Acht Jahre lang waren sich Fernsehzuschauer bei terroristischen Bedrohungen einer Sache sicher: Kiefer Sutherland würde auftauchen und den Tag retten. Doch "Homeland" ist nicht "24" und Carrie Matheson (Claire Danes) kein wandelndes Pulverfass wie einst Jack Bauer.

Nicht, dass die CIA-Agentin eine Musterschülerin ist, ganz im Gegenteil. "Sie ist manisch depressiv und lässt sich heimlich behandeln, weil sie sonst ihren Job verliert", erklärt Danes ihr Alter ego, das ihr den Emmy und den Golden Globe eingebracht hat.

Carrie Matheson ist eine dieser komplexen Figuren, die Frauen nur selten spielen dürfen. In der israe­lischen Serienvorlage "Hatufim" sucht man sie vergebens. In der US-Version hingegen macht sie den Unterschied zwischen einer guten und einer außergewöhnlichen Serie aus. Ihre mentale Instabilität sorgt dafür, dass der Zuschauer lange Zeit nicht weiß, zu wem er halten soll. Denn die CIA-Agentin will einen Kriegshelden zu Fall bringen.

Wurde der Soldat umgedreht?

Sergeant Brody (Damian Lewis, "Life") wurde nach acht Jahren Kriegsgefangenschaft aus der Hand von Al Kaida befreit und sorgt mit seiner Rückkehr für viel Wirbel: beim Militär, das ihn für PR-Zwecke benutzen will, bei seiner Frau (Morena Baccarin), die im Glauben, er sei tot, ein Verhältnis mit seinem besten Freund angefangen hat und bei Carrie, die von einem Informanten erfahren hat, dass es den Terroristen gelungen sein soll, einen US-Soldaten umzudrehen.

Weil selbst ihr Mentor Saul (Mandy Patinkin) ihren Befürchtungen kein Gehör schenkt, lässt Carrie das Haus von Brody auf eigene Faust verwanzen - ohne Rücksicht auf Gesetze oder die Privatsphäre der Brodys, die sie sogar beim Sex beobachtet.

Konfrontation mit Vorurteilen

"Diese Szene hat mir Angst gemacht", gesteht Claire Danes. Auch dem Fernsehzuschauer schnürt es die Kehle zu. Denn wie zuvor die brillante Copserie "The Shield" überlässt es auch "Homeland" dem Publikum, selbst die Grenze zu ziehen, wie weit es gehen würde, um unsere eigene Sicherheit zu gewährleisten. Je nachdem, wo man selbst diese Linie ansetzt, sieht man Carrie Matheson als Heldin oder als Bösewicht.

Dieses moralische Dilemma ist es auch, was die Serie universell macht. Denn auch wenn es in "Homeland" auf den ersten Blick um den Krieg gegen den Terror geht, so ist die Serie doch viel tiefgründiger, wie Mandy Patinkin weiß: "Die Serie stellt Fragen, denen sich die Menschen selten im Leben stellen - und das Fernsehen schon gar nicht." Eine davon lautet, wie konditioniert man mittlerweile auf Vorurteile ist. Ist jemand beispielsweise verdächtiger, wenn er Arabisch kann?

"Die Serie zwingt uns, uns auf Dinge einzulassen, mit denen wir nicht vertraut sind oder die uns Angst machen", fasst Patinkin den Reiz von "Homeland" zusammen. "Diese Kombina­tion aus Familienaspekten und der Thrilleratmosphäre macht die Serie zu einer einzigartigen Erfahrung."

Obama ist Fan der Serie

Das sah auch das Publikum so. "Homeland" wurde für den US-Kabelsender Showtime zum
erfolgreichsten Neustart der Sendergeschichte und schaffte es, angetrieben durch zahlreiche Kritikerpreise, in der zweiten Staffel das Interesse noch zu steigern. Auch außerhalb der USA fuhr die Serie gute Quoten ein; dennoch scheint man bei Sat.1 der Sache nicht zu trauen.

Verunsichert durch das Schicksal der Kultreihe "24", die drei Sender und unzählige Sendeplätze durchlief, hat man "Homeland" gleich auf den späten Sonntagabend verlegt, wo der Quotendruck gering ist. Für alle, denen das zu spät ist, hat der mächtigste Mann der Welt einen Tipp: Immer samstagnachmittags schickt Barrack Obama seine Frauen zum Tennisspielen, schleicht sich ins Oval Office, gibt vor zu arbeiten und schaut sich eine Aufzeichnung der letzten Folge an.

Rüdiger Meyer