Der Winter begann für die deutschen Skispringer mit einigen Überraschungen: In Klingenthal und Kuusamo war dafür in erster Linie der Wind verantwortlich, auf der Großschanze in Lillehammer dann Severin Freund, der Weltmeister Anders Bardal mit zwei weiten Sätzen überflügelte und den ersten Weltcupsieg der noch jungen Olympiasaison holte.
TV SPIELFILM: Herr Thoma, gleich das erste Weltcupspringen des Olympia-Winters in Klingenthal hat für Diskussionen gesorgt: War die Verweigerung von Gregor Schlierenzauer und Anders Bardal aufgrund der Windverhältnisse aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Dieter Thoma: Nach fünf Stunden Warten ist das Nervenkostüm auch bei den besten Springern der Welt irgendwann mal am Ende. Da muss man mit Logik und auch aus dem Bauch heraus die richtige Entscheidung treffen. Gerade in einer Olympiasaison kann ich die Entscheidung absolut nachvollziehen.
TV SPIELFILM: Herr Thoma, gleich das erste Weltcupspringen des Olympia-Winters in Klingenthal hat für Diskussionen gesorgt: War die Verweigerung von Gregor Schlierenzauer und Anders Bardal aufgrund der Windverhältnisse aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Dieter Thoma: Nach fünf Stunden Warten ist das Nervenkostüm auch bei den besten Springern der Welt irgendwann mal am Ende. Da muss man mit Logik und auch aus dem Bauch heraus die richtige Entscheidung treffen. Gerade in einer Olympiasaison kann ich die Entscheidung absolut nachvollziehen.
TV SPIELFILM: Schwierige Windverhältnisse gehören oft zum Skispringen dazu - besteht die Gefahr, dass Veranstaltungen zu spät abgebrochen werden?
Dieter Thoma: Es gibt einfach einen gewissen Prozentsatz von Wettkämpfen, die grenzwertig sind. Das habe ich in meiner aktiven Zeit auch erlebt. Ich bin 1997 in Lahti einmal vom Anlauf wieder runtergestiegen, als Andreas Goldberger vor mir schwer gestürzt war. Der Wettkampf sollte trotz des Sturzes weitergehen und ich musste mich entscheiden.
Selbst der Trainer hätte mich springen lassen, aber ich hatte damals schon fünf oder sechs Knieoperationen hinter mir und habe mich gefragt: Gehe ich das Risiko ein und lande vielleicht schon wieder im Krankenhaus? Im Endeffekt ist es so, dass es bei solchen Bedingungen immer schwierig ist, über Abbruch oder Fortsetzung des Wettkampfs zu entscheiden. Da gibt es immer unterschiedliche Blickwinkel und Bedürfnisse.
TV SPIELFILM: Sie waren zum damaligen Zeitpunkt ein sehr erfahrener und erfolgreicher Springer. Für junge Athleten dürfte eine Verweigerung noch weit schwieriger sein...
Dieter Thoma: Nach mir war Primoz Peterka dran, damals 18 Jahre alt. Er führte im Gesamtweltcup, ich war Zweiter und Goldberger Dritter.
Die Windverhältnisse waren katastrophal, aber als ich ihn fragte, ob er mit runterkomme, sagte er: "Der Trainer sagt nichts, ich muss springen." Das Lustige war, als ich damals runterkam, da haben mir die anderen Trainer gratuliert zu der Courage, die ich gezeigt hatte. Aber der eigene Trainer war sauer, dass ich nicht gesprungen bin. Ich habe zu den anderen Trainern gesagt: Leute, ihr gratuliert mir für meine Courage, aber lasst eure Athleten springen. Was für eine Doppelmoral ist das denn?
TV SPIELFILM: Sie beobachten die Arbeit des aktuellen Bundestrainers Werner Schuster seit Jahren. Wie beurteilen Sie die Entwicklung, die die deutschen Skispringer unter ihm durchgemacht haben?
Dieter Thoma: Ich sehe eine sehr fleißige, professionelle, qualitativ hochwertige Entwicklung im technischen, körperlichen und auch psychischen Bereich. Werner Schuster ist klug bei seinen Entscheidungen, er bespricht sich mit den Co-Trainern, wertschätzt sie und lässt sie wirken. Das sind ja oftmals die Trainer, die mit den Athleten zu Hause arbeiten. Ich vergleiche den Bundestrainer deshalb gerne mit der Bundeskanzlerin.
Die kann ja auch nicht in jedem Ministerium alles machen und überall sein. Die braucht Leute, denen sie vertraut und die sich dann um die jeweiligen Belange kümmern. So ist das auch mit den Trainern, die in den Stützpunkten mit ihren Athleten arbeiten. Tag für Tag. Ich glaube, dass sich unter dem Bundestrainer ein großes Miteinander statt eines Gegeneinanders entwickelt hat. Zugleich ist Schuster aber auch meinungsstark und dabei immer wohl überlegt, bleibt neugierig und lernfähig.
Das ist besonders jetzt wichtig, weil wir aktuell sechs, mit dem derzeit verletzten Richard Freitag sogar sieben Athleten haben, die sehr gut springen. Das richtige Quartett fürs Team zu nominieren, dürfte in diesem Winter keine leichte Aufgaben werden: Es geht um Olympische Medaillen, da will natürlich jeder im Team sein.
TV SPIELFILM: In den letzten Jahren stand am Ende der Vierschanzentournee immer ein Österreicher ganz oben auf dem Treppchen. Beginnt die Dominanz langsam zu wackeln?
Dieter Thoma: Ich will nicht sagen, dass die Österreicher in diesem Jahr nicht so gut drauf sind - die ersten Springen liefen für sie alles andere als glücklich. Ich bin überzeugt, dass sich Qualität immer durchsetzt und die hat sich merklich bei den deutschen Skispringer verbessert. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich das auch in Wettkämpfen nachhaltig niederschlägt.
TV SPIELFILM: Aber es braucht eine Art Initialzündung?
Dieter Thoma: Deshalb ist es auch gut, wenn junge Typen wie Andreas Wellinger oder Marinus Kraus auftauchen, die nicht groß nachdenken, einfach unbekümmert springen, weil es ihnen riesigen Spaß macht. Nach dem Motto: Ich habe gut trainiert, bin fit - jetzt hole ich mir den Erfolg.
TV SPIELFILM: Eine Unbeschwertheit, die Severin Freund mit seinen 25 Jahren nicht mehr hat?
Dieter Thoma: Das würde ich nicht sagen. Severin ist ein TOP Athlet, aber er merkt sicherlich, dass es anders ist hochzukommen als oben zu bleiben. Obwohl man als Sportler das nicht wahrnehmen möchte, steigt der Druck automatisch. Wie Michael Uhrmann scheint er bei Großereignissen bis jetzt die "vierten Plätze" beerbt zu haben. Dieses Image, ganz knapp am Podest vorbei zu springen, will und wird er hoffentlich hinter sich lassen.
Frank Steinberg
Vierschanzentournee
Auftakt: SO, 29.12., Das Erste, ca. 16:15 Uhr
MI, 1.1., ZDF, ca. 13:45 Uhr
SA, 4.1., EUROSPORT, ca. 14:00 Uhr
MO, 6.1., ZDF, ca. 14:25 Uhr
Dieter Thoma: Es gibt einfach einen gewissen Prozentsatz von Wettkämpfen, die grenzwertig sind. Das habe ich in meiner aktiven Zeit auch erlebt. Ich bin 1997 in Lahti einmal vom Anlauf wieder runtergestiegen, als Andreas Goldberger vor mir schwer gestürzt war. Der Wettkampf sollte trotz des Sturzes weitergehen und ich musste mich entscheiden.
Selbst der Trainer hätte mich springen lassen, aber ich hatte damals schon fünf oder sechs Knieoperationen hinter mir und habe mich gefragt: Gehe ich das Risiko ein und lande vielleicht schon wieder im Krankenhaus? Im Endeffekt ist es so, dass es bei solchen Bedingungen immer schwierig ist, über Abbruch oder Fortsetzung des Wettkampfs zu entscheiden. Da gibt es immer unterschiedliche Blickwinkel und Bedürfnisse.
TV SPIELFILM: Sie waren zum damaligen Zeitpunkt ein sehr erfahrener und erfolgreicher Springer. Für junge Athleten dürfte eine Verweigerung noch weit schwieriger sein...
Dieter Thoma: Nach mir war Primoz Peterka dran, damals 18 Jahre alt. Er führte im Gesamtweltcup, ich war Zweiter und Goldberger Dritter.
Die Windverhältnisse waren katastrophal, aber als ich ihn fragte, ob er mit runterkomme, sagte er: "Der Trainer sagt nichts, ich muss springen." Das Lustige war, als ich damals runterkam, da haben mir die anderen Trainer gratuliert zu der Courage, die ich gezeigt hatte. Aber der eigene Trainer war sauer, dass ich nicht gesprungen bin. Ich habe zu den anderen Trainern gesagt: Leute, ihr gratuliert mir für meine Courage, aber lasst eure Athleten springen. Was für eine Doppelmoral ist das denn?
TV SPIELFILM: Sie beobachten die Arbeit des aktuellen Bundestrainers Werner Schuster seit Jahren. Wie beurteilen Sie die Entwicklung, die die deutschen Skispringer unter ihm durchgemacht haben?
Dieter Thoma: Ich sehe eine sehr fleißige, professionelle, qualitativ hochwertige Entwicklung im technischen, körperlichen und auch psychischen Bereich. Werner Schuster ist klug bei seinen Entscheidungen, er bespricht sich mit den Co-Trainern, wertschätzt sie und lässt sie wirken. Das sind ja oftmals die Trainer, die mit den Athleten zu Hause arbeiten. Ich vergleiche den Bundestrainer deshalb gerne mit der Bundeskanzlerin.
Die kann ja auch nicht in jedem Ministerium alles machen und überall sein. Die braucht Leute, denen sie vertraut und die sich dann um die jeweiligen Belange kümmern. So ist das auch mit den Trainern, die in den Stützpunkten mit ihren Athleten arbeiten. Tag für Tag. Ich glaube, dass sich unter dem Bundestrainer ein großes Miteinander statt eines Gegeneinanders entwickelt hat. Zugleich ist Schuster aber auch meinungsstark und dabei immer wohl überlegt, bleibt neugierig und lernfähig.
Das ist besonders jetzt wichtig, weil wir aktuell sechs, mit dem derzeit verletzten Richard Freitag sogar sieben Athleten haben, die sehr gut springen. Das richtige Quartett fürs Team zu nominieren, dürfte in diesem Winter keine leichte Aufgaben werden: Es geht um Olympische Medaillen, da will natürlich jeder im Team sein.
TV SPIELFILM: In den letzten Jahren stand am Ende der Vierschanzentournee immer ein Österreicher ganz oben auf dem Treppchen. Beginnt die Dominanz langsam zu wackeln?
Dieter Thoma: Ich will nicht sagen, dass die Österreicher in diesem Jahr nicht so gut drauf sind - die ersten Springen liefen für sie alles andere als glücklich. Ich bin überzeugt, dass sich Qualität immer durchsetzt und die hat sich merklich bei den deutschen Skispringer verbessert. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich das auch in Wettkämpfen nachhaltig niederschlägt.
TV SPIELFILM: Aber es braucht eine Art Initialzündung?
Dieter Thoma: Deshalb ist es auch gut, wenn junge Typen wie Andreas Wellinger oder Marinus Kraus auftauchen, die nicht groß nachdenken, einfach unbekümmert springen, weil es ihnen riesigen Spaß macht. Nach dem Motto: Ich habe gut trainiert, bin fit - jetzt hole ich mir den Erfolg.
TV SPIELFILM: Eine Unbeschwertheit, die Severin Freund mit seinen 25 Jahren nicht mehr hat?
Dieter Thoma: Das würde ich nicht sagen. Severin ist ein TOP Athlet, aber er merkt sicherlich, dass es anders ist hochzukommen als oben zu bleiben. Obwohl man als Sportler das nicht wahrnehmen möchte, steigt der Druck automatisch. Wie Michael Uhrmann scheint er bei Großereignissen bis jetzt die "vierten Plätze" beerbt zu haben. Dieses Image, ganz knapp am Podest vorbei zu springen, will und wird er hoffentlich hinter sich lassen.
Frank Steinberg
Vierschanzentournee
Auftakt: SO, 29.12., Das Erste, ca. 16:15 Uhr
MI, 1.1., ZDF, ca. 13:45 Uhr
SA, 4.1., EUROSPORT, ca. 14:00 Uhr
MO, 6.1., ZDF, ca. 14:25 Uhr