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TV-Kritik

Schwabbel-Big-Brother

thebiggestloser
obs

Der Traum vom Normalgewicht im Albtraum des Begaff-Fernsehens.

THE BIGGEST LOSER (PRO SIEBEN, Donnerstag, 20.15 Uhr)
Foto: obs
Natürlich wurde im Vorfeld wieder jemand gefunden, der "Skandal" brüllte. Im Fall von "The Biggest Loser" war es die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Kersten Artus (Die Linke), die zum Boykott der neuen Daily Soap auf Pro Sieben aufrief.

"Schauen sie sich diese Sendung nicht an, dann bleiben sie gesünder", behauptete die hauptberufliche Redakteurin einer Programmzeitschrift und Konzernbetriebsratsvorsitzende der Bauer Verlagsgruppe. Die Hamburger Morgenpost, wo ihr Mann Betriebsratsvorsitzender ist, druckte diesen Aufruf gleich auf der Titelseite. Ihre Begründung: "Die Pro-Sieben-Abnehm-Show "The Biggest Loser" würde "neue Illusionen" wecken, "seinen Körper nach Belieben formen zu können, wenn man Diät hält und Sport treibt. Diäten machen aber weder schlank noch kann man damit gesund abnehmen."
Blöd nur, dass sich die meinungsstarke Kollegin nicht die Mühe machte, die verfügbare Presse-DVD im Vorfeld anzusehen. Denn um Diäten oder Essensverweigerung geht es in dieser Sendung gar nicht. Es wurde gezeigt, wie 14 Menschen mit teilweise krankhafter Adipositas ihre Lebensgewohnheiten ändern, um gesund zu werden. Die Methoden entsprachen den gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über gesundes Abnehmen. Es ging den Teilnehmern nicht um Modelmaße, sondern darum, wieder ein normales Leben führen zu können, wieder Treppen steigen zu können, in Flugzeugsitze zu passen oder im normalen Jeansshop einzukaufen.
Natürlich ist es wieder eine dieser Sendungen, wo dem Zuschauer demonstriert wird, wie gut er es doch hat. Für wirtschaftliches Elend ist der Zwegat zuständig, gruseliges Interieur gibt es bei Tine Wittler zu bestaunen, krawallige Blagen bei der Super Nanny und Kati Witt motiviert nun Fette, die aufgrund ihres Übergewichtes leiden. Auf allen Kanälen werden Menschen vorgeführt und es wird Wirklichkeit inszeniert. Aber so ist zeitgenössisches Fernsehen.
Wirklich übel an diesem Format ist die Inszenierung als eine Art Schwabbel-Big-Brother. In zwei Teams werden die einkasernierten Kandidaten in der Gymnastikhalle gescheucht, beim Gemüseessen gefilmt oder aber dabei, wie sie sich gegenseitig (und ganz und gar nicht inszeniert) mobben. Untermalt wird es durch den üblichen Klangteppich aus dynamischer Rockmusik und einer penetrant bellenden Off-Stimme. Rückblenden demonstrieren das maßlose Fressverhalten, das die Fettberge anschwellen ließen. Die Dramaturgie wirkt überzogen und kommt deshalb so zäh daher, dass es nicht einmal unterhaltsam ist.

Kai Rehländer
Leserkommentare:
YHelmi am 10. Januar 2009 - 10:48:
Typisch Politiker. Keine Ahnung, aber das Maul aufreissen. Aber ohne die Hinterbänkler hätten Journalisten auch weniger zu schreiben.
Andyz am 10. Januar 2009 - 10:50
Mein Gott war das langweilig. Wer will sich dieses Elend ansehen. Gibt es vielleicht bals auch eine Soap, die Renter beim Kneipen zusieht? Alle ins Dschungelcamp.
stefanB am 10. Januar 2009 - 10:52:
Hallo Herr Rehländer,

ist gibt halt solche und solche Fernsehzeitschriften und TV Spielfilm.
YEARNIVERSE am 11. Januar 2009 - 17:35:Gerade noch mal recherchiert. Die Artus ist ne Ex-Mauerschwalbe von der DKP. Das erklärt viel. Wer die Mauer für einen Antkapitalistischen Schutzwall hält... dem sollte man eigentlich zu anderen Themen auch kein Forum geben.
Saskia am 10. Januar 2009 - 10:55
Ich habe diesen Enrico (195 Kilo) vor zwei Monaten in Hamburg auf einer Veranstaltung gesehen. Der hatte 100 Kilo abgenommen. Das ist unglublich. Dem hat diese Show wirklich geholfen.
Kersten Artus am 10. Januar 2009 - 17:32
Hallo Kai,

als frauen- und gesundheitspolitische Sprecherin meiner Fraktion sehe ich in der Show eine Gefahr - unabhängig davon mit welchen pseudowissenschaftlichen Erkenntnissen sie hinterlegt wurde. Sie sind lediglich das Feigenblatt für diese voyeuristische Sendung - wie du sie letzlich ja auch kritisierst.

Menschen, die gern abnehmen möchten, klammern sich an Illusionen. Der Traum, "endlich ein normales Leben zuführen", geht einher mit den Schlankheitsidealen dieser Gesellschaft. Einmal in der Abnehm- und Diätspirale drin, steigert sich das Ganze zum Wahn, zur Sucht. Essstörungen nehmen dramatisch zu. ExpertInnen sprechen von epidemischen Verhältnissen.

Wer so übergewichtig ist wie einige der 14 Menschen, die sich bei Biggest Loser vorführen lassen, benötigt kein Publikum, sondern ärztliche Hilfe. Essstörungen wie Adipositas sind neben einer Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie mit einer Umstellung ungesunder Lebensgewohnheiten nur mit einer psychotherapeutischen Begleitung dauerhaft "in den Griff zu kriegen" - wenn überhaupt. Oftmals ist das Leiden chronisch. Nicht umsonst wird ja auch von Esssucht gesprochen. Gesundheitsschädlich sind ständige Zu- und Abnehmen an Gewicht, wie es manche Essgestörte locker mehrmals im Leben "schaffen". Es wirkt sich genauso lebensverkürzend aus, wie auch Magersucht. Apropos: Magersüchtige und BulimikerInnen haben eine verzerrte Körperwahrnehmung: Auch wenn sie normal- oder untergewichtig sind, sehen sie sich im Spiegel oder im Schaufenster ähnlich dickaussehend wie die Kandidaten und Kandidatinnen in der Pro7-Show.

Das Adjektiv "meinungsstark" nehme ich mal als Kompliment.

Ich wünsche weiterhin viel Erfolg im Job und immer einen scharfen Blick auf das Wesentliche.

Grüße, Kersten