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Zur 6. Staffel "Lost"

Das Ende ist nah

Serienspecial
Das "Lost"-Ensemble beim letzten Abendmahl?

Mit Staffel 6 geht die US-Mysteryserie um die gestrandeten Überlebenden eines Flugzeugabsturzes auf die Zielgerade. Das Rätselraten bleibt (ab 23.9. bei Kabel 1, 22.15 Uhr)

Als US-Late-Night-Talker Conan O'Brien im September 2009 vor laufenden Kameras ausrutschte und hart mit dem Hinterkopf auf den Betonboden aufschlug, beschrieb er in der nächsten Sendung die Schwere des Sturzes so: "Ich hatte mir den Kopf so heftig gestoßen, dass ich für fünf Sekunden tatsächlich verstanden hatte, worum es in 'Lost' geht..."
"Lost", die sechste: Konfrontation zwischen Locke (M.) und Richard (l.)
Wer noch nie etwas von "Lost" gehört hat, wird Schwierigkeiten haben, sich im vertrackten Universum aus unzähligen Handlungssträngen, Zeitebenen, Parallelwelten und Charakteren zurechtzufinden - aber wer einmal angebissen hat, ist tatsächlich verloren. "Lost", die Mysteryserie aus der Feder von Hollywood-Wunderkind J.J. Abrams ("Star Trek"), fasziniert - und frustriert - seine Fans weltweit seit nunmehr fünf Jahren. Fasziniert, weil kaum eine TV-Produktion der letzten Jahre so raffiniert, spannend und intelligent mit Rätseln, versteckten Hinweisen und Geheimnissen spielt. Frustriert, weil kaum eine Serie die drängenden Fragen so wenig beantwortet.
Dabei hatte anfangs kaum einer gedacht, dass es überhaupt eine zweite Staffel dieser Robinsonade geben würde. Gestrandete auf einer Insel: Entweder sie werden gerettet oder nicht - was sollte sonst noch passieren? Jede Menge.

Ein Flugzeugabsturz, eine Insel im Meer, vier Dutzend Überlebende - mit diesen Eckpunkten startete die Serie, erdacht und geschrieben
von Damon Lindelof, Jeffrey Lieber und J.J. Abrams, am 22. September 2004 auf dem zum Disney-Konzern gehörenden US-Sender ABC. Die zweistündige Pilotfolge war mit 12 Millionen US-Dollar damals die teuerste TV-Produktion überhaupt. Dennoch lief die erste halbe Stunde ohne Werbeunterbrechung, sehr ungewöhnlich im US-Fernsehen. Über 18 Millionen Zuschauer schalteten ein, "Lost" sollte eines der erfolgreichsten Programme des Senders werden. Nach dem spektakulären Absturz des Flugs 815 der Oceanic Airlines geht es für die Neuinsulaner also ums Überleben - doch sehr bald aus anderen Gründen als gedacht. Die Insel erweist sich im Laufe der Staffeln als Hort der Mysterien und Gefahren, Zeitreise und Bombendetonation inklusive.
Der Fluch: Mit den Zahlen 4,8, 15, 16, 23, 42 gewann Hurley 114 Mio. Dollar, was ihm nichts als Unglück einbrachte
Auch dass die Hauptrollen mit weniger bekannten Schauspieler besetzt waren, half dem Rätselraten - kaum hatte man seine Sympathien verteilt, ließ einen die nächste Story-wendung wieder zweifeln. Ist Draufgänger Sawyer (Josh Holloway) wirklich nur ein oberflächlicher Sonnyboy? Hat Jack (Matthew Fox), der charismatische Held mit dem Helfersyndrom, auch dunkle Seiten? Warum saß die hübsche Kate (Evangeline Lilly) in Handschellen im Flugzeug? Ist der rätselhaft-sanfte Glatzkopf John Locke (Terry O'Quinn) einer der Bösen oder der diabolische Benjamin Linus (Michael Emerson) vielleicht doch gut? Und was steckt hinter den Lottozahlen, mit denen das sympathische Schwergewicht Hurley (Jorge Garcia) einst etliche Millionen Dollar gewann?

Zahlen, Namen, Bilder - alles Hinweise im großen "Lost"-Puzzle. Nicht von ungefähr sind hier einige Figuren nach Philosophen benannt (Locke, Rousseau, Bentham). Hurleys Siegerzahlen lauten: 4, 8, 15, 16, 23 und 42. Genau diese Zahlenkombination muss später auf der Insel in einen Computer eingegeben werden, alle 108 Minuten. 108 ist auch die Quersumme der Zahlen, und: nach 108 Tagen verlassen in der vierten Staffel sechs der Gestrandeten (die Oceanic 6) endlich die Insel - um später zurückzukehren.
Rückkehr eines alten (toten) Bekannten: Charlie (Dominic Monaghan, am Boden) in der parallelen Handlungswelt
Die sechste und letzte "Lost"-Staffel spielt tatsächlich zeitweise in einer anderen Welt, in einer Art Paralleluniversum. In dieser anderen Handlungswelt gibt es einen Flug 815 der Oceanic Airlines, mit allen Pro-tagonisten an Bord, der gar nicht erst abstürzt. Und das bedeutet für die sechste Staffel auch ein Wiedersehen mit bereits gestorbenen Figuren - Wiederauferstehung à la "Lost" sozusagen. Als ABC dazu Promotionbilder im Abendmahl-Look veröffentlichte, diskutierte die Fangemeinde heiß über mögliche versteckte Hinweise. Längst kursieren im Internet die wildesten Theorien, es existiert sogar ein Online-Nachschlagewerk: Lostpedia.

Antworten - das ist es, worauf die Fans jetzt warten. Mit der sechsten Staffel, die Anfang Februar in den USA mit einem großen Event auf Hawaii (wo die Serie zum großen Teil gedreht wurde) startete, beginnt der Countdown für "Lost". Star Matthew Fox hat schon mal vor zu großer Erwartung gewarnt - sie könnte enttäuscht werden. Es wird Antworten geben, aber die Frage ist, ob sie dem Zuschauer gefallen. Nichts ist unmöglich bei "Lost" - auch dass man irgendwann versteht, was dahintersteckt. Und wenn man dafür hart mit dem Kopf auf dem Boden aufschlagen muss.

Volker Bleeck