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Dänische Mega-Serie

1864 - Der vergessene Krieg

Donnerstags: Die Dänen erlebten vor 150 Jahren eine traumatische Niederlage gegen die Deutschen - die Aufarbeitung in der achtteiligen Serie "1864" ist ein triumphaler Erfolg.

Die Rahmendaten sind beeindruckend: Mit 173 Millionen Kronen (23 Millionen Euro) Produktionskosten ist "1864" die teuerste dänische Filmproduktion aller Zeiten. Bei der Ausstrahlung im vergangenen Oktober schalteten an die 67 Prozent der dänischen Zuschauer ein. Zum Vergleich: Das deutsche Kriegspanorama "Unsere Mütter, unsere Väter" kam auf "nur" 24 Prozent Marktanteil. 67 Prozent sind unfassbar.

Aha. Und worum geht es? Um den Krieg zwischen dem Nordstaat und Preußen 1864, den jeder dänische, aber kaum ein deutscher Schüler kennt. Aber natürlich geht es um viel mehr. Das viele Geld hat sich gelohnt, "1864" ist kein steifes Kostümdrama, sondern ein kleines Meisterwerk. Ein achtstündiges Gesellschaftsporträt, das beschreibt, wie sich ein Volk in nationalistische Hysterie hineinsteigert - und in die Katastrophe marschiert.
"Bis 1864 war Dänemark groß und bedeutend", sagt Regisseur Ole Bornedal, der auch die Drehbücher schrieb. "Die Niederlage hat das für alle Zeiten geändert. Dänemark verlor einen großen Teil seiner Fläche". Basierend auf dem Sachbuch "Schlachtbank Düppel" von Tom Buk-Swienty erzählt Bornedal die Geschichte der Brüder Peter und Laust, die Mitte des 19. Jahrhunderts auf einem dänischen Gutshof aufwachsen und beide eng mit Inge, der Tochter des Verwalters, befreundet sind.

Die drei werden in einer Zeit groß, in der Politiker wie Premierminister Monrad immer lauter tönen, Dänemark sei das "auserwählte Volk Gottes" und als solches unbesiegbar. Das lässt junge Männer wie Peter und Laust lachend in den Krieg gegen Bismarck und die übermächtigen Preußen ziehen - und darin umkommen.

Der erzählerische Fokus ist auch bei den historischen Persönlichkeiten stets auf das Innenleben gerichtet. So sieht man etwa Premierminister Monrad (dämonisch gut: Nicolas Bro), wie er sich bei privaten Motivationsübungen von Schauspielerin Heiberg ("Borgen"-Star Sidse Babett Knudsen) die Angst vor dem Wahnsinn exorzieren lässt, der seine Vorfahren immer wieder heimgesucht hat.

"Ich erinnere mich an eine Zeit der Euphorie", hört man eine gealterte Inge mit brüchiger Stimme zu Beginn der Serie resümieren. "Politiker, die Kulturelite, das Volk - sie räkelten sich in einer Arroganz, die so hell schien wie die Sonne." Woher kam dieses Gefühl?

"Wir hatten den ersten Krieg 1851 gewonnen und waren selbstbewusst", sagt der 55-jährige Bornedal. "Die Wurzeln dieses Gefühls sind aber älter. Selbst ich habe noch in der Schule gelernt, dass der Dannebrog, die dänische Fahne, vom Himmel gefallen ist."

Der Legende nach hat sich das während einer Schlacht gegen die Esten 1219 zugetragen. Als die Dänen fast besiegt waren, warf Gott den Dannebrog vom Himmel - und sie gewannen. "Als Kind fühlte ich mich deshalb sehr besonders", sagt Bornedal und lacht. "Und ein bisschen ist das immer noch in uns. Wir denken, dass wir ein kleines bisschen besser sind als ihr."

Vorbild: die Filme Bertoluccis

Die Niederlage von 1864 hat Dänemark nachhaltig geprägt und wird im Selbstverständnis seiner Einwohner immer noch als wunder Punkt wahrgenommen. Entsprechend wichtig war dem dänischen Kulturministerium das Projekt. Es stemmte mit 100 Millionen Kronen den Löwenanteil des Budgets. Trotzdem muss zur Refinanzierung noch viel Geld verdient werden, was nur auf dem Weltmarkt gelingen kann.

Interessiert sich die Welt für ein so dänisches Thema? "Natürlich. Auch auf dem Balkan oder in Asien wissen die Menschen, wie sich Eifersucht anfühlt, Verlust, Verlangen, Sehnsucht", sagt Bornedal. Der Regisseur hat zusätzlich einen Jetztzeit-Erzählstrang eingefügt, der die damaligen Geschehnisse mit dem heutigen Dänemark verbindet, das nach 150 Jahren in Afghanistan wieder tote junge Soldaten zu beklagen hat.

Verbindungen zur eigenen Geschichte lassen sich speziell für deutsche Zuschauer angesichts der dargestellten "Blut und Boden"-Rhetorik der damaligen dänischen Kriegstreiber mühelos herstellen. Tatsächlich wurde die achtteilige Serie, die Arte an drei Donnerstagen zeigt, bereits in 16 Länder verkauft.

"Ich habe versucht, eine Ebene zu finden, auf der jeder emotional anknüpfen kann", sagt Bornedal. Während sich das deutsche "Unsere Mütter, unsere Väter" an der modernen Bildsprache von Steven Spielberg orientiert, hat er seine Vorbilder im Siebziger-Jahre-Kino gefunden. Bernardo Bertoluccis Gesellschaftsdrama "1900" (1976) sei eine -große Inspiration gewesen.

Wie der italienische Regisseur versucht auch Bornedal das Leben mit einer besonders reichhaltigen Farbpalette zu malen. Er zeigt blühende Landschaften und ausgelassene Scheunenfeste ebenso wie rauchende Kadaver und onanierende Jungen, die ihr erstes Ejakulat bestaunen.

"Jeder erinnert sich daran, wie ein Weizenfeld in der Sonne leuchtet, wie es riecht und wie einem dabei der Wind durch die Haare weht. Wenn man solchen Bildern im Film Zeit gibt, dann führt man auf eine Art kollektiver Erinnerungsebene", so Bornedal.

Die dänischen Kritiker haben auf "1864" sehr gespalten reagiert. "Viele waren regelrecht beleidigt", hat Bornedal beobachtet. Der Zuspruch der Zuschauer sei aber gewaltig gewesen. Noch nie habe der Regisseur, der auch in Hollywood Filme wie "Freeze" oder "Possession" dreht, derart viele Zuschriften bekommen, die Anerkennung ausdrückten und sich gegen die Anfeindungen der radikal Rechten mit ihm solidarisierten.

"Das einzige Land der Welt, das noch eine Sehbeteiligung von 67 Prozent hinbekommen würde", sagt Bornedal und lacht, "ist wahrscheinlich Nordkorea - wenn Kim Jong Un das Einschalten befiehlt."

F. I. Aures

1864 (1-3)
DO 11.6. Arte 20.15 Uhr (1-3)
Der Deutsch-Dänische Krieg 1864

■ Dänische Soldaten besetzen 1863 die Stadt Schleswig. Eine Provokation, die die deutschen Großmächte Preußen und Österreich am 1. Februar 1864 mit einem Angriff beantworten. In Düppel bei Sonderburg wird die zurückweichende dänische Armee am 18. April 1864 schließlich in ihrer Befestigung, den Düppeler Schanzen, geschlagen. Bilanz des Waffengangs: über 3200 Tote auf dänischer, 1200 auf deutscher Seite.

■ Weitaus komplizierter als der Krieg ist die politische Gemengelage. Letzter Stand im jahrhundertelangen Zerren zwischen dänischem Königshaus und deutschen Kaisern und Fürsten um Herrschaftsrechte in Schleswig/Holstein: Beide Parteien behielten nach ihrem letzten Krieg 1851 ihre angestammten Rechte. Ein Erbfolgezwist und die neue Nationalstaatseuphorie von Dänen und Deutschen kippten das fragile Gleichgewicht.

■ Nach der dänischen Niederlage 1864 fallen die Herzogtümer Lauenburg und Schleswig Preußen zu, Holstein wird zunächst österreichisch, ab 1867 als Schleswig-­Holstein dann auch ­preußisch. Noch heute finden Gedenk­feiern auf den Düppeler Schan­zen statt. Der Plan eines deutsch-dänischen Versöhnungsdenkmals wurde nach dänischen Protesten nicht umgesetzt.