Es ist wie eine Droge. Jeden Morgen kommt Nachschub, und die Quoten-Junkies in den Redaktionen der TV-Sender können es kaum erwarten. Pünktlich um 8.30 Uhr treffen die Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus Nürnberg ein.
Lauter Zahlen über das Verhalten der Zuschauer am Vortag. Welche Sendung viele anschauten und welche kaum einer. Was junge Leute guckten und was alte, ob sie lange dranblieben oder schnell wegzappten.
Es sind Ziffern mit Sprengkraft. Das, was die Computer in Nürnberg jede Nacht ab 3 Uhr berechnen, indem sie das gemessene Fernsehverhalten mit Informationen über das Testpublikum zusammenführen, entscheidet über das Wohl und Wehe von Sendungen. Als "Wetten, dass...?" am 22. Februar laut GfK erstmals weniger als 6 Millionen Zuschauer hatte, war das Schicksal der Show besiegelt.Was nicht ankommt, fliegt raus.
Kein Wunder, dass die Ermittlung der Zuschauerzahlen immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Ex-RTL-Chef Helmut Thoma bezeichnete im vergangenen Jahr Einschaltquoten als "imaginäre Werte". Die Wochenzeitung "Die Zeit" stellte die Frage, ob in der Ära von Social Media die Messung des TV-Konsums am Fernsehgerät zum Ausstrahlungstermin veraltet sei. Und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" diagnostizierte "Die große Quotenlüge".
Tatsächlich ist ein gewisses Maß an Skepsis nicht verkehrt. Der Mathematiker Gilles Blanchard (Uni Potsdam) warnt in der Doku "Die Macht der Zuschauer" vor zu großer Zahlengläubigkeit. Hat eine Sendung einen Marktanteil von 10 %, liegt die statistische Ungenauigkeit bei 0,8 %. Deshalb kann man gar nicht genau wissen, ob eine Ausgabe des "heute-journal" (ZDF) mit angeblich 9,7 % Marktanteil und 2,90 Millionen Zuschauern wirklich mehr gesehen wurde als eine Folge von "Hart aber fair" (ARD) mit 9,2 % und 2, 87 Millionen. Es könne auch genau umgekehrt sein, erklärt Statistikprofi Blanchard. Noch umstrittener war die Quote der "Harald Schmidt Show" auf Sky: die GfK ermittelte 0,0 %, der Pay-TV-Sender selbst gab 175.000 Zuschauer pro Ausgabe der Show an.
Die GfK gewinnt ihre Daten aus einem Pool von 5000 Haushalten mit insgesamt 10.500 Personen ab drei Jahren. Eine Person dieses Panels steht für 7200 Menschen in der Welt draußen. Schalten 1000 Personen aus der Testgruppe einen Krimi ein, hat die Sendung laut GfK 7,2 Millionen Zuschauer.
Dass die 10 500 GfK-Mitspieler alle 72 Millionen Zuschauer in Deutschland repräsentieren, dafür soll der Mikrozensus bürgen: das Testpanel als mikroskopisches Abbild der Gesellschaft in Bezug auf Geschlecht, Alter, Bildung, Wohnort etc. Das Problem: Niemand kann die Angaben der mächtigen GfK überprüfen. Das viertgrößte Meinungsforschungsinstitut der Welt mit mehr als 12.000 Mitarbeitern hat in Deutschland das Monopol auf die Ermittlung der Quoten. Es verpflichtet jeden Testseher zur Verschwiegenheit.
Wer es in das Panel geschafft hat, erhält ein GfK-Meter, das mit dem Fernseher verbunden ist . Jedes Mal, wenn die Testperson ein-, um- oder ausschaltet, soll sie eine Taste drücken. Ob sie das wirklich macht und ob sie noch hinsieht oder schon längst schläft - das weiß keiner. "Wir führen keine Bewertung der Fernsehnutzung durch", sagt Dr. Bernhard Engel von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), Auftraggeber der GfK. "Wir wissen nicht, ob die Leute vom Programm gelangweilt sind, oder ob es ihnen gefällt."
Doch eins wissen die Fernsehforscher genau, nämlich dass sie eine stetig wachsende Gruppe von Zuschauern nicht erfassen. Das sind all diejenigen, die lieber am Tablet oder Smartphone als am Fernseher gucken.
Mittlerweile sieht fast jeder dritte Deutsche auch online fern - live, aber auch zeitversetzt. Sendungen wie das bei jungen Zuschauern beliebte "Neo Magazin mit Jan Böhmermann" bei ZDF neo sind Mediatheken-Hits, während sie kaum noch jemand zur Ausstrahlungszeit sieht.
Man könnte glauben, wer was am Computer sieht, ließe sich leicht erfassen. Schließlich geben Menschen im Internet alles Mögliche preis. Warum also nicht auch, welche Filme und Serien sie gucken? Tatsächlich liefern Firmen wie Equinux Daten über den TV-Konsum von Zuschauern, die die App Live TV auf einem Apple oder Mobilgerät nutzen. Ein junger Sender wie ZDF neo kommt dabei erheblich besser weg als bei den GfK-Quoten.
Die Agentur Mediacom geht einen anderen Weg. Sie betrachtet den "Social Buzz" rund ums Fernsehen und analysiert die Facebook- und Twitter-Aktivitäten zu einzelnen Sendungen. So ermittelte das Markforschungsunternehmen Nielsen für den US-Fernsehmarkt, dass 8,5 % mehr Internet-Gezwitscher zu 1 % mehr TV-Quote führt - allerdings nur in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen.
In Deutschland erweitern AGF und GfK ihre Testgruppe. Sie haben neben dem Panel von 10500 Zuschauern weitere 25 000 repräsentative Deutsche rekrutiert, die Auskunft über ihren Online-TV-Konsum geben. Bislang funktioniert die neue Messtechnik allerdings nur bei stationären Windows-PCs. Apple-Rechner sowie Tablets und Smartphones werden folgen. Irgendwann sollen altes und neues Panel per Datenkonversion zusammengeführt werden.
Wetten, dass ... dann der "Tatort" in beiden Panels ganz oben steht?
Rainer Unruh
Lauter Zahlen über das Verhalten der Zuschauer am Vortag. Welche Sendung viele anschauten und welche kaum einer. Was junge Leute guckten und was alte, ob sie lange dranblieben oder schnell wegzappten.
Es sind Ziffern mit Sprengkraft. Das, was die Computer in Nürnberg jede Nacht ab 3 Uhr berechnen, indem sie das gemessene Fernsehverhalten mit Informationen über das Testpublikum zusammenführen, entscheidet über das Wohl und Wehe von Sendungen. Als "Wetten, dass...?" am 22. Februar laut GfK erstmals weniger als 6 Millionen Zuschauer hatte, war das Schicksal der Show besiegelt.Was nicht ankommt, fliegt raus.
Kein Wunder, dass die Ermittlung der Zuschauerzahlen immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Ex-RTL-Chef Helmut Thoma bezeichnete im vergangenen Jahr Einschaltquoten als "imaginäre Werte". Die Wochenzeitung "Die Zeit" stellte die Frage, ob in der Ära von Social Media die Messung des TV-Konsums am Fernsehgerät zum Ausstrahlungstermin veraltet sei. Und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" diagnostizierte "Die große Quotenlüge".
Tatsächlich ist ein gewisses Maß an Skepsis nicht verkehrt. Der Mathematiker Gilles Blanchard (Uni Potsdam) warnt in der Doku "Die Macht der Zuschauer" vor zu großer Zahlengläubigkeit. Hat eine Sendung einen Marktanteil von 10 %, liegt die statistische Ungenauigkeit bei 0,8 %. Deshalb kann man gar nicht genau wissen, ob eine Ausgabe des "heute-journal" (ZDF) mit angeblich 9,7 % Marktanteil und 2,90 Millionen Zuschauern wirklich mehr gesehen wurde als eine Folge von "Hart aber fair" (ARD) mit 9,2 % und 2, 87 Millionen. Es könne auch genau umgekehrt sein, erklärt Statistikprofi Blanchard. Noch umstrittener war die Quote der "Harald Schmidt Show" auf Sky: die GfK ermittelte 0,0 %, der Pay-TV-Sender selbst gab 175.000 Zuschauer pro Ausgabe der Show an.
Die GfK gewinnt ihre Daten aus einem Pool von 5000 Haushalten mit insgesamt 10.500 Personen ab drei Jahren. Eine Person dieses Panels steht für 7200 Menschen in der Welt draußen. Schalten 1000 Personen aus der Testgruppe einen Krimi ein, hat die Sendung laut GfK 7,2 Millionen Zuschauer.
Dass die 10 500 GfK-Mitspieler alle 72 Millionen Zuschauer in Deutschland repräsentieren, dafür soll der Mikrozensus bürgen: das Testpanel als mikroskopisches Abbild der Gesellschaft in Bezug auf Geschlecht, Alter, Bildung, Wohnort etc. Das Problem: Niemand kann die Angaben der mächtigen GfK überprüfen. Das viertgrößte Meinungsforschungsinstitut der Welt mit mehr als 12.000 Mitarbeitern hat in Deutschland das Monopol auf die Ermittlung der Quoten. Es verpflichtet jeden Testseher zur Verschwiegenheit.
Wer es in das Panel geschafft hat, erhält ein GfK-Meter, das mit dem Fernseher verbunden ist . Jedes Mal, wenn die Testperson ein-, um- oder ausschaltet, soll sie eine Taste drücken. Ob sie das wirklich macht und ob sie noch hinsieht oder schon längst schläft - das weiß keiner. "Wir führen keine Bewertung der Fernsehnutzung durch", sagt Dr. Bernhard Engel von der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), Auftraggeber der GfK. "Wir wissen nicht, ob die Leute vom Programm gelangweilt sind, oder ob es ihnen gefällt."
Doch eins wissen die Fernsehforscher genau, nämlich dass sie eine stetig wachsende Gruppe von Zuschauern nicht erfassen. Das sind all diejenigen, die lieber am Tablet oder Smartphone als am Fernseher gucken.
Mittlerweile sieht fast jeder dritte Deutsche auch online fern - live, aber auch zeitversetzt. Sendungen wie das bei jungen Zuschauern beliebte "Neo Magazin mit Jan Böhmermann" bei ZDF neo sind Mediatheken-Hits, während sie kaum noch jemand zur Ausstrahlungszeit sieht.
Man könnte glauben, wer was am Computer sieht, ließe sich leicht erfassen. Schließlich geben Menschen im Internet alles Mögliche preis. Warum also nicht auch, welche Filme und Serien sie gucken? Tatsächlich liefern Firmen wie Equinux Daten über den TV-Konsum von Zuschauern, die die App Live TV auf einem Apple oder Mobilgerät nutzen. Ein junger Sender wie ZDF neo kommt dabei erheblich besser weg als bei den GfK-Quoten.
Die Agentur Mediacom geht einen anderen Weg. Sie betrachtet den "Social Buzz" rund ums Fernsehen und analysiert die Facebook- und Twitter-Aktivitäten zu einzelnen Sendungen. So ermittelte das Markforschungsunternehmen Nielsen für den US-Fernsehmarkt, dass 8,5 % mehr Internet-Gezwitscher zu 1 % mehr TV-Quote führt - allerdings nur in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen.
In Deutschland erweitern AGF und GfK ihre Testgruppe. Sie haben neben dem Panel von 10500 Zuschauern weitere 25 000 repräsentative Deutsche rekrutiert, die Auskunft über ihren Online-TV-Konsum geben. Bislang funktioniert die neue Messtechnik allerdings nur bei stationären Windows-PCs. Apple-Rechner sowie Tablets und Smartphones werden folgen. Irgendwann sollen altes und neues Panel per Datenkonversion zusammengeführt werden.
Wetten, dass ... dann der "Tatort" in beiden Panels ganz oben steht?
Rainer Unruh