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Ski-Legende Franz Klammer im Interview

"Die Streif ist wie Rodeo"

Die Streif ist wie Rodeo
2014 war der Österreicher Hannes Reichelt sogar mit Bandscheibenvorfall der Schnellste auf der Streif Planet Watch

Vor der 75. Auflage des Ski-alpin-Klassikers auf der Streif am 24. Januar (ZDF, 11.40 Uhr): Österreichs Ski-Idol Franz Klammer über die berühmteste Abfahrt der Welt, den Mut der Fahrer - und das Risiko, vom Berg abgeworfen zu werden.

Den letzten großen Wie-war-das-damals-Inter­viewmarathon absolvierte der viermalige Streif-Sieger Franz Klammer anlässlich seines 60. Geburtstags vor einem Jahr. Jetzt ist Österreichs Kaiser Franz, mit insgesamt 25 Weltcupsiegen der beste Abfahrer aller Zeiten, wieder im Dienste "seines" Rennens unterwegs. Diesmal, um für den Dokumentarfilm "Streif - One Hell of a Ride" zu werben, der am 15. Januar pünktlich zur 75. Auflage des Ski-alpin-Klassikers ins Kino kommt.
TV SPIELFILM: Herr Klammer, wie viele Interviews haben Sie in den letzten 30 Jahren gegeben, in denen es nicht um den "Mythos Streif" und Ihre vier Siege dort ging?
FRANZ KLAMMER: Sehr wenige. (lacht) Aber die Streif ist neben dem Olympiasieg 1976 in Innsbruck ja auch der Mittelpunkt meiner Karriere als Skifahrer.

TV SPIELFILM: Und? Mögen Sie noch?
FRANZ KLAMMER: Aber ja. Ich werde wohl nie müde, über diese Sache zu reden. Ich rede sogar gerne darüber.

TV SPIELFILM: Wie schön, denn auch der Film versucht diesen Mythos zu ergründen. Nur gelingt es keinem der befragten Protagonisten, Sie eingeschlossen, das Besondere so recht in Worte zu fassen. Warum fällt das so schwer?
FRANZ KLAMMER: Ein Mythos ist halt schwer zu beschreiben. Für den Läufer baut er sich auf, lange bevor er das erste Mal oben im Starthaus steht. Man hört: Kitzbühel? Brutal! Kitzbühel? Schwierig! Man hofft als junger Bursche, dass man das irgendwann mit eigenen Augen sieht - und wenn man tatsächlich dort ist, schockiert es einen, weil es eigentlich die Vorstellungskraft übersteigt. Hinzu kommt: Man kann die Streif nicht trainieren. Es steht nirgends eine Mausefalle auf dem Trainingsplan. Oder eine Steilhangausfahrt. Man muss schauen, dass man das irgendwie zusammenbringt.

TV SPIELFILM: Wie war das bei Ihnen, als Sie zum ersten Mal in Kitzbühel gestartet sind?
FRANZ KLAMMER: Ich hatte mächtig Angst. Die müssen verrückt sein, habe ich gedacht. Nehmen wir dagegen mal die Abfahrt in Gröden - da fährt ein halbwegs guter Skifahrer runter, sagt: Gröden? Das kann ich auch. In Kitzbühel weiß er: Das kann ich nicht! Für einen normalen Menschen ist das nicht machbar. Auch das gehört zum Mythos.

TV SPIELFILM: Wie unterscheidet sich das heutige Rennen auf der Streif von dem, was Sie in den 70er- und 80er-Jahren dort erlebt haben?
FRANZ KLAMMER: Als ich das erste Mal dort war, war die Strecke viel schmaler. Es gab keine Sicherheitsnetze, stattdessen Strohballen. Die Piste war extrem unruhig und wellig - weil man sie zwischendurch mit den Schuhen platt getreten und mit Wasser vereist hatte. Heute hat man von oben bis unten etwa einen halben Meter Schneehöhe, immer gleich. Kleine, natürliche Bodenwellen sind selten geworden, bringen die Fahrer heute nicht mehr so aus der Balance.

TV SPIELFILM: Die Fahrer rasen heute bestens ausgerüstet auf gut präparierter Piste talwärts, dafür aber auch schneller: War das Risiko zu Ihrer Zeit trotzdem größer?
FRANZ KLAMMER: Sagen wir so: Skifahren ist seither nicht gefährlicher geworden. Aber in jeder Ära von den Fünfzigern über die Siebziger bis heute sind die Fahrer immer ans Limit gegangen. Definiert durch Material und Pistenverhältnisse.

TV SPIELFILM: Seit Januar dürfen die Athleten bei Weltcuprennen eine Art Airbag auf dem Rücken tragen, hinzu kommen viele Protektoren, die Fangnetze: Welche Schul­note würden Sie den Sicherheitsmaßnahmen geben?
FRANZ KLAMMER: Zwischen Eins und Zwei. Es wird wirklich getan, was machbar ist. Nur: Man gibt den Fahrern das Gefühl von einer Sicherheit, die nicht da ist, nicht da sein kann. Wenn ich 150 km/h fahre, dann ändert kein Fangnetz der Welt etwas daran, dass das gefährlich ist. Aber die Burschen fahren ja freiwillig oben weg. Ich glaube, wenn man sich der Gefahr bewusst ist, hat man auch kein Problem mehr damit.

TV SPIELFILM: Hans Grugger, der 2011 einen schweren Trainingssturz in der Mausefalle nur mit viel Glück überlebte, sagt im Film: "Ich bin dankbar, dass mich die Streif am Leben gelassen hat" - wie eng ist eigentlich die Beziehung zwischen Skirennläufer und Berg?
FRANZ KLAMMER: Schon sehr eng. Ich versuche den Berg zu bewältigen - und der Berg versucht mich abzuwerfen. Die Streif ist wie ein Rodeoritt!

TV SPIELFILM: Für einen Tag auf der Skipiste mit Franz Klammer sollen Geschäftsleute 12 000 Euro zahlen. Ist der Skipass da schon inklusive?
FRANZ KLAMMER: Nein. (lacht)

TV SPIELFILM: Wie oft machen Sie das?
FRANZ KLAMMER: Ich fahre 50 bis 60 Tage Ski im Jahr, mache dabei aber auch Werbung für Kärnten, gehe mit Journalisten Ski fahren. Ich muss das ein bisschen limitieren. Man kann nicht mit Kunden Ski fahren, wenn man müde und nicht hundertprozentig bei der Sache ist.

TV SPIELFILM: Über die Jahrzehnte hat sich Kitzbühel zu einer Art Oktoberfest im Schnee entwickelt. Was halten Sie davon?
FRANZ KLAMMER: Das ist ganz okay. Solche Entwicklungen lassen sich auch gar nicht aufhalten. Viele Leute kommen heute halt nach Kitzbühel, um das Fest in der Altstadt zu genießen. Skifahren findet für die nur am Rande statt. Dennoch bleibt das Hahnenkammwochenende das Aushängeschild des Skisports.

Frank Steinberg