Wollten Sie immer schon bei einem historischen Moment dabei sein? Dann schalten Sie am 22. Oktober um 21.45 Uhr die ARD ein. Erste Doppelfolge von "Im Angesicht des Verbrechens". Die zehnteilige Miniserie, die, kaum wahrgenommen, im Frühjahr bereits auf Arte lief, wird man in Zukunft in einem Atemzug mit TV-Meilensteinen wie "Heimat" oder "Berlin Alexanderplatz" nennen.

Erzählt wird die Geschichte des jungen Polizisten Marek Gorsky, eines Sohns jüdisch-baltischer Einwanderer. Mit seinem Kollegen kämpft er in Berlin gegen die organisierte Kriminalität. Das sind hier vor allem russische Gangster, die mit illegal hergestellten Zigaretten Millionen verdienen - und dafür über Leichen gehen. Für Gorsky werden die Ermittlungen zur persönlichen Angelegenheit, bringen sie ihn doch näher an den Unbekannten heran, der vor Jahren seinen Bruder erschoss.

Für den Zuschauer bedeuten sie einen wahren Bilderrausch. Er ist dabei, wenn in teuren Hotelsuiten der Champagner fließt, wenn nackte Prostituierte in der Ukraine auf Tontauben schießen, wenn in Berliner Russendiscos das Leben gefeiert wird, als gäbe es kein Morgen. 500 Minuten dauert die abenteuerliche Reise, in der viel russischer Originalton zu hören ist. Das ist so intensiv, dass man davon träumt.
Bewegte Produktionsgeschichte

Nicht nur der Inhalt, auch die formalen Eckdaten dieses Verbrecherepos sind außergewöhnlich: 115 Drehtage, 140 Sprechrollen und ein Budget von über 10 Millionen Euro. Mit einem Minutenpreis von fast 21 000 Euro ist "Im Angesicht..." die teuerste Serie, die je in Deutschland gedreht wurde.

Initiator dieser Unternehmung war Marc Conrad, einst RTL-Programmdirektor, später Produzent der Reihe. Er beauftragte 2005 den Drehbuchautor Rolf Basedow, für zwei Figuren aus der RTL-Serie "Abschnitt 40" eine eigene Geschichte zu entwerfen. Als sich kein Sender fand, der die Drehbuchentwicklung finanzieren wollte, bezahlte Conrad aus eigener Tasche. "Einfach, weil er wissen wollte, wie die Geschichte ausgeht", erinnert sich Basedow. Schließlich gelang es, einige WDR-Redakteure von dem Stoff zu überzeugen.

Mit Dominik Graf kam der Wunschregisseur des Senders ins Boot. Die Dreharbeiten konnten beginnen. Mit den bald in die Höhe schnellenden Produktionskosten wuchsen auch die Spannungen. Die Kalkulation sei falsch, sagte der Regisseur. Graf könne einfach keine Serie und würde daher endlos Einstellungen wiederholen, klagte der Produzent. Trauriger Höhepunkt: Im März 2008 musste Marc Conrads Produktionsfirma
Typhoon Insolvenz anmelden. Das Amt für Arbeitssicherheit brachte die Dreharbeiten im August 2008 endgültig zum Erliegen. Es sperrte den Set, weil dem Team die gesetzlichen Ruhezeiten nicht gewährt wurden. Nur mit frischem Geld und zwölf weiteren Drehtagen konnte das Werk beendet werden.Auch die bewegte Produktionsgeschichte zeugt von etwas, was sonst im Fernsehen so oft fehlt: Leidenschaft. Es ist schön, sie angesichts so vieler lieblos runtergekurbelter TV-Movies mal wieder zu spüren.

"Ja", sagt Dominik Graf. "Aber es ist nicht gut, wenn das ein Einzelfall bleibt, den man sich mal leistet. Man sollte nicht nur einmal etwas Außergewöhnliches ausprobieren und dann wieder zu den angestammten Formen zurückkehren." Recht hat er. Mehr davon!

Frank Aures
Was ist daran so gut?

DIE GESCHICHTE: Der Verhaltenskodex russischer Gangsterbanden, jüdischer Alltag in Deutschland, Morde für billige Zigaretten - all das wurde so milieugetreu noch nie erzählt. Spannend und lehrreich zugleich.

DIE INSZENIERUNG: Grafs Palette filmischer Stilmittel ist immens, mal nutzt er Split-Screen, mal zitiert er visuell aus Filmklassikern. Erfrischend: opulente Szenen, die einfach Leben zeigen - ohne den Plot voranzutreiben.

DIE FIGUREN ...sind quicklebendig und authentisch, niemand ist nur gut oder nur böse.

DIE SCHAUSPIELER überzeugen bis in die kleinste Nebenrolle. Neben Stars wie Riemelt, Zehrfeld und Bäumer begeistern hier auch viele der eher unbekannten Darsteller. Ganz groß: Alina Levshin und Marco Mandic´.