Ein kaputter Aufzug. Das war nicht die Ursache, aber vielleicht der Auslöser für den Herzinfarkt, den Stieg Larsson am 9. November 2004 erlitt. Eigentlich hatte er wie immer den Fahrstuhl in die siebte Etage nehmen wollen, um in die Redaktion des Politmagazins "Expo" zu gelangen. Er war defekt, Larsson ging zu Fuß und brach zusammen. Kurz danach war er tot.

50 Jahre alt war der schwedische Journalist und Buchautor, als er starb. Den weltweiten Siegeszug seiner Bücher erlebte er nicht mehr. Die drei Bände seiner Millennium-Trilogie gingen weltweit über 20 Millionen Mal über den Ladentisch.

Im Mittelpunkt der von ihm ursprünglich auf zehn Folgen konzipierten Krimireihe stehen der investigative Journalist Mikael Blom­kvist, der für das Politmagazin "Millennium" arbeitet, und eine junge Hackerin namens Lisbeth Salander, die mangelnden Respekt vor der Obrigkeit mit einer größeren Zahl von Piercings und Tattoos zu kompensieren scheint.

Pippi Langstrumpf als Cyberpunk

Mit Lisbeth Salander hat Larsson eine unverwechselbare Figur erfunden, eine gebrochene und doch ungemein starke Antiheldin; unfähig, soziale Bindungen einzugehen, aber sehr wohl in der Lage, grausame Rache zu üben. Pippi Langstrumpf als Cyberpunk. Selbst wer Larssons Story nicht mochte, hielt zu Lisbeth Salander. Bekennende Fans sind Frauen wie die schwedische Bestsellerautorin Liza Marklund und Alice Schwarzer.
Hollywood könnte sein Leben verfilmen

Stieg Larssons Leben, sein tragischer Tod und die teils bizarren Folgen des enormen Erfolgs seiner Bücher (samt anhaltendem Erbstreit) wären selbst ein Filmdrama wert. Würde Hollywood sein Leben verfilmen, es wäre die aufrüttelnde Geschichte eines Getriebenen, Besessenen, der auf der Suche nach Gerechtigkeit - und Erfolg - tragisch auf der Strecke bleibt. Ein Gutmensch mit Schwächen wie wir alle, aber einem Talent wie nur wenige.

Man sieht es förmlich vor sich auf der Leinwand, wie der Protagonist - vielleicht Tom Hanks - allmorgendlich im Café sitzt und verbissen auf seinen Laptop einhackt, unzählige Tassen Kaffee und einen immer voller werdenden Aschenbecher neben sich. Wie er in die Redaktion seiner politischen Zeitschrift geht, um die Welt zu verändern. Wie er seiner Freundin Eva - vielleicht Emily Watson - immer wieder erzählt, dass er irgendwann den Bestseller landen wird. Wie er drei Bücher schreibt und sogar einen Verlag findet. Und wie er an einem Dienstag im November den Aufzug nehmen will, die Treppen hochsteigt - und stirbt.
Schwarzer Filterkaffee und Unmengen Zigaretten

Stieg Larsson hat wirklich so gelebt und gearbeitet. Seine Diät bestand aus schwarzem Filterkaffee, Zigaretten (erst Selbstgedrehte, dann Marlboro Light) und dem gelegentlichen McDonald's-Menü. Filterkaffee auch deshalb, weil der in Schweden kostenlos nachgeschenkt wird - Larsson war auch notorisch pleite. Mehr als 20 Jahre hatte er bei einer schwedischen Nachrichtenagentur gearbeitet, nicht als Schreiber, sondern als Grafiker. Später gründete er das politische Magazin "Expo", aber als Geschäftsmann war er eher ungeeignet. Und für einen Reporter eigentlich immer zu nah dran am Thema, zu parteiisch. Brillant war er, wenn es darum ging, seine Meinung zu vertreten. Zum Beispiel im Kampf gegen Rechtsradikale und den aufkommenden Neofaschismus, nicht nur in Schweden.

Diese Thematik durchzieht alle seine Bücher, trotz der zuweilen oberflächlich erscheinenden Krimistory. Und darin liegt vielleicht das Geheimnis des Erfolgs: Larsson verband klassische Krimi­elemente mit gesellschaftlich relevanten Themen, starken Figuren und einer Schreibe, die den Leser in den Bann zieht. Kaum einer, der Larsson nicht wie ein Süchtiger gelesen hat. So schrieb er auch seine Bücher: wie im Wahn.

Seine Freundin hat kein Recht aufs Erbe - aber sie hat seinen Laptop

Der Epilog ist noch nicht verfasst. Momentan streiten sich sein Vater und Bruder mit Larssons Lebens­gefährtin Eva um das weiter anwachsende Erbe (etwa 24 Mio. Euro). Eva hat kein Anrecht auf das Geld (sie waren nie verheiratet), aber sie hat einen Trumpf: Larssons Laptop, mit einem zu 75 Prozent fertig­gestellten weiteren Millennium-Band, so heißt es wenigstens. Das Ende ist noch nicht in Sicht. Es bleibt spannend. 

Volker Bleeck