Die Piratenflagge weht wieder, Captain Jack Sparrow ist zurück auf der Leinwand. Die Rolle wird bis an sein Lebensende ein Teil von Johnny Depp sein. Nicht weil er den Piraten mit Hang zu Rum und Mascara auf ewig spielen will. Jack Sparrow hat sich auf andere Art bei dem 47-Jährigen eingebrannt - als Tattoo auf seinem rechten Unterarm.

2002, beim Dreh zum ersten Film der Reihe, hatte ihm der Maskenbildner ein künstliches Hautgemälde mit einem fliegenden Spatzen aufgemalt. Zu Ehren von Sohn John Christopher (genannt Jack), den Depps langjährige Lebensgefährtin Vanessa Paradis 2002 zur Welt brachte, wandelte er es kurz darauf in eine echte Tätowierung um.

Ein gutes Dutzend davon zieren Depps Körper. Vom Namen der elfjährigen Tochter Lily Rose in Höhe des Herzens über eine Hommage an seine Mutter Betty Sue, die ihn großzog, als der Vater Johnny mit 15 im Stich ließ, bis zum berühmtesten Kunststich: "Winona Forever", den er nach der Trennung von Winona Ryder in "Wino (= Säufer) Forever" abändern ließ.

Damals durchlebte Depp seinen absoluten Tiefpunkt. Nicht etwa wegen der amourösen Verwicklungen, sondern weil er durch die TV-Serie "21 Jump Street" zum Teenageridol geworden war - ein Image, das er hasste. Auch weil er alles an dem Drama um Cops an der Highschool als heuch­lerisch empfand: "Die Leute, die die Serie zu verantworten hatten, dröhnten sich ständig zu", erzählte Depp 2004 dem "Playboy". "Und sich dann hinzustellen und mit der Serie zu sagen: 'So, liebe Kin­der, tut das nicht', war Schwachsinn. Ich habe mich mies gefühlt, drei Jahre lang die­se Lüge zu leben."

Als er endlich aus dem Vertrag herauskam, schwor er, sich nie wieder so zu kompromittieren. Stattdessen suchte sich der Schauspieler Filme aus, die konsequent gegen den Ruf eines Mädchenschwarms gebürstet waren: So erteilte er 1994 Hauptrollen in "Speed", "Interview mit einem Vampir" und "Legenden der Leidenschaft" eine Absage und verkörperte lieber für Tim Burton den erfolglosen Filme­macher Ed Wood in einem Film, der gerade mal sechs Millionen Dollar in den US-Kinos einspielte. Auf diese Art wurde Depp für Hollywood schnell vom Hoffnungsträger zum roten Tuch.

"20 Jahre lang hatte ich den Ruf, ein Kassengift zu sein", erinnert sich der zweimalige Sexiest Man Alive. "Ich habe meinen Job nie so als Geschäft angesehen, wie ich vielleicht sollte, sondern als Kunst. Es ist wichtig, dass man das tut, was sich richtig anfühlt und nicht mit Blick darauf, was es für die eigene Karriere bedeutet." Doch was ist dann der Grund dafür, dass Johnny Depp heute das heißeste Eisen Hollywoods ist und laut US-Wirtschafts­magazin "Forbes" 2010 mit Einnahmen von 75 Millionen Dollar alle Kollegen in den Schatten gestellt hat? Mit zwei Worten: Jack Sparrow.

Die Studiobosse hatten wenig Vertrauen

Als Johnny Depp 2003 die Rolle übernahm, wurde geunkt, der ewige Rebell habe sich an den Kommerz verkauft. Schließlich stand hinter dem Projekt mit Jerry Bruckheimer der König des Actionkinos persönlich, und das Budget war mit 140 Millio­nen Dollar höher als das von Depps letzten fünf Filmen zusammen. Dabei wird gern vergessen, dass der Film durchaus ein mutiges Projekt war. Immer­hin galt das Freibeutergenre als tot, seit Geena Davis mit "Die Piratenbraut" ein ganzes Studio versenkte. Und Johnny Depp hatte bis dahin in seiner Karriere gerade mal einen Film gedreht, der in den USA die 100-Millionen-Dollar-Grenze knackte ("Sleepy Hollow").

Die Bedenken wurden nicht weniger, als die Studiobosse erste Probeaufnahmen von Depp sahen: Weil er mit Unmengen Schminke im Gesicht durch die Kulissen wankte, waren die Herren kurz davor, Depp über die Planke gehen zu lassen. Ein betrunkener, bekiffter oder - oh Gott - schwuler Pirat sind mit den Familienwerten von Disney nicht zu vereinen. Doch als sich das Publikum bei Testvorfüh­rungen vor Lachen bog, waren auch diese Zweifel ausgeräumt, und der Weg war frei für die Geburt des Megastars Johnny Depp. Eine Entwicklung, mit der er mitt­ler­weile leben kann: "Ich war nie allergisch gegen Erfolg. Ich wollte ihn nur auf einem Weg erreichen, der mich nicht entwürdigt."

Auch dass er jetzt bereits zum vierten Mal den überdrehten Captain spielt, empfindet er nicht als Verrat an seinen Idealen. Er hat einfach zu viel Gefallen an der Rolle gefunden, die ihm seine erste von mittler­weile drei Oscar-Nominierungen einbrachte. Der schöne Nebeneffekt: seine neu gewonnene Popularität verhilft plötzlich auch exzentrischeren Filmen wie etwa dem Gangsterdrama "Public Enemies" oder seinen Arbeiten mit Lieblingsregisseur Tim Burton zum Erfolg.

Vor allem "Alice im Wunderland" schlug ein. Über eine Mil­liarde Dollar spielte die Lewis-Carroll-Adaption weltweit ein und machte Depp zum ersten Schauspieler, der sich mit der Hauptrolle in zwei Milliarden­erfolgen rühmen kann. Weitere nicht ausgeschlossen, schließlich torkelt Jack Sparrow in "Fremde Gezeiten" kassenträchtig in 3D über die Leinwand, und danach spielt Depp in Filmversionen der Kultserien "Dark Shadows" und "Lone Ranger". Doch der Erfolg ist ihm egal. Er hat nur einen Wunsch: "Meine Kinder sollen irgendwann sagen können, dass ihr Papa nur die Dinge gemacht hat, die er wollte."

Rüdiger Meyer