Wer in der Kunst Großes schaffen will, muss erst einmal leiden. Am besten am Herzen. Wie der junge Johann in Goethe!, als er sich unerfüllt in Charlotte Buff verliebt. Dass die Leidenschaft eines Bummelstudenten des 18. Jahrhunderts auch im Kinofilm von 2010 noch Feuer fängt, liegt aber nicht allein am furiosen Auftritt Alexander Fehlings als Dichter vor dem Durchbruch, sondern vor allem an Lotte.
Miriam Stein spielt jene Frau, die Goethe einst abwies, worauf dieser Die Leiden des jungen Werther verfasste und weltberühmt wurde. Mit ungestümem Temperament, aber auch herzblutender Hingabe setzt die damals 22-Jährige das Ausrufungszeichen hinter den Titelhelden.

Dessen "Sturm und Drang" ist für die in Wien aufgewachsene Neuberlinerin mit Schweizer Pass - übrigens eine Tochter des Kulturmoderators Max Moor - mehr als eine Genieperiode in der Literaturgeschichte. "Es bedeutet für mich, den Mut haben, zu tun und nicht nur zu denken."

Und sie tut. Mit Perücke, Kostüm und übersprudelnder Energie macht sie die historische Kulisse zu ihrem Spielplatz. Dass ihre Figur auf loderndes Liebesglück verzichtet und sich zugunsten einer gesicherten Zukunft für einen spröden Advokaten entscheidet, kommentiert sie verständnisvoll. "Das macht sie so intelligent. Sie ist jünger als Goethe und zugleich viel reifer. Ich selbst hätte mich aber für Goethe entschieden."

Hat sie nicht, sondern für Volker Bruch. Mit dem Schauspieler, der in der Historienromanze den Goethe-Freund Jerusalem mimt, ist Miriam Stein seitdem liiert.

Im März spielt sich das junge Paar dann gemeinsam ins kollektive Gedächtnis der Nation: Im aufwühlenden ZDF-Kriegdrama Unsere Mütter, unsere Väter als Lazarettschwester und Offizier, deren Liebe durch das gnadenlose Kriegsgeschehen verhindert wird. Der Dreiteiler über das Schicksal fünf junger Deutscher während des Zweiten Weltkriegs "bricht das Schweigen der Generationen" titelt das Feuilleton. Mehr als sieben Millionen Zuschauer schalten ein.

"Ich konnte sämtliche Figuren nachvollziehen, konnte verstehen, warum sie so handeln", erklärt sich Miriam Stein das enorme Interesse an der neuartigen Aufarbeitung schuldhafter Verstrickungen einer ganzen Generation an nationalsozialistischen Kriegsgräueln. "Dadurch wird es unheimlich, weil man sich zwangsläufig fragt, hätte ich vielleicht auch so gehandelt?"

Glaubt die Schauspielerin, die schon als 13-Jährige für die Rolle eines Flüchtlingskinds aus dem Kosovo im TV-Drama Das Mädchen aus der Fremde als Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, dass Filme die Kraft zur Veränderung haben können? "Sie können Menschen zumindest zum Nachdenken anregen. Wenn man sie aus dem Alltag herausreißt und in eine Geschichte hineinwirft."

Welche Wirkung einem Schauspieler dabei zukommen kann, erfuhr sie am eigenen Leib, als sie vor Jahren Birgit Minichmayr als Medea in Grillparzers Das goldene Vlies an der Wiener Burg sah. "Das war das erste Mal, dass ich im Theater geweint habe. Ich habe bei ihr eine unglaubliche Spielfreude gesehen." Man könnte fast meinen, dass Österreich nicht nur die bessere Küche hat.

Heiko Schulze

Goethe!
MO 22.7. Das Erste 20.15 Uhr