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Die Mauer ist wieder da

Wie realistisch ist "Die Grenze"?

Der SAT.1-Zweiteiler zeigt, wie Deutschland noch in diesem Jahr im Chaos versinkt. Wir haben Experten um ihre Einschätzung gebeten: Die sechs wichtigsten Fragen und Antworten:

1.) Kann sich ein Bundesland vom Rest der Republik abspalten?

Die Rechtslage ist kompliziert, weil das Grundgesetz den Austritt eines Bundeslandes nicht explizit regelt. Allerdings ist es herrschende Lehre, dass der Austritt eines Bundeslandes eine Grundgesetzänderung erfordert. "Grundgesetz und Völkerrecht sind sezessionsfeindlich", räumt Ulrich Battis ein, Professor für Staatsrecht an der Berliner Humboldt-Universität und wissenschaftlicher Berater von "Die Grenze". Er sagt auch: Ein Land, dessen Bevölkerung die Abspaltung will, wird kein Gesetz daran hindern. In Bezug auf den Film stellt sich dann aber die Frage, warum die Bürger Mecklenburg-Vorpommerns den Tropf abklemmen wollen, an dem sie hängen: 2009 flossen allein durch den Länderfinanzausgleich 456,8 Millionen Euro an die
strukturschwache Region im Nordosten der Republik.


2.) Im Film beginnt die Wirtschaftskrise in Deutschland damit, dass Terroristen gleichzeitig die sieben wichtigsten Erdölraffinerien der Welt angreifen. Ist das möglich

"Ein erfolgreicher Angriff von Terroristen auf eine Erdölraffinerie liegt im Bereich des Möglichen", sagt Norbert Wolf, 21 Jahre lang Leiter der Konzernsicherheit von Siemens und heute Berater des auf Firmensicherheit spezialisierten Unternehmens A.S. Advanced Security & Services. "Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine Terrororganisation über die Mittel verfügt, um zeitgleich sieben wichtige Raffinerien zu attackieren." Ein Al-Kaida-Anschlag von
Selbstmordattentätern auf die Erdölraffinerie Abkaik in Saudi-Arabien 2006 schlug fehl. Die Produktion war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.

3.) Wie würden Bund und Länder reagieren, wenn in Rostock bewaffnete Extremisten die Stadt in ihre Gewalt brächten?

Der Film suggeriert, dass das Land seine Polizeieinheiten zurückzieht und der Bund tatenlos zuschaut, während sich Links- und Rechtsradikale bewaffnen, Kontrollposten einrichten und die Herrschaft über die Straße übernehmen. Das ist äußerst unwahrscheinlich. Stephan Stange, Polizeisprecher im Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern, erklärt, "dass im Falle des geschilderten Notstands die Polizei Mecklenburg-Vorpommerns unverzüglich die Polizei des Bundes und der Länder um Unterstützung bitten und deren Kräfte und
Mittel anfordern würde. Dazu wären wir durch das Grundgesetz und die Verfassung unseres Landes verpflichtet."

4.) Wie wahrscheinlich ist die im Film angesprochene Absage der Fußball-WM wegen Terrorgefahr?

Anfang des Jahres griffen Terroristen den Bus der Fußballnationalelf von Togo mit Maschinengewehren an. Drei Menschen starben. Eine Absage der Fußball-WM stand nicht zur Diskussion. Als bei der Olympiade 1972 in München extremistische Palästinenser das Quartier der israelischen Mannschaft überfielen und Geiseln töteten, hieß es "The games must go on". Eine Absage der Fußball-WM aufgrund einer Terrordrohung ist eher unwahrscheinlich.

5.) Würde die Industrie die Verwandlung Mecklenburg-Vorpommerns in ein Billiglohnland begrüßen?

Im Film signalisiert ein Industrieller gegenüber der Kanzlerin seine Zustimmung zu diesem Plan. Produzent Nico Hofmann beruft sich dafür auf Hintergrundgespräche mit Industrievertretern. Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wollte man sich nicht offiziell äußern. Ein Sprecher betonte auf Anfrage, es handele sich bei der Filmidee um eine "abwegige Vorstellung". Der BDI stehe auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft, habe die Wiedervereinigung stets uneingeschränkt begrüßt und unterstütze den Aufbau Ost. Die Abspaltung eines Bundeslandes liege nicht in seinem Interesse.

6.) In "Die Grenze" sehen die Menschen nur Nachrichten von N24. Ist das realistisch?

Nein, das ist noch unwahrscheinlicher als die Abspaltung Mecklenburg-Vorpommerns. Der Marktanteil des Senders liegt bei rund einem Prozent. Die "Tagesschau" der ARD, die in "Die Grenze" nicht vorkommt, erreicht Werte von um die 30 Prozent. Da N24 zum gleichen Medienkonzern wie Sat.1 gehört, wirbt Sat.1 in "Die Grenze" nur für seinen eigenen Nachrichtenkanal - auf Kosten der Glaubwürdigkeit.