.

Mittwoch im Ersten: Gier

Die wollen nur spielen

Betrüger sind keine Gentlemen-Verbrecher warnen Dieter Wedel und Ulrich Tukur im Interview zu ihrem Zweiteiler "Gier" (MI, 20. & DO, 21.1., ARD, 20.15 Uhr)

Dieter Wedel hätte seinen Film zu keinem günstigeren Zeitpunkt platzieren können. Sein brillanter Zweiteiler "Gier" über den Hochstapler Dieter Glanz, gespielt von Ulrich Tukur, wirkt wie eine psychologische Blaupause der Wirtschaftskrise. Kernelemente wie Habsucht, Größenwahn und Vertuschung aus Angst vor Aufklärung herrschen auch in der Welt der Hochfinanz. TV SPIELFILM traf sich mit dem Regisseur und dem Hauptdarsteller an symbolträchtigem Ort: der Spielbank Hamburg.

TV SPIELFILM: Herr Wedel, Sie haben Jürgen Harksen, Vorbild für Ihren Dieter Glanz, interviewt...

DIETER WEDEL Ich habe ihn erst im Knast besucht, später wurde ihm gestattet, mich zu Hause zu besuchen. Er hat mir eine Woche lang meine Fragen beantwortet, jeweils fünf Stunden lang.

ULRICH TUKUR Ach, so lange Sitzungen waren das?

DIETER WEDEL Ja, denn nach drei Stunden lässt bei jedem die Aufmerksamkeit nach. Dann merkt man, wenn jemand anfängt zu lügen.

Harksen hat seinen Anlegern irrwitzige Renditen von 1300 Prozent versprochen. Sind die Geschädigten selbst schuld?

ULRICH TUKUR Wenn Menschen eigentlich schon mehr als genug haben und immer noch mehr haben wollen, ist das nicht nachzuvollziehen. Aber es gab auch unvermögendere Opfer.

Harksen hat also nicht nur die Reichen bestohlen, so wie er es in seiner Biografie behauptet?

DIETER WEDEL Nein, das ist natürlich nicht wahr. Ich kenne einen Millionär, dem er viel Geld abgenommen hat. Dessen Fahrer hat er aber auch um 20000 Mark erleichtert. Ich habe ein altes Ehepaar kennengelernt, das seine gesamte Altersrücklage an Harksen verloren hat. Das waren keine reichen Leute.

Glücklicherweise wurde der Täter überführt und verurteilt.

DIETER WEDEL Vermögensberater arbeiten doch genauso. Und die machen trotz Finanzkrise ungehindert weiter. Ich habe nicht gesehen, dass ein Manager wie Thomas Middelhoff verurteilt wurde. Der hat sein eigenes Unternehmen ausgeräubert. In diesem Land stimmt einiges nicht mehr. Die Regierung müsste sich viel mehr gegen das Diktat der Geldwirtschaft zur Wehr setzen.

Sie klingen ja richtig sauer!

DIETER WEDEL Diese ganze Entwicklung erschreckt mich. Außerdem bin ich selbst betrogen worden. Von einem Schweizer Vermögensverwalter. Allerdings habe ich kein Schwarzgeld angelegt wie viele andere Betrugsopfer und verfolge den Betrug daher strafrechtlich. Damit haben die Schweizer nicht gerechnet.

Was treibt den Filmbetrüger Dieter Glanz an?

ULRICH TUKUR Das ist einer, der von unten kommt, getrieben von der Sucht nach Anerkennung. Der versucht, seine Herkunft mit Kaviar, Champagner und Segeljachten wettzumachen. Das klappt aber nicht.

Wenn es brenzlig wird, lädt er, statt sich zu verstecken, die Opfer zu rauschenden Festen ein. Warum geht er das Risiko ein?

ULRICH TUKUR Er braucht sein Publikum zu sehr. Der Mann hat eine fürchterliche Angst, dass der Zug anhalten könnte, den er in Gang gesetzt hat. Er kann aber auch nicht mehr aussteigen - und fährt mit rasender Geschwindigkeit auf den Abgrund zu.

Sind Hochstapler Soziopathen, die nicht in der Lage sind, Mitleid zu empfinden?

ULRICH TUKUR Die haben kein Mitleid. Wir haben Dieter Glanz ein bisschen davon gegeben, aber eigentlich ist das nicht die Regel. Die sind in der Lage, jemanden auszuweiden, ihn zu zerstören. Dann verlassen sie den Raum - und haben es schon vergessen.

Das klingt ja wirklich gruselig...

ULRICH TUKUR Ich sage im Film: Ich bin Opfer des unmäßigen Vertrauens, das mir jedermann entgegenbringt.

DIETER WEDEL Das hätte auch von Harksen kommen können, stammt aber von einem anderen Hochstapler.

Warum wird ihnen denn so viel Vertrauen entgegengebracht?

ULRICH TUKUR Die verfügen über ein profundes Halbwissen. Die haben viel gelesen und sind in der Lage, das in den sich verändernden Situationen blitzschnell gewinnbringend einzusetzen. Und zwar so, dass die Menschen vollkommen verblüfft sind.

Gäben Sie selbst einen guten Betrüger ab?

ULRICH TUKUR Nein, ich will ja keinen Menschen verletzen. Einmal hat mich allerdings der Teufel geritten. Da fing ich in einer Runde an zu erzählen, wie ich den Untergang Königsbergs 1945 erlebt habe. Ich wollte sehen, wie weit ich gehen kann. Erst nach zehn Minuten fiel jemandem auf, dass ich das wegen meines Alters gar nicht erlebt haben kann.

Herr Wedel, "Gier" ist toll, aber manchmal auch bedrückend. Erwarten Sie eine gute Quote?

DIETER WEDEL An dieser Diskussion beteilige ich mich nicht. Die Güte eines Films hat mit der Einschaltquote nichts zu tun. So wie man den Wert eines Buchs nicht nach der Auflage bemessen kann. Ich behaupte: Kafka würde heute nicht mehr verlegt werden. Und die Welt wäre ein bisschen ärmer.

Frank Aures