Die Discovery ist im Spiegel-Universum gelandet! Der Überraschungseffekt hält sich dabei allerdings in Grenzen. Schließlich kündigte Jonathan Frakes, einst Commander Riker in "Star Trek: The Next Generation" und heute Karriereberater von Quentin Tarantino bereits in Interviews an, dass die neue Netflix-Serie dem von Fans geliebten "Mirror Universe" einen Besuch abstattet. Da Frakes die erste Folge nach der Winterpause inszenierte - und die Discovery am Ende der letzten Folge an einem unbekannten Ort landete - musste man nur 1+1 zusammenzählen, um herauszufinden, wo sie sich befinden.

Sowohl die Original-Serie, als auch "Deep Space Nine" und "Enterprise" besuchten bereits das Parallel-Universum, in dem alles Gute Böse und vice versa ist. Eine friedfertige Sternenflotte ist hier unbekannt. Stattdessen bilden die Menschen das Terran Empire, das alle anderen Rassen im Weltall unterjochen will. Die politischen Anspielungen - inklusive modifiziertem Hitler-Gruß - sind offensichtlich. Für die Crew der Discovery sind die Folgen beträchtlich. Nachdem sie den Computerkern eines zerstörten Klingonenschiffes geborgen haben, erfahren sie, was sie auf ihrem Schiff verändern müssen, um nicht aufzufallen. Das USS der Discovery wird zur ISS (Imperial Star Ship, nicht International Space Station) umgepinselt und Lorca (Jason Isaacs) muss seinen Kapitänssessel räumen. In diesem Universum hat Kadett Tilly (Mary Wiseman) das Kommando. Oder wie sie in dieser Welt besser bekannt ist: Die Schlächterin von Sorna Prime, die Hexe von Wurna Minor oder schlicht: Captain Killy.

"Star Trek Discovery - Nur wegen Dir" im Podcast

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Tilly an die Macht

Hals über Kopf in die von ihr so erträumte Kapitänsrolle geworfen, muss Tilly erst einmal ihre Nervosität überwinden (und sich an ihre neue blonde Langhaartolle gewöhnen), findet aber schnell Gefallen daran, den aufmüpfigen Kapitän der Shenzhou herumzukommandieren. Denn die existiert in diesem Universum noch. Für Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) erst einmal ein Schock. Besonders als sie erfährt, dass sie eigentlich das Kommando über das Schiff führt, das sie in ihrer Welt in den Untergang schickte. Im Spiegel-Universum wird sie für tot gehalten. Ihr vermeintlicher Mörder: ausgerechnet Lorca. Der hat versucht, den (bisher noch geheim gehaltenen) Imperator zu stürzen und ist seither auf der Flucht. Burnham nutzt diese rudimentären Informationen, um auf die Shenzhou zu gelangen und ihren Kommando-Posten zurückzufordern - mit Lorca als ihrem Kriegsgefangenen. Rein aus strategischen Gründen versteht sich.

Schließlich will die Discovery so schnell wie möglich wieder aus diesem Universum verschwinden. Da ihr Sporen-Navigator Stamets, der mittlerweile aussieht wie ein Warg aus "Game of Thrones", außer Gefecht gesetzt ist, muss die Crew schnell eine alternative Passage zurück finden. Wie gut, dass sie sich intensiv im Star-Trek-Kanon auskennen. Denn in der Folge "Das Spinnennetz" aus der Original-Serie verschwand das Enterprise-Schwesterschiff Defiant nicht nur in einer anderen Dimension, sondern auch in der Vergangenheit, wie die "Enterprise"-Doppelfolge "Die dunkle Seite des Spiegels" später aufklärte. Michael soll in den Daten der Shenzhou die Koordinaten der Defiant erkundschaften, um an deren Bord schließlich Informationen zu der Dimensions-Passage zu finden. Ein komplizierter Plan - besonders wenn man bedenkt, dass die Terraner allesamt machtbesessen sind. Kaum an Bord, muss Michael auch schon den ersten Mordanschlag ihres Stellvertreters überstehen. Als sie ihm nach einer furiosen Kampfsequenz im Turbolift das Messer in die Rippen stößt und die Leiche auf die Brücke fällt, gibt es nur eine logische Reaktion der Crew: Standing Ovations. Auch wenn jeder von ihnen selber gerne Burnham vom Sockel stoßen würde.

Bestätigung einer Fan-Theorie?

Es ist nicht das einzige Opfer dieser Folge - und schon gar nicht das Signifikanteste. Denn die wochenlang angedeutete Ash-Tyler-Verschwörung brodelt über. Der aus klingonischer Gefangenschaft entkommene neue Sicherheitschef der Discovery (Shazad Latif) wird immer wieder von Visionen seiner Folter durch L'Rell (Mary Chieffo) heimgesucht. Als er die Klingonin im Verlies besucht, trägt sie ihm ein Gedicht vor - und Tyler spricht plötzlich selber fließend klingonisch. Wer genau hinhört: die Klingonen-Stimme von Tyler ist identisch zu der, die der plötzlich verschwundene, weiße Klingone Voq in früheren Folgen hatte. Und wohl der endgültige Beleg für die Richtigkeit der seit langem vorherrschenden Reddit-Theorie, dass Ash Tyler ein klingonischer Doppelagent ist, der von L'Rell zum Menschen umoperiert wurde. Oder kürzer gesagt: Victory für die Voq-Theorie.

Doch der Plan der Klingonen ist nicht ganz aufgegangen. Trotz der magischen Worte von L'Rell kann sich Tyler nicht an seine eigentliche Identität erinnern. Er hat weiter Gefühle für Michael und hält sich immer noch im Inneren für einen Menschen. Eine These, die Dr. Culber (Wilson Cruz) widerlegt, als er Tylers Innerste beleuchtet. Die Diagnose: Irgendjemand muss all seine Knochen, inklusive der Wirbelsäule gebrochen haben, um Tyler zu verändern. Dummerweise hält Tyler die gebrochenen Knochen nicht für eine Diagnose sondern für eine Aufforderung: Er bricht Culber das Genick! Eine Entscheidung, die viele Fans in den sozialen Netzwerken auf die Barrikaden brachte.

Warum man ausgerechnet einen homosexuellen Charakter töten lässt, wollten Fans von Showrunner Aaron Harberts - selber offen homosexuell - wissen. Andere drohten bereits mit der Kündigung ihres CBS-Abos. Tatsächlich ist die Kritik nicht von der Hand zu weisen. Die drei Todesfälle von wichtigen Figuren in der Serie betrafen zwei Frauen und einen Homosexuellen. Für eine Serie, die sich immer ihrer Weltoffenheit rühmt, ziemlich heikel. Dass Harberts anschließend ankündigte, Culber würde weiter ein signifikanter Teil der Serie bleiben, konnte nur wenig besänftigen. Ja, auch weiterhin haben Frauen und homosexuelle Charaktere eine tragende Rolle in "Star Trek: Discovery". Warum man aber nicht aus Figuren, die man von vornherein sterben lassen will, auch weiße Männer macht, beantwortet dies nicht.

Dennoch war die zehnte Folge eine der bisher unterhaltsamsten. Ob nun Tillys neue Rolle als Kapitänin oder Jason Isaacs Verbeugung vor James "Scotty" Doohan als er sich kurzzeitig einen schottischen Akzent zulegte, um den Chefingenieur des Schiffes zu mimen. "Nur wegen Dir" legte phasenweise eine Leichtigkeit an den Tag, die die Serie bisher zu oft vermissen ließ. Und dabei haben wir bisher ja noch nicht einmal das böse Gegenstück von einem unserer Protagonisten zu sehen bekommen. Zwar hat die Serie die Existenz einer zweiten Discovery bereits beseitigt, da sie mit der Spiegel-Discovery den Platz getauscht hat. (PS: das wäre eigentlich eine tolle Spinoff-Idee: Die Mirror-Discovery im normalen "Star Trek Universum) Doch einzelne Figuren befanden sich nicht an Bord. Lorca, Michael, Culber und Stamets - ganz zu Schweigen von Philippa Georgiou und Sarek - könnten uns noch begegnen. Denn, das haben die Macher bereits angekündigt: das Spiegel-Universum wird uns noch für einige Folgen begleiten.

Hoffentlich muss Lorca die ganze Zeit nicht in seiner ganz persönlichen Folterkammer verbringen. Denn die Folge endet damit, dass der eigentliche Discovery-Kapitän in eine Agonie-Kammer gesperrt wurde und - im wahrsten Sinne des Wortes - unendliche Qualen erleidet. Ein direkter Verstoß gegen die Anweisung von Kapitän Burnham, ihn "angemessen zu behandeln". Die Folgen für den Folterknecht dürften mit maximaler Härte bestraft werden. Schließlich weiß niemand besser als Michael, welche Folgen Befehlsverweigerung hat. Obwohl: da wir uns im Spiegel-Universum befinden, wo alles genau anders ist, wird der Verantwortliche vermutlich maximal zu Tode gekitzelt.