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Leichtathletik-WM 2013

Traum vom Treppchen

Wir stellen vor: Zehnkampf-Europameister Pascal Behrenbruch und weitere deutsche Hoffnungsträger für die Leichtathletik-WM in Moskau (SA, 10. bis 18. August).

Das Jahr nach Olympia gilt bei Sportfunktionären als "Zwischensaison". Bedeutet für die Sportler: Die Erwartungen an sie sind nicht ganz so hoch gesteckt. Für die Leichtathletik-WM in Moskau (10. bis 18.8.) gibt es deshalb auch keine offizielle Medaillenvorgabe. Dennoch sollten die deutschen Athleten die Titelkämpfe "mit Optimismus angehen", sagte Thomas Kurschilgen, Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), bei der Bekanntgabe der ersten 55 WM-Teilnehmer. Unter ihnen viele Treppchen-Kandidaten, die ohnehin ihre ganz persönlichen Zielvorgaben bei der Medaillenjagd haben - und einige Top-Leichtathleten, die für Überraschungen gut sind.
ZEHNKAMPF
Eigentlich könnte Pascal Behrenbruch ein Aushän-geschild des Deutschen Leichtathetik-Verbandes (DLV) sein. Doch die Beziehung zwischen Athlet und Verband ist nicht unproblematisch. Seit 2011 arbeitet der 28-jährige Hesse in größtmöglicher Distanz zum DLV an seiner Entwicklung als Zehnkämpfer. Meist in Tallinn (Estland) mit seinem persönlichen Trainer Andrej Nazarov. Ein Blick auf die Jahresbestenliste mit derzeit vier deutschen Vertretern an der Spitze verrät: Der (Um-)Weg hat sich gelohnt und für einen allgemeinen Leistungsschub gesorgt. "Die anderen haben durch meinen Europameistertitel im letzten Jahr Blut geleckt: Die Hymne bei der Siegerehrung, die ganzen Medienauftritte - das motiviert eben nicht nur mich ungemein!"

TV SPIELFILM: Schon als kleiner Junge war Mehrkampf das Nonplusultra für Sie - wie kam es dazu?
Pascal Behrenbruch: Es heißt zwar: Zehnkämpfer können alles, aber nichts richtig. (lacht) Aber mich fasziniert die Königsdisziplin, seit ich Frank Busemann (Olympia-Silber 1996) im Fernsehen gesehen habe. Von da an war mir klar: Da will ich auch hin!

TV SPIELFILM: Sie sorgen nicht nur sportlich, sondern auch mit Sprüchen für Schlagzeilen. Wie spontan kommen Ihnen Sätze wie "Ich liebe mich!" über die Lippen?
Pascal Behrenbruch: Schon sehr spontan. Der Satz fiel aus der Emotion heraus: In Ratingen war ich nach dem ersten Tag Sechster, keiner hat an mich geglaubt, und schon vorher hatte es Kritik gegeben, auch vom Bundestrainer. Meine WM-Qualifikation stand auf dem Spiel! Wenn man es dann doch schafft und am Ende mit einer Riesen-1500-Meter-Zeit auch noch die Jahresbestleistung erzielt, ist das einfach gigantisch. Leute, die mich wegen des Spruchs arrogant finden, können einfach nicht einordnen, wie das ist, wenn man so leidenschaftlich um etwas kämpft und es dann tatsächlich noch schafft.

TV SPIELFILM Olympiasieger Ashton Eaton schwächelte zuletzt - sind Sie jetzt der große WM-Favorit?
Pascal Behrenbruch: Wenn ein 9000-Punkte-Mann wie Eaton am Start ist, dazu der zweifache Weltmeister Trey Hardee, wäre es ja größenwahnsinnig zu sagen, dass ich Favorit bin. Eher ein möglicher Überraschungskandidat. (lacht)
HAMMERWURF
Unerwarteten Besuch im kleinen Kreis der 77-Meter-Werferinnen hat Weltrekordhalterin Betty Heidler (29) bekommen: Die bis dato relativ unbekannte Russin Oksana Kondratyeva verbesserte ihre Best-leistung wenige Wochen vor der Heim-WM um 2,31 Meter und warf ihr Sportgerät auf 77,13 Meter. Damit schob sie sich auf der Weltjahresbestenliste vor Heidler auf Platz 1. Aber wie heißt es so schön: Konkurrenz belebt das Geschäft.
STABHOCHSPRUNG
WM 2009, EM und Olympia 2012: Wenn jemand weiß, wie undankbar der "undankbare vierte Platz" wirklich ist, dann Silke Spiegelburg. "Vierte - immer! Das kann doch nicht wahr sein", kommentierte die 27-Jährige nach der verpassten Olympiamedaille in London mit Tränen in den Augen. Heute mag Spiegelburg nicht mehr über den Blech-Platz und ihren Gefühlsausbruch sprechen. Sie schaut nur noch nach vorne und will in dieser Saison den von ihr gehaltenen deutschen Rekord (4,82 Meter) verbessern. Am liebsten natürlich beim WM-Wettkampf in Moskau. Dann gäb's womöglich doch mal Freudentränen.
WEITSPRUNG
Was für ein Paukenschlag! Mit seinem letzten Sprung auf 8,15 Meter überflügelte Alyn Camara (24) den amtierenden Europameister Sebastian Bayer (8,04 Meter) und gewann den Titel bei den Deutschen Meisterschaften 2013 in Ulm. Dass er mit Christian Reif auch noch den Europameister von 2010 hinter sich ließ, wirbelte die Hierarchie im Team der DLV-Weitenjäger kräftig durcheinander. Für den WM-Wettkampf in der Moskauer Sprunggrube dürfte sich die neue Konkurrenzsituation positiv auf die Leistungen der deutschen Weitspringer auswirken.Wobei von Camara selbst natürlich keine Wunder zu erwarten sind. Der Überraschungsmeister hat sich früher auch als Hürdenläufer und Mehrkämpfer versucht und befindet sich erst in seinem vierten Jahr als "reiner" Weitspringer.
DISKUSWURF
35 Wettkämpfe in Folge hatte Robert Harting nicht verloren - dann kam der unvermeidliche Augenblick: Der 28-jährige Berliner warf im Juni beim Meeting in Hengelo knapp einen Meter kürzer als Piotr Malachowski aus Polen (71,84 Meter). Für seine Verhältnisse nahm der impulsive Harting die Niederlage gelassen. Erstens sei er endlich die Favoritenrolle los, und zweitens habe er wieder Anlass, Änderungen an seiner Technik vorzunehmen. Bis zum Ende der Serie galt sein altes Motto: "Never Change a Winning Team!"
SPEERWURF
Nein, Christina Obergföll (31) ist keine WM-Favoritin. Sollte sie sich auch gar nicht einreden. Denn das würde bei ihr nur böse Erinnerungen wecken: Vor vier Jahren in Daegu galt sie nämlich als aussichtsreiche Titelanwärterin - und verpasste prompt die Medaillenränge. Über ihre Rücktrittsgedanken von damals kann sie heute nur noch lachen: Unter der sportlichen Verantwortung ihres Verlobten und Männer-Bundestrainers Boris Henry präsentiert sich die Silbermedaillengewinnerin von London in (fast schon) titelreifer Verfassung.
SPRINT
Vater: Portugiese, Mutter: Angolanerin, Tochter: schön, schlau - und verdammt schnell. In Windeseile hat sich 100-Meter-Sprinterin Tatjana Pinto (21) im deutschen Team zur ärgsten Konkurrentin von Verena Sailer entwickelt. Die starken Läuferinnen aus den USA und der Karibik dürften für beide vorerst noch eine Nummer zu groß sein - aber wenn alles glattgeht, kämpfen sie gemeinsam in der 4 x 100-Meter-Staffel um eine WM-Medaille.

TV SPIELFILM: Was motiviert Sie vor der WM besonders: die Aussicht auf eine Medaille mit der Staffel oder die Vorstellung, Verena Sailer zu überflügeln?
Tatjana Pinto: Mich motiviert, dass ich dabei bin. Ich war ja noch nie bei einer WM.

TV SPIELFILM: Aber die Konkurrenz zwischen Ihnen und Verena Sailer wächst. Wie ist Ihr Verhältnis?
Tatjana Pinto: Wir verstehen uns ganz gut. Und bei so einem internationalen Wettkampf unterstützt man sich natürlich. Sie ist gerade im besten Sprinteralter (27), und ich traue ihr einiges zu.

TV SPIELFILM: Was glauben Sie: Können Sie irgendwann mit den Topläuferinnen aus Jamaika und den USA mithalten?
Tatjana Pinto: Mein Ziel ist es auf jeden Fall, mal in einem großen Finale zu stehen - und dann sind sie ja neben einem, die Jamaikanerinnen und Amerikanerinnen, und man kann schauen, was geht. Ich bin ja noch jung...

TV SPIELFILM: Apropos Jamaika und USA: Was haben Sie gedacht, als Tyson Gay, Asafa Powell und andere Sprinter kürzlich als Doper aufgeflogen sind?
Tatjana Pinto: Dafür gibt es gar keine Entschuldigung. Man nimmt ehrlichen Athleten diese tollen Momente weg, da auf dem Treppchen zu stehen - das finde ich total unfair.

TV SPIELFILM: Wie gehen Sie mit dem Doping-Generalverdacht um, der die Sprintszene jetzt mal wieder heimsuchen dürfte?
Tatjana Pinto: Muss ich damit umgehen? Die Diskussion hindert mich nicht daran, befreit in den Wettkampf zu gehen.

TV SPIELFILM: Vermissen Sie es, im Rampenlicht zu stehen, wenn gerade nicht Olympia oder eine WM vor der Tür stehen?
Tatjana Pinto: Nein. Im Mittelpunkt zu stehen ist zwar toll - aber manchmal möchte ich mich auch zurückziehen und für mich sein.

Frank Steinberg