Die Existenz des Yeti ist bewiesen!" So teilte es im Oktober 2011 die russische Regionalverwaltung im westsibirischen Kemerowo mit. Die Behörde hatte Forscher beauftragt, im Altai-Gebirge nach Spuren des sagenumwobenen Schneemenschen zu suchen. Die berichteten vom Fund zahlreicher Fußspuren, Haarreste und einer Schlafstätte. Sogar "Artefakte" wollen die Expeditionsteilnehmer aufgestöbert haben.

Zusammen mit dem Ungeheuer von Loch Ness zählt der Yeti zu den bekanntesten Fabelwesen. Und zu den populärsten. Mit dem herzigen Pelzknuffel im aktuellen Kinderfilm "Yoko" (siehe Filmkritik S. 254) hat das Geschöpf aber wenig zu tun. Die Bergvölker des Himalaja erzählen sich seit Jahrhunderten von einem großen affenähnlichen Dämon, der einsam durch verschneite Höhen stapft. Im 20. Jahrhundert brachten Bergsteiger und Abenteurer Fotos von riesigen Fußabdrücken mit nach Europa und machten den Mythos im Westen populär.

Urzeitaffe oder Ursus arctos?

Wer oder was verbirgt sich hinter dem Rätselwesen mit Schuhgröße 65? Eine unentdeckte Primatenart? Tatsächlich lebte in Asien bis vor 100 000 Jahren ein riesige Affe namens Gigantopithecus. Vertreter dieser Spezies wurden über drei Meter groß und wogen eine halbe Tonne. Hat eine kleine Population überlebt? Eine ganz andere Erklärung liefert der Bergsteiger Reinhold Messner. Seine Expeditionen in den Himalaja führten ihn zu der Überzeugung, dass es sich beim Yeti um die Spezies Ursus arctos handelt: gewöhnliche Braunbären. In einigen Sprachen der Region ist Yeti das reguläre Wort für Bär. Neuere Forschungen bestätigen die Theorie Messners.

Zumal sich viele vermeintliche Hinweise auf die Existenz eines Schneemenschen als haltlos erwiesen. Ein mumifizierter "Yeti-Finger", der 1950 aus einem tibetischen Kloster gestohlen worden war und lange im Fundus eines Londoner Museum schlummerte, wurde jüngst einer DNA-Analyse unterzogen. Das Ergebnis bestätigt, was jeder Medizinstudent mit bloßem Auge erkannt hätte: Der Körperteil gehörte einem Menschen. Und ein angeblicher Yeti-Skalp, den Edmund Hillary 1960 von einer Expedition mitbrachte, entpuppte sich als Fälschung aus Ziegenfell.

Und die Funde von Kemerowo? Wurden von unabhängiger Seite bisher nicht bestätigt. Unbestritten ist jedoch, dass die Provinzregierung extrem darauf erpicht ist, mehr Touristen in die abgelegene Region zu locken. Hilfe durch den Yeti wäre ihr sicherlich höchst willkommen.

Christian Holst