villeneuve ein politischer Regisseur und schafft es, dem Originalfilm von Ridley Scott eine zentrale neue Frage hinzuzufügen: Welche Form der Rebellion muss der Mensch wählen, um die zunehmende Entfremdung von seiner Welt wirksam zu bekämpfen? Die Antwort fällt, wie immer bei Villeneuve, zweideutig, aber dafür nicht weniger brillant aus. (Steven Sowa)

1. The Square

Kein Film brachte 2017 den Zeitgeist so treffend auf den Punkt wie die Kunstmarktsatire von Ruben Östlund ("Höhere Gewalt"). Lustvoll piekt der Schwede mit seinem Film über einen eitlen Kurator (Claes Bang), dem durch ein Handydiebstahl sein Leben entgleitet, in die scheinheilig-liberale Blase der Kunstwelt, die als gesellschaftliches Engagement verkauft, was doch vor allem aufmerksamkeitsträchtige Ware ist. Mit diabolischem Witz hinterfragt der Regisseur und ehemalige Installationskünstler den Anspruch der Kunst, die Welt zu verändern. Unter der zivilen, "politisch korrekten" Oberfläche sind wir Menschen nur Herdentiere, die instinktiv Reißaus nehmen wenn es ernst wird. Diese These, die Östlund bereits in "Höhere Gewalt" vertrat, muss man nicht teilen, aber man muss den Träger des Europäischen Filmpreises dafür bewundern, wie konsequent und virtuos er sie in unvergesslichen Szenen durchspielt. Alleine die Sequenz mit dem "Planet der Affen"-Schimpansen-Choreograf Terry Notary als radikalem Performancekünstler, der mit der Frage "Was darf Kunst" wirklich ernst macht, sichert "The Square" einen Platz in der jüngeren Filmgeschichte. (Sebastian Milpetz)