TV SPIELFILM: Sie wollen die gemeinsame DNA von Ost- und Westdeutschland erforschen? Wie war die Situation vor der Errichtung der Mauer?
Jan Josef Liefers: Es gab gemeinsame Charts. Bis in die 50er. Man sehnte sich in Ost und West etwa nach dem gleichen "schwarzen Gino am heißen Strand von San Juan". Und dann kam der Rock'n'Roll und mit ihm der große Bruch, weil der dann gleich ein Politikum wurde. Der Siegeszug dieser Musik, die immer die Freiheit sucht, Regeln bricht und sich mit allen Autoritäten anlegt, wurde in der DDR als Gefahr für den großen Konformismus erkannt".
Axel Prahl: Und dagegen wurde der Lipsi-Schritt verordnet, so ein affiger Tanzschritt im 6/8 Takt. Hat nicht funktioniert.
Liefers: Und wir stellen nun die nicht ganz bierernst gemeinte Frage: Hat auch die Musik die Mauer zum Einsturz gebracht?
Prahl: Genau, vielleicht waren es ja Musikfans, die auf der Ostseite der Mauer standen und eigentlich nur Musik hören wollten. Die haben sich gefragt: Warum soll ich das nicht hören dürfen? Und schon gab's Randale.
Jan Josef Liefers: Es gab gemeinsame Charts. Bis in die 50er. Man sehnte sich in Ost und West etwa nach dem gleichen "schwarzen Gino am heißen Strand von San Juan". Und dann kam der Rock'n'Roll und mit ihm der große Bruch, weil der dann gleich ein Politikum wurde. Der Siegeszug dieser Musik, die immer die Freiheit sucht, Regeln bricht und sich mit allen Autoritäten anlegt, wurde in der DDR als Gefahr für den großen Konformismus erkannt".
Axel Prahl: Und dagegen wurde der Lipsi-Schritt verordnet, so ein affiger Tanzschritt im 6/8 Takt. Hat nicht funktioniert.
Liefers: Und wir stellen nun die nicht ganz bierernst gemeinte Frage: Hat auch die Musik die Mauer zum Einsturz gebracht?
Prahl: Genau, vielleicht waren es ja Musikfans, die auf der Ostseite der Mauer standen und eigentlich nur Musik hören wollten. Die haben sich gefragt: Warum soll ich das nicht hören dürfen? Und schon gab's Randale.
Regie bei "Soundtrack Deutschland" führt Sergej Moya, den die meisten eher als Schauspieler kennen.
Liefers: Ich habe mit Sergej bei "Soundtrack meiner Kindheit" schon zusammen gearbeitet. Es ging damals um eher private Geschichten aus meiner Kindheit im Osten. Die stehen inzwischen auch in meinem gleichnamigen Buch drin, einer Art Autobiografie der frühen Jahre. Ich war auch mit meiner Band RADIO DORIA ein paar Jahre lang unterwegs, habe live auf unzähligen Bühnen in Ost und West von meiner Kindheit und Jugend in der DDR erzählt und dazu die Songs der Ostbands gespielt, die an bestimmte Ereignisse gekoppelt waren, und die mir mal was bedeutet haben. Kein anderer passt so gut wie mein Freund Axel Prahl zu der Idee, das Thema auf Gesamtdeutschland auszuweiten. Er ist selber ein leidenschaftlicher Musiker und im Westen aufgewachsen.
Prahl: Ich hatte sein Programm damals gesehen und fand das unterhaltsam und pfiffig. Man erfuhr auch etwas über die DDR. So etwas hatte im Westen noch nie jemand gemacht. Das fand ich spannend.
Die Machtart der Doku wirkt ungewöhnlich. Beschwert sich bei Ihnen tatsächlich die Kotze aus dem Klo heraus?
Liefers: Das ist der ewige Kotzbrocken, der sich immer beschwert. Wir wollen ja keine Betroffenheitsonkels sein, die jammervoll zurückblicken, sondern eher, wie Udo Lindenberg es ausdrücken würde, "schön elastisch" durchfedern und gucken, wo wir unsere Schnittmengen haben, wo wir auch Nachholbedarf haben. Die Menschen im Osten wussten z.B. über die ganze Entertainmentbranche im Westen viel besser bescheid als umgekehrt. Mit der Mauer fiel auch der ganze kulturelle Teil der DDR-Identitiät erstmal in sich zusammen.
Was war für Sie DDR-Identität?
Liefers: Die DDR war alles, was vom Staat kam... das war Honecker, die Aktuelle Kamera, Parteitag, Fahnenappelle, erster Mai... Das hatte aber alles nichts mit meinem Leben als Jan zu tun. Fußballspielen, Fahrradfahren, Musikmachen, Musikhören, rumknutschen... das war meine Identität. Als Kind denkt man nicht über politische Systemkritik nach, da lebt man und macht aus allem das beste, was man vorfindet. Mit dem Mauerfall ist viel Ostmusik unter die Räder gekommen. Wer wollte noch eine DDR-Band hören? Alles stürzte sich auf den neuen, endlich frei verfügbaren Kram, der vorher so schwer zu kriegen war. Und der Westen hat sich niemals auch nur eine Sekunde ernsthaft dafür interessiert, wie das Leben und die Kultur im Osten wirklich war. Die Haltung war eher: "Seid froh, die Mauer ist weg! Jetzt lernt mal schön, wie das bei uns so läuft und verschont uns mit Euerm Ostkram. Ich war allerdings auch vorher kein glühender Fan von DDR-Bands, muss ich zugeben. Ich wollte lieber Pink Floyd hören, Dylan mal live erleben, die Stones sehen.
Prahl: Und nu?
Liefers: Was meinst du denn?
Prahl: Und jetzt wo die ganzen Ostbands weg sind, willst du die wieder hören.
Liefers: Es wäre jedenfalls ungerecht die nur als Notnagel oder Platzhalter abzutun. Die haben hochprofessionell und mitunter ziemlich ausgefinkelt Musik gemacht, mal mehr, mal weniger gelungene und manchmal sehr gute Texte gesungen und 17 Millionen DDR-Leben begleitet. Einige Bands waren mir offenbar doch nicht egal. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das kapiert habe.
Herr Prahl, haben Sie im Westen auch gern Ostmusik gehört?
Prahl: Ich habe eher wenig Ostmusik gehört. Wir hatten Verwandtschaft drüben und haben immer Care-Pakete geschickt. Was man als Dankeschön zurückbekam, waren entweder Bücher oder Schallplatten. Da war relativ viel Klassik dabei aber auch so was wie Karat.
Haben Sie auch musikalische Perlen entdeckt?
Prahl: In den 80er Jahren gab es den Gerhard Gundermann...
Den singenden Baggerfahrer aus der Lausitz...
Ja, das war ein Liedermacher, den ich großartig fand und nach wie vor finde. Das war Musik, die mich durchaus interessiert hat. Ich war schon damals dem politischen Lied verhaftet. Ich mochte Degenhardt, Hannes Wader und natürlich Rio Reiser.
Musikinstrumente waren in der DDR Mangelware. Wie haben sich die Musiker ausgestattet?
Liefers: Das lief immer auf den Parkplätzen an den Transitstrecken. Da gab es diese LKWs und dann wurden richtig im großen Stil eingeschmuggelte Musikinstrumente und Verstärker an den Start gebracht. Das war nicht leicht. Man konnte sowas nicht einfach kaufen.
Prahl: Zu Hause habe ich eine Gitarre, die ich auf dem Flohmarkt gekauft habe, von der Sternenkombo Meißen. Die hat so Drucktasten wie beim Akkordeon. Sieht toll aus. Klingt allerdings wie Müllhaufen.
Liefers: Es gab in der DDR aber sehr gute Instrumentenbauer. Besonders im akustischen Bereich. Markneukirchen, Kingenthal und so, der Musikwinkel im Vogtland.
Ist die beste Musik schon gemacht worden?
Prahl: Es gibt zumindest die Theorie, dass jeder Akkord und jede Tonfolge schon mal dagewesen ist. Wenn man von so etwas wie 12-Ton-Musik absieht.
Liefers: Die beste Musik ist doch immer die von morgen! Es ist so herrlich subjektiv und eine so theorethische Frage... Ich gehe am Strand lang und sehe ein Liebespärchen, die sind 16 oder 17, die knutschen... und dann weiß ich, es geht immer weiter, es hört nie auf. Die würden sich so etwas niemals fragen. Die benutzen Musik und wissen gar nicht, dass es fast alles schon mal gab, bevor sie geboren wurden. Und meine Kinder hören mitunter Sachen, die finde ich nur bekloppt... so ist das, so muss das sein.
Prahl: (lacht) Ich hab ne Zwiebel aufm Kopp ich bin ein Döner...
Es war von der technischen Seite her, noch nie so einfach Musik zu machen wie heute. War die Musik auch noch nie so gut wie heute?
Liefers: Nein. Das ist wie mit Filmen. Die Tatsache, dass jeder heute für wenig Geld auf seinem Computer ein komplettes Filmstudio haben kann, hat nicht dazu geführt, dass es nur noch gute Filme gibt. Am Ende bleiben eben doch immer die Idee und das Können entscheidender, als die technischen Möglichkeiten. Deine Geschichte, deine spezielle Note, die spezielle Art. Wieviele Liebesgeschichten "Boy meets Girl" sind schon erzählt? Und trotzdem kommt immer wieder eine, die es auf eine ganz besonders Art tut, die dich in dem Moment einfach kriegt. Obwohl du glaubst, alles schon gesehen zu haben.
Frank I. Aures
Liefers: Ich habe mit Sergej bei "Soundtrack meiner Kindheit" schon zusammen gearbeitet. Es ging damals um eher private Geschichten aus meiner Kindheit im Osten. Die stehen inzwischen auch in meinem gleichnamigen Buch drin, einer Art Autobiografie der frühen Jahre. Ich war auch mit meiner Band RADIO DORIA ein paar Jahre lang unterwegs, habe live auf unzähligen Bühnen in Ost und West von meiner Kindheit und Jugend in der DDR erzählt und dazu die Songs der Ostbands gespielt, die an bestimmte Ereignisse gekoppelt waren, und die mir mal was bedeutet haben. Kein anderer passt so gut wie mein Freund Axel Prahl zu der Idee, das Thema auf Gesamtdeutschland auszuweiten. Er ist selber ein leidenschaftlicher Musiker und im Westen aufgewachsen.
Prahl: Ich hatte sein Programm damals gesehen und fand das unterhaltsam und pfiffig. Man erfuhr auch etwas über die DDR. So etwas hatte im Westen noch nie jemand gemacht. Das fand ich spannend.
Die Machtart der Doku wirkt ungewöhnlich. Beschwert sich bei Ihnen tatsächlich die Kotze aus dem Klo heraus?
Liefers: Das ist der ewige Kotzbrocken, der sich immer beschwert. Wir wollen ja keine Betroffenheitsonkels sein, die jammervoll zurückblicken, sondern eher, wie Udo Lindenberg es ausdrücken würde, "schön elastisch" durchfedern und gucken, wo wir unsere Schnittmengen haben, wo wir auch Nachholbedarf haben. Die Menschen im Osten wussten z.B. über die ganze Entertainmentbranche im Westen viel besser bescheid als umgekehrt. Mit der Mauer fiel auch der ganze kulturelle Teil der DDR-Identitiät erstmal in sich zusammen.
Was war für Sie DDR-Identität?
Liefers: Die DDR war alles, was vom Staat kam... das war Honecker, die Aktuelle Kamera, Parteitag, Fahnenappelle, erster Mai... Das hatte aber alles nichts mit meinem Leben als Jan zu tun. Fußballspielen, Fahrradfahren, Musikmachen, Musikhören, rumknutschen... das war meine Identität. Als Kind denkt man nicht über politische Systemkritik nach, da lebt man und macht aus allem das beste, was man vorfindet. Mit dem Mauerfall ist viel Ostmusik unter die Räder gekommen. Wer wollte noch eine DDR-Band hören? Alles stürzte sich auf den neuen, endlich frei verfügbaren Kram, der vorher so schwer zu kriegen war. Und der Westen hat sich niemals auch nur eine Sekunde ernsthaft dafür interessiert, wie das Leben und die Kultur im Osten wirklich war. Die Haltung war eher: "Seid froh, die Mauer ist weg! Jetzt lernt mal schön, wie das bei uns so läuft und verschont uns mit Euerm Ostkram. Ich war allerdings auch vorher kein glühender Fan von DDR-Bands, muss ich zugeben. Ich wollte lieber Pink Floyd hören, Dylan mal live erleben, die Stones sehen.
Prahl: Und nu?
Liefers: Was meinst du denn?
Prahl: Und jetzt wo die ganzen Ostbands weg sind, willst du die wieder hören.
Liefers: Es wäre jedenfalls ungerecht die nur als Notnagel oder Platzhalter abzutun. Die haben hochprofessionell und mitunter ziemlich ausgefinkelt Musik gemacht, mal mehr, mal weniger gelungene und manchmal sehr gute Texte gesungen und 17 Millionen DDR-Leben begleitet. Einige Bands waren mir offenbar doch nicht egal. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das kapiert habe.
Herr Prahl, haben Sie im Westen auch gern Ostmusik gehört?
Prahl: Ich habe eher wenig Ostmusik gehört. Wir hatten Verwandtschaft drüben und haben immer Care-Pakete geschickt. Was man als Dankeschön zurückbekam, waren entweder Bücher oder Schallplatten. Da war relativ viel Klassik dabei aber auch so was wie Karat.
Haben Sie auch musikalische Perlen entdeckt?
Prahl: In den 80er Jahren gab es den Gerhard Gundermann...
Den singenden Baggerfahrer aus der Lausitz...
Ja, das war ein Liedermacher, den ich großartig fand und nach wie vor finde. Das war Musik, die mich durchaus interessiert hat. Ich war schon damals dem politischen Lied verhaftet. Ich mochte Degenhardt, Hannes Wader und natürlich Rio Reiser.
Musikinstrumente waren in der DDR Mangelware. Wie haben sich die Musiker ausgestattet?
Liefers: Das lief immer auf den Parkplätzen an den Transitstrecken. Da gab es diese LKWs und dann wurden richtig im großen Stil eingeschmuggelte Musikinstrumente und Verstärker an den Start gebracht. Das war nicht leicht. Man konnte sowas nicht einfach kaufen.
Prahl: Zu Hause habe ich eine Gitarre, die ich auf dem Flohmarkt gekauft habe, von der Sternenkombo Meißen. Die hat so Drucktasten wie beim Akkordeon. Sieht toll aus. Klingt allerdings wie Müllhaufen.
Liefers: Es gab in der DDR aber sehr gute Instrumentenbauer. Besonders im akustischen Bereich. Markneukirchen, Kingenthal und so, der Musikwinkel im Vogtland.
Ist die beste Musik schon gemacht worden?
Prahl: Es gibt zumindest die Theorie, dass jeder Akkord und jede Tonfolge schon mal dagewesen ist. Wenn man von so etwas wie 12-Ton-Musik absieht.
Liefers: Die beste Musik ist doch immer die von morgen! Es ist so herrlich subjektiv und eine so theorethische Frage... Ich gehe am Strand lang und sehe ein Liebespärchen, die sind 16 oder 17, die knutschen... und dann weiß ich, es geht immer weiter, es hört nie auf. Die würden sich so etwas niemals fragen. Die benutzen Musik und wissen gar nicht, dass es fast alles schon mal gab, bevor sie geboren wurden. Und meine Kinder hören mitunter Sachen, die finde ich nur bekloppt... so ist das, so muss das sein.
Prahl: (lacht) Ich hab ne Zwiebel aufm Kopp ich bin ein Döner...
Es war von der technischen Seite her, noch nie so einfach Musik zu machen wie heute. War die Musik auch noch nie so gut wie heute?
Liefers: Nein. Das ist wie mit Filmen. Die Tatsache, dass jeder heute für wenig Geld auf seinem Computer ein komplettes Filmstudio haben kann, hat nicht dazu geführt, dass es nur noch gute Filme gibt. Am Ende bleiben eben doch immer die Idee und das Können entscheidender, als die technischen Möglichkeiten. Deine Geschichte, deine spezielle Note, die spezielle Art. Wieviele Liebesgeschichten "Boy meets Girl" sind schon erzählt? Und trotzdem kommt immer wieder eine, die es auf eine ganz besonders Art tut, die dich in dem Moment einfach kriegt. Obwohl du glaubst, alles schon gesehen zu haben.
Frank I. Aures
Soundtrack Deutschland
DI 29.9. Das Erste 21.50 Uhr
MI 30.9. Das Erste 21.50 Uhr
DO 1.10. Das Erste 21.50 Uhr
DI 29.9. Das Erste 21.50 Uhr
MI 30.9. Das Erste 21.50 Uhr
DO 1.10. Das Erste 21.50 Uhr