Es ist alles ein bisschen größer als beim letzten Mal. Die Hochglanzbühne, die LED-Wände, das Publikum. Eine gewisse Nervosität im Team ist spürbar beim Köln-Casting zur zweiten Staffel von "X Factor". Zumal heute auch noch ein Assistent von Simon Cowell, dem berühmten Erfinder der Show, im Publikum sitzt. Er soll Tipps zur erfolgreichen Adaption des britischen Originals geben, aber auch überwachen, dass die Formatkonventionen eingehalten werden.

Als die Jury einzieht, liefert das Publikum den vom Animateur gewünschten frenetischen Applaus. Es musste dazu nicht lange überredet werden, vor allem die hochschwangere Sarah Connor hat viele ausgewiesene Fans auf den Rängen. "Hier wird keiner ausgebuht", erklärt Jazztrompetenass Till Brönner dem Publikum die Regeln. "Ihr seid hier die vierte Person am Tisch. Euer Urteil ist wichtig", fährt Rapper Das Bo fort, der in diesem Jahr erstmals mitwertet. Tatsächlich wird die Jury sich immer wieder umdrehen, um die Einschätzung der Studiobesucher zu erfahren.

Lust auf andere Castingshows

Trotz der Fülle von Castingshows im Fernsehen und der anhaltend guten Einschaltquoten des Platzhirschs "Deutschland sucht den Superstar" und seiner Demütigungsstrategie scheint es auch einen Markt für andere Talentwettbewerbe zu geben. Das zeigt der Erfolg von Stefan Raabs extrafairem Oslo-Casting, das frische, kantige Protagonisten auf die Bühnen gelockt und mit Lena eine Nationalsängerin gefunden hat. Und das zeigt auch "X Factor", das auf Talentförderung und die Konzentration auf die Musik als Unterscheidungsmerkmale zu anderen Shows setzt.

Damit konnte der kleine Sender Vox beachtliche Quoten von im Schnitt 2,23 Millionen Zuschauern einfahren. Bereits im Verlauf der ersten Staffel wurden die Episoden gelängt - und die Werbepreise kräftig erhöht. Allerdings liefen die allerersten Folgen auch beim großen Bruder RTL. Diesmal muss die Show ohne diese quotenfördernde Anschubhilfe klarkommen - und das bei stark erhöhten Produktionskosten.

Harte Kritik, die Spaß macht

Nachmittags beim Casting: Ein Finanzbeamter überlegt, noch mal auf Sänger umzusatteln... Besser nicht. "Wir haben den Fokus nicht auf Leuten, die nicht singen können", sagt Sarah Connor. "Ich wäre nicht bei einer Show dabei, die auf Lachnummern aufbaut. Aber manchmal ist es schon lustig, wie krass manche Leute ihr Können fehleinschätzen." Einem unsicheren Straßenbauer hingegen attestieren Publikum und Juroren einhellig eine überragende Stimme.

Eine Musicaldarstellerin unterstreicht jede Zeile mit einer emotionssteigernden Bühnengeste. Brönner sagt: "Wie mit der Brechstange. Damit kommt man in jeden Raum, aber man ist selten willkommen. Du hast mir vorgeschrieben, was ich fühlen soll. Ich hätte das gern selbst entschieden." Harte, aber sachliche Kritik. Und nebenbei auch ziemlich unterhaltsam.

Nach der Aufzeichnung zeigt sich der Formatwächter aus England sehr zufrieden. Aus der Art und Weise, wie die verschiedenen Länder "X Factor" inszenieren, könne man auch Verbesserungen für das Mutterformat ziehen. Sein vielsagendes Grinsen scheint zu bedeuten, dass das hier eben geschehen ist.

Frank Aures

Die drei Erfolgszutaten von "X Factor"

Das Konzept stammt vom britischen Casting-Papst Simon Cowell: Die Juroren sind Mentoren, die "ihre" Sänger fördern und unterstützen. Keine Altersbeschränkung nach oben, auch Gruppen sind zugelassen.

Die Jury Mit Sarah Connor und Till Brönner sitzen zwei wirklich profilierte und überraschend wortgewandte Musikstars in der Jury, die Talente nicht ausschließlich nach kommerziellem Nutzwert beurteilen.

Die Emotion Konstruktive Kritik statt beißender Häme - das kommt an. Bis zu 2,93 Millionen Zuschauer konnte Vox mit der Show verbuchen.