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Wild Germany: Reeperbahn

Tor zur anderen Welt

Wildes Deutschland: Reeperbahn
ZDF

Manuel Möglich will mit der Reportagereihe ein unbekanntes Deutschland zeigen. Das gelingt erschreckend gut ...

"WILD GERMANY" im TV
"Ich war zuständig für den Bereich Stress." Thomas Born, Karate-Thommy, erzählt von der Reeperbahn, wie sie früher war. Und das sechsköpfige Filmteam von "Wild Germany" hört gebannt zu. Fast 30 Minuten lang, nur gelegentlich unterbrochen von den vorsichtigen Fragen Manuel Möglichs, der dem Format als Reporter ein Gesicht gibt.

Hier, in der Kneipe "Zur Ritze" wie auch im Bordell "Geiz Oase", von dem das Team gerade kommt, wurde schon oft gedreht. Und auch Kiezlegende Born hat seinen "Bereich Stress" schon häufig erklärt. Und trotzdem ist die kleine Reportage, die hier entsteht, in ihrer Art einzigartig im deutschen TV. Was der Reihe im vergangenen Jahr eine Fernsehpreis-Nominierung einbrachte.

Militaria-Freaks und "Ultra"-Fans
Das Besondere sind die Themen und Manuel Möglich. "Alle, die an ‚Wild Germany‘ beteiligt sind, kommen aus einem subkulturellen Kontext", sagt der 33-Jährige, dessen Arme zahlreiche Tätowierungen zieren. "Mit manchen Themen beschäftigen wir uns schon lange, weil sie uns interessieren, über andere sind wir einfach gestolpert." Die Palette der Reihe ist so abseitig wie vielfältig: Von "Ultra"-Fußballfans über Militärfreaks, die sich treffen, um NVA-Soldat zu spielen, bis hin zur Horrordroge Crystal Meth, deren Hauptverbreitungsort die Redaktion ausgerechnet im Opern-Walhalla Bayreuth ausgemacht hat.

Zu etwas Besonderem macht "Wild Germany", das bereits in die dritte Staffel geht, auch der Umgang mit den Protagonisten. Manuel Möglich ist stets auf Augenhöhe mit seinen Gesprächspartnern bedacht. Er wertet nicht, er wirft nicht vor. Die Gespräche sollen ergebnisoffen sein. Seine Einschätzung des Gesagten spricht der Reporter hinterher als Off-Kommentar.

So unterhaltsam wie bestürzend
Szenen zu stellen sei tabu, versichert die Redaktion. Beim Reeperbahn-Dreh wird tatsächlich nichts inszeniert. Das wird auch vom Bordell- und Kneipenpersonal positiv registriert. Mit TV-Teams hat man hier eher schlechte Erfahrungen gemacht. Geknurrtes Resümee der "Ritze"-Tresenfrau zum letzten Besuch eines Boulevardmagazins: "Acht Stunden Dreharbeiten für drei Minuten Film. Darin vier Lügen."
"Wild Germany" berichtet von Randgruppen. Das ist oft unterhaltsam, meist interessant - und manchmal auch bestürzend.

In der Folge "Satanismus" sieht man nicht die üblichen blöd-romantischen Halbwüchsigen in schwarzen Gewändern, sondern junge Frauen mit gepixelten Gesichtern, die wie Kinder auf dem Spielplatz toben. "Satanismus" ist hier nur die Verpackung des größeren Themas "Rituelle Gewalt". Die Psyche der Frauen wurde schon im Kindesalter in kultischen Ritualen systematisch zerstört. Heute sind sie multiple Persönlichkeiten.
Einsichten, die nur schwer zu ertragen - und auch nur schwer zu glauben sind. Das Risiko, einer Lüge aufzusitzen, ist bei neuen, wenig beackerten Themen eben besonders groß. "Klar, die Gefahr sehe ich auch. Die sehen wir alle", sagt Möglich. "Ich werde sehr oft gefragt, ob das alles echt ist." Über intensive Recherchen und Expertenbefragungen sichere man sich ab. "Bisher haben wir den Zuschauern nichts Falsches erzählt."

Diese Zuschauerschaft ist bei der Ausstrahlung auf ZDF neo zwar nur klein, über YouTube und besonders über die ZDF-Mediathek werden die Filme aber hunderttausendfach angesehen. Davon profitieren auch Randgruppen, die mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit verdienen.
Letzte Frage an Thomas Born: Wie verdient er heute sein Geld? Er überführe sehr teure Autos mit bewaffnetem Personal in entlegene Gegenden, sagt er. Eine Lamborghini-Karawane zieht gen Osten... Abenteuerliche Geschichte, die über die Grenzen von "Wild Germany" hinausgeht. Vielleicht demnächst in "Wild Europe".

Frank Aures

Wild Germany: Reeperbahn
DO, 12.7., ZDF neo, 23.00 Uhr