Wenn man mit Ursula Strauss durch Wiens 1. Bezirk spaziert, fällt bald auf, wie Passanten ihr nachschauen, mancher heimlich versucht, ein Foto zu schießen, oder ganz ungeniert seine Sympathie bekundet: "Guten Morgen, Frau Strauss!" Bin ich wieder in Pöchlarn?, hat sich die Schauspielerin anfangs verwundert gefragt, in der 3000-Einwohner-Gemeinde in der Wachau, wo sie großgeworden ist und wo sich jeder kennt.
Seit die Strauss in der ORF-Serie Schnell ermittelt (läuft samstags und sonntags spätabends im NDR) die Rolle der Chefinspektorin Angelika Schnell innehat, kennen sie auch die Wiener, mehr noch, die gesamte Alpenrepublik scheint sie ins Herz geschlossen zu haben.

Die Popularität in ihrer Heimat findet die 40-Jährige zwar immer noch gewöhnungsbedürftig, aber "mir selbst fällt das gar nicht so auf, weil ich nicht darauf ach­te. Ich bin selten Pri­vat­person, aber ich empfinde es trotzdem als Geschenk, meinen Traum zu leben." Dieser Traum ist die Schauspielerei und beinhaltet weit mehr als die Rolle einer Serienheldin.

Mit Kinofilmen wie Böse Zellen und Mein bester Feind gehört sie seit mehr als zehn Jahren zu den führenden Charakterdarstellern ihres Landes, erhielt 2012 den Österreichischen Filmpreis als beste Schauspielerin für ihre Rolle einer Bäuerin, die sich in Elisabeth Scharangs KZ-Drama Vielleicht in einem anderen Leben in den letzten Kriegstagen um eine Gruppe ungarischer Juden sorgt. Drei Jahre zuvor wirkte sie in einem Film mit, der für den Auslands-Oscar nominiert wurde: das düstere Drama Revanche von Götz Spielmann.

Als sie im Taxi per SMS davon erfuhr, "bin ich vor Freude richtig hysterisch geworden", erinnert sie sich heute. Es blieb letztlich bei der Nominierung, trotzdem war die Preisverleihung, zu der sie mitreiste, "wahnsinnig aufregend und völlig überfordernd". Danach war sie fix und alle - und letztendlich glücklich damit, in Europa Filme drehen zu können.

Es ärgert sie, "dass in Hollywood nur wenige Frauen auch altern dürfen". Inhaltlich ist ihr, die seit Oktober 2013 gemeinsam mit Oscar-Regisseur Stefan Ruzowitzky ("Die Fälscher") die Präsidentschaft über die Österreichische Filmakademie innehat, das europäische Arthouse-Kino sowieso näher.

Dass mit "Revanche" ein Film mit harten Sexszenen und gänzlich ohne Musik überhaupt nominiert wurde, wertet sie als Indiz dafür, dass das hiesige Filmschaffen an der Traumfabrik nicht mehr spurlos vorübergeht.

Dass Ursula Strauss nicht nur im Kino Kritik und Publikum gleichermaßen begeistert, hat sich auch in Deutschland rumgesprochen. Wie sie in der TV-Romanze Die Abstauber Filmraubein Mišel Matičević weichkochte, war zuweilen komisch, in jedem Fall zu Herzen gehend und eine helle Freude. In einer Folge der Psychokrimireihe Spuren des Bösen profitierte Heino Ferch von ihrem eindrucksvollen Auftritt, diesmal als betörender, mysteriöser Racheengel.

Am 6. September zeigt Ursula Strauss in der ZDF-Reihe Unter Verdacht in der Rolle einer depressiven, mit dem Leben überforderten Mutter noch einmal eine ganz andere Facette, dramatisch, tragisch und beklemmend realistisch.

Wenn es darum geht, ihre Figuren zum Leben zu erwecken, geht die Frau mit dem pechschwarzen Schopf und Augen, die wohl auch nur bei entsprechender Beleuchtung als dunkelbraun durchgehen, aufs Ganze und in die Tiefe. "Ich fürchte mich nicht, auch nicht davor, mich zum Affen zu machen", sagt sie, und dass Angstfreiheit eine wichtige Voraussetzung für ihren Beruf sei.

Des Weiteren brauche es nur ein gut geschriebenes Buch und eine gut geprobte Szene, um einen Moment zu schaffen, "in dem man miteinander ,ist‘, in dem Fiktion plötzlich real wird". Die Schauspielerei hat der gelernten Kindergartenpädagogin Selbstvertrauen gegeben. Sie übernimmt die volle Verantwortung für ihre Rollen, fordert im Gegenzug dafür Freiheit und Individualität, in Absprache mit dem Regisseur. "Natürlich ist das Filmgeschäft großen Zwängen unterworfen, die muss man aber nicht annehmen. Man muss gegensteuern, und man sollte wissen, wann es genug ist", sagt sie auch im Hinblick auf ihre TV-Kommissarin.

Ein Anruf von Sam Neill

Bevor die Serie um die Leiterin der Wiener Mordkommission Gefahr lief, auserzählt zu sein, hat sich das Format gewandelt: Nach vier Staffeln mit jeweils zehn Folgen gibt es "Schnell ermittelt" inzwischen nur noch als 90-Minüter in loser Reihe. Der televisionäre Ritterschlag ereilte die Macher quasi posthum, als sich der US-Sender CBS Ende vergangenen Jahres die Rechte an der ORF-Serie sicherte.

Erstmals kommt damit eine öster­reichische Serie in die engere Auswahl für ein Remake in den USA. Aber ohne Ursula Strauss - wie soll das funktionieren? Wer könnte sie spielen? Ist Cate Blanchett nicht ihre erklärte Lieblingsschauspielerin? "Ja, warum nicht?", sagt sie dann aber doch eher im Spaß.

Ursula Strauss könnte es aber auch selbst machen, schließlich hat sie gerade ihren ersten Film auf Englisch gedreht, die star­besetzte Großproduktion Deus Ex Machina, ein Wissenschaftsthriller mit Tom Payne ("Der Medicus") und Hollywood-Star Sam Neill ("Jurassic Park") als Bösewicht.

Die Filmprominenz empfand sie als "entzückend und unterstützend auf eine unauf­geregte Art". Das klingt jetzt aber doch sehr abgeklärt, Frau Strauss? "Nein, das ist schon cool, wenn auf dem Handy bei den verpassten Anrufen steht: Sam Neill."

Heiko Schulze

Unter Verdacht: Mutterseelenallein
SA 6.9. ZDF 20.15 Uhr