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Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR

"Die Wahrheit liegt meist da, wo wir sie nicht vermuten!"

1 Niki Stein 2007
Regisseur Niki Stein HR

Autor und Regisseur Niki Stein über seinen Film: "Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR" (21.10.)

Am 8. Februar 2013 stolperte ich über einen Artikel in der Rostocker Ostseezeitung: "Kanadier wollen Erdöl vor Rügen und Usedom fördern" - Erdöl in der Ostsee? Ein verfrühter Aprilscherz? Mitnichten!

Ein Kanadier, ein Deutscher, ein Inder und ein Nigerianer hatten eine Firma gegründet, nach kanadischem Recht und mit deutscher Filiale in Berlin. Und diese Zusammenstellung ließ mich sofort vermuten, dass es sich dabei entweder um die reale Variante eines Wes-Anderson-Films handelt oder um eine der größten Kolportagegeschichten der jüngeren deutschen Vergangenheit.

Nach anderthalb Jahren intensivster Recherche wusste ich: Das Letztere ist der Fall.
Öl - Die Wahrheit über den Untergang der DDR
MI, 21.10., Das ERSTE, 22.45 Uhr
Meine Recherchen führten mich zu alten Ölmännern aus der DDR. Sie hatten bereits in den frühen sechziger Jahren das schwarze Gold aus den kargen Böden Vorpommerns gequetscht, zuerst mit russischer Hilfe, sich dann aber, mit deutscher Ingenieurkunst die Technik stetig verfeinernd, zu gefragten Spezialisten im internationalen Bohrgeschäft entwickelt. Was umso bemerkenswerter ist, da ihnen in den Zeiten des "Kalten Krieges" wichtige Hilfsmittel wie mit Diamanten bewehrte Bohrköpfe nicht zur Verfügung standen, da sie sich auf den Exportverbotslisten westlicher Industrienationen befanden.

Erfindungsreichtum und Improvisationskunst machten dies wett. Um einen Eindruck davon zu bekommen, lohnt sich der Besuch im kleinen, aber feinen Erdölmuseum in Reinkenhagen, das die Ölmänner dort unterhalten. Diesen Besuch haben dann irgendwann wohl auch die Herren der oben erwähnten Firma gemacht. Sie haben sich mit den alten, erfahrenen Ölmännern der DDR unterhalten, von Experte zu Experte.

Sie haben das getan, was 20 Jahre vorher die technologischen Eliten aus dem alten Westen versäumt hatten: Sie haben die Erfahrungen dieser Männer genutzt, um jetzt genau da nach Öl zu bohren, wo es auch die DDR schon vermutet hatte. Bereitwillig überließen ihnen die alten Ölmänner ihr Wissen.
Und sie wurden fündig
Als wir für unseren Film auf dem Marktplatz von Stralsund Proteste von Umweltaktivisten filmten (ich gebe zu, sie nachstellten, denn Greenpeace achtet strikt auf die politisch korrekte Verwendung ihrer Bilddokumente), war auf einmal die Aufregung groß in der wunderschönen alten Hafenstadt, die normalerweise von den Touristen lebt, die hier bei Regentagen auf Rügen zu Tausenden einfallen: In Barth, einer kleinen Ortschaft auf dem Darß, hatten an diesem Tag die Bohrarbeiten begonnen.

Und die roten Container signalisierten über das flache Land kilometerweit sichtbar, wer hier eigentlich nach Öl bohrt: "Halliburton Oilfield Services", die texanische Firma, der von 1995 bis 2000 der spätere amerikanische Vizepräsident Dick Cheney vorstand.

Am gleichen Tag also fand eine Pressekonferenz statt, der mecklenburg-vorpommersche Energieminister Volker Schlotmann (SPD) begrüßte das Projekt. Und auch die Stadt Stralsund begann davon zu träumen, Sitz einer internationalen Ölfirma zu werden, die Arbeitsplätze versprach. Immerhin wollte die Firma in zehn Jahren zwei Milliarden Euro investieren bei erhofften vier Milliarden Euro Gewinn.
Das also teilte uns der Pressesprecher der Stadt Stralsund mit, und dass man bei der Bewilligung unserer Dreherlaubnis vielleicht anders entschieden hätte, hätte man schon vorher Kenntnis von dieser neuen Entwicklung gehabt. Trotzdem ließ man uns drehen an diesem Tag, was für die Weltläufigkeit und Toleranz der alten Hansestadt Stralsund spricht.

Aber bei mir löste diese Mitteilung eine geradezu schockartige Erkenntnis aus. Hatten wir unfreiwillig ins Schwarze getroffen? Denn hatte nicht unweit von Barth, in Trinnwillershagen, im Jahre 2006 unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu deren Wahlkreis Vorpommern-Rügen Stralsund und auch Barth gehört, George Bush und Dick Cheney nach dem Abschluss des G8-Gipfels mit einem Grillfest beglückt?

Und hatten dabei die alten Ölmänner Cheney und Bush zwischen den Schwaden gegrillten Wildscheins und Hirschbratwurst den Duft des schwarzen Goldes gewittert, der hier aus vorpommerschem Boden dringt? Sind die Herren aus Kanada, Indien, Nigeria und Deutschland, die vier Jahre später beim Bergamt Stralsund um eine Er- kundungsbohrung nachsuchten, nur Strohmänner dieser mächtigen Männer des internationalen Ölgeschäfts? Uns war plötzlich ein übermächtiger Gegner erwachsen, mit dem wir nicht gerechnet hatten.

Tatsächlich stellte diese Erkenntnis meine Recherchen auf den Kopf. Ich wusste nun, die Realität ist noch viel ungeheuerlicher: "Öl - Die Wahrheit über den Untergang des DDR" kann nur der Anfang sein. Die Suche nach der Wahrheit muss noch viel weiter gehen.

Worum es mir geht: Film muss neugierig sein und neugierig bleiben. Wenn um uns herum Zeitungen angesichts der Übermacht der "Umsonstkultur" im Internet kollabieren, Wutbürger das alte Goebbels-Wort "Lügenpresse" wieder aufgreifen und selbst ein ehemaliger griechischer Finanzminister und seine pc-Follower von "Systemmedien" schwafeln, dann müssen wir Filme- macher, Journalisten, Reporter eine eindeutige Antwort geben: Die "Wahrheit" ist nicht greifbar, man muss nach ihr suchen. Und sie ist selten bequem.

Denn die Wahrheit liegt noch immer meist da, wo wir sie nicht vermuten. Und wenn wir nicht mehr nach ihr suchen, haben wir kapituliert vor diesem Bedürfnis nach einfachen Antworten, das sich auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer mehr breit macht. Dabei kann Wahrheit nie eine einfache Antwort sein. Sie ist immer komplex und vielschichtig.

Meine Arbeit an "Öl" begann mit einer dreisten Lüge, die ich Harald Martenstein und Tom Peuckert verdanke. Aber auf der Suche nach der "Wahrheit" hinter der Lüge (und jede Lüge fußt letztlich auf einer solchen) kam Erstaunliches zutage: Was der Autor sich ausgedacht hatte, war plötzlich real. Es gab sie, die Bohrinsel, ein streng gehütetes Geheimnis der DDR. Denn Tatsächlich vermutete man auch damals schon Öl vor Rügen - das auch jetzt, mit neuer Horizontalbohrtechnik, das eigentliche Ziel der Männer von "Halliburton" ist.
Wie sagte es mir der alte Ölmann in Reinkenhagen: "Man hatte in der Danziger Bucht Öl gefunden. Warum sollte dann bei uns keines liegen?" Und man machte sich auf die Suche danach, in geheimster Mission. Denn immerhin grenzten das Seegebiet des großen Rivalen BRD und des westlichen Däne- mark an die vermutete Lagerstätte. Der VEB "Seismik" aus Leipzig leitete die Suche, offshore. Und tatsächlich kam Dynamit zum Einsatz mangels West-5/6technik.

Ich hatte das so ins Script geschrieben, ohne es beweisen zu können. Bis ich, vermittelt von einem alten Sandkastenfreund, in Rostock auf Charly traf, der mir das alles vor laufender Kamera bestätigte. Und spätestens da hatte ich begriffen: Wahr ist, was wir uns vorstellen können, den Beweis zu führen nur ein nachgeordnetes Problem.

Hauptsache, es bringt uns weiter auf der Suche nach Gerechtigkeit und einem Miteinander in Würde und Achtung. Das sollte die eigentliche Maxime unseres Filmens sein.

Und noch etwas anderes hatte ich im Laufe der Dreharbeiten zu "Öl" verstanden. Das "schwarze Gold" unseres Films ist nicht das Öl vor den Küsten Rügens. Das schwarze Gold sind die nicht erzählten Geschichten der Menschen dort. Lebensleistungen, die bis heute nicht abgerufen wurden, Erfahrungen aus einem Mangel heraus, von dem wir alle nur zu gut profitieren könnten.

Die eigentlichen Helden von "Öl" sind die alten Ölmänner von Reinkenhagen, die Hochseefischer des ehemaligen "Fischkombinats Rostock", die Naturschützer, die Mitarbeiter der BSTU in Rostock und die beiden alten Hasen eines hoffentlich noch lange bestehenden Journalismus, der von Neugierde und Hartnäckigkeit geprägt ist: Peter Brinkmann und Horst Hano. - Ihnen allen gilt mein Dank.

Ich bin mit "Öl" am Ende einer Reise angekommen. Den Film über "Halliburton" und das Grillfest in Trinwillershagen machen dann andere. Vielleicht wird ja ein "echter" Dokumentarfilm daraus, hoffentlich genau so unterstützt wie dieser ... oder ein Spielfilm, ein Theaterstück, ein Roman. Hauptsache, wir begeben uns auch weiter auf die Suche nach der Wahrheit.

Niki Stein, im August 2015