Dieser Schnee ist kein Glitzerpulver für Weihnachtstannen. Er ist eine Urgewalt, die Häuser unter sich begräbt, die Autos von der Straße fegt und die Menschen das Fürchten lehrt. Mit anderen Worten: das perfekte Wetter. Zumindest für Baltasar Kormákur, zumindest für "Trapped".

In der Miniserie, die das ZDF in fünf Folgen à 90 Minuten ausstrahlt, ist Islands Natur so wichtig wie die Schauspieler. Der Regisseur feiert die Weite und Schroffheit der Landschaft. Aber er geht mit der Handkamera auch dahin, wo es wehtut. Mitten hinein in den Blizzard, wo tausend kleine Eisnadeln die Filmcrew peinigen, während die Schauspieler im Dunkeln tappen, weil der Schnee ihnen die Sicht raubt.

Auch in dem aktuellen 10-Teiler "Jordskott - Die Rache des Waldes" (11.04. 22.30 Uhr, ZDFneo) wird es düster und Regisseur Henrik Blörn setzt auf melancholische Panoramen. Mehr über den Mysterythriller erfährst Du hier:

Düsteres Schwedenmärchen im Stil eines David Lynch

Darum geht es in "Trapped"

Agnes (Nína Dögg Filippusdóttir) will wissen, wer das Feuer legte, in dem ein Mädchen starb

Genau darauf hatte der Filmemacher gehofft, als er sich für die Location Seydisfjördur ganz im Norden Islands entschied, ein Dorf, das für sein raues Klima berüchtigt ist. Im Film ist der Ort vom Schnee eingeschlossen, weshalb die Dorfpolizisten Andri und Agnes eine tiefgefrorene Leiche, die den Fischern im Fjord ins Netz ging, allein lösen müssen. Zu denen, die das biestige Wetter hier festhält, zählen auch die Passagiere einer ankernden dänischen Fähre. Einheimische und Touristen als Schicksalsgemeinschaft - und unter ihnen ein Mörder, der nicht fliehen kann.

Drehen in unzähmbarer Natur

Eiríkur trauert um seine tote Tochter

"Ich kenne solche Situationen aus meiner Kindheit", sagt Kormákur, "Man konnte wegen des extremen Wetters nicht zur Schule gehen, manche Dörfer waren wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten." Beim Drehen zu frieren sei nicht sein Ziel gewesen, sagt der Filmemacher mit schelmischem Lächeln beim Skype- Interview im Büro seiner Produktionsfirma RVK in Reykjavík. Aber die ungezähmte Natur lasse sich nun mal nicht im Studio einfangen.

Deshalb schickte er für seinen Kinofilm "The Deep" (2012) Kameramann und Darsteller in die eisigen Fluten des Nordatlantiks. Und deshalb lernte Jake Gyllenhaal in Kormákurs Bergdrama "Everest" (2015) den Wert langer Unterhosen schätzen, als er bei minus 20 Grad in den Dolomiten kraxelte, die im Film für den Himalaja stehen. Isländer sind, so viel steht fest, keine Warmduscher.

Vergleiche zu Schweden und Dänemark

Ólafur Darri Ólafsson als Kommissar Andri

Hinterwäldler sind sie "Trapped" zufolge auch nicht. Das unterscheidet die isländische Serie vom Schneekrimi "Fargo", in dem sich die Coen-Brüder so liebevoll wie böse der Marotten der Provinzler annehmen. Die lokalen Cops ermitteln im Gegenteil äußerst zielstrebig und clever, auch wenn ihnen schon mal eine Leiche abhandenkommt.

Für Regisseur Kormákur, der auch die Idee zur Serie hatte, war von Anfang an klar, dass er nicht die erfolgreichen Krimis aus den Nachbarländern Schweden und Dänemark kopieren konnte, denn in seiner Heimat gibt es kein Pendant zum Stockholm von "Kommissar Beck" oder zu Malmö und Kopenhagen in "Die Brücke". Zudem sind Isländer Großstadtglanz gegenüber skeptisch. Verspiegelte Fassaden und gegelte Wichtigtuer, die im verglasten Lift in die Chefetage fahren, mögen die Einheimischen gar nicht.

Isländer und Dänen geraten durchaus mal aneinander, auch in "Trapped", wo sich der dänische Kapitän der Fähre als geiziger Unsympath entpuppt. Aber wenn es um Fernsehfiktion geht, sind sie ähnlich ambitioniert. "Eigentlich sind wir wie Brüder und Schwestern, aber manchmal können wir einfach nicht vergessen, dass wir bis zur Unabhängigkeit 1944 unter dänischer Herrschaft lebten", erklärt der hünenhafte Hauptdarsteller Ólafur Darri Ólafsson.

Dessen Bewunderung für dänische Serien ist groß, gelten sie doch als ein Beispiel dafür, dass auch ein kleines Land auf dem Niveau der übermächtigen US-Konkurrenz drehen kann.

Die Kunst der Multiplotstruktur

Andris Kinder haben Angst vor dem Mörder

Ein dramaturgisches Charakteristikum dänischer Qualitätsserien wie "Die Brücke" findet sich geradezu idealtypisch auch in "Trapped". Es ist das Prinzip des "Double Storytelling", bei dem die klassische Genreerzählung, also hier die Aufklärung des Mordfalls, mit aktuellen Themen verknüpft wird, die uns ethisch und sozial herausfordert. So sehen sich die Bewohner von Seydisfjördur vor die Frage gestellt, ob sie ihre Grundstücke an die Chinesen verkaufen sollen, die möglicherweise an ihrer Küste einen gigantischen Hafen errichten wollen.

In einem anderen Fall, der eher die persönlich-existenzielle Ebene berührt, müssen der Freund und der Vater eines Mädchens, das in der Anfangssequenz in einem Haus verbrennt, mit dem Tod eines geliebten Menschen klarkommen.

Durch die Verknüpfung von familiärer Situation, globaler Ökonomie und individueller Schuld entsteht eine dichte Multiplotstruktur, die zusammengenommen ein Netz scheinbarer Unentrinnbarkeit ergibt. Das Verbrechen kann als ein Sinnbild dafür gesehen werden, dass am Ende, wie in den alten nordischen Sagen, das Unheil über das Heil triumphiert. Das verbindet die meisten Erzählungen der skandinavischen Länder, was ihnen im Fernsehen das Label Nordic Noir eingebracht hat.

Zu spannend, um auf Klo zu gehen

In "Midnight Sun" (Herbst, ZDF) ermittelt eine französisch-algerische Kommissarin in Nordschweden

Ohne Mord scheint es aber in der globalen TV-Welt nicht zu gehen. Rund 80 Prozent der fiktionalen Fernsehproduktionen, die zurzeit auf internationalen Fernsehmessen wie der Mipcom in Cannes angeboten werden, sind im weitesten Sinn Krimis. Während der Humoraustausch manchmal selbst zwischen Nachbarn wie Frankreich und Deutschland nicht klappt, sind Mord und Totschlag sowie ihre Ahndung auch in anderen kulturellen Kontexten schnell begreifbar.

In jüngster Zeit nimmt allerdings das Drama einen immer größeren Platz ein, auch im Krimi, auch bei den Skandinaviern. Wolfgang Feindt, der beim ZDF die deutsch-skandinavischen Co-Produktionen betreut, zitiert als Beispiel die neue Serie "Die Springflut", die von dem Team stammt, das auch "Die Brücke" verwirklicht hat. In dem Zehnteiler ist der Mord an einer Schwangeren vor allem der Auslöser, um das persönliche Drama der Figuren zu erzählen.

Ein weiterer Trend ist die Konzentration auf "Crime and Nature", in der Eigenschaften der Landschaft, in der die Tat geschah, eine besondere Bedeutung erhalten. Die kann mal extrem sein wie in "Trapped" und mal fantastisch wie in "Midnight Sun". In der schwedisch-französischen Produktion (noch dieses Jahr im ZDF) wähnt man sich landschaftlich auf einem fremden Planeten.

Und auch in Island wird fleißig weitergedreht. "Trapped" war in der Heimat so erfolgreich, dass am Tag der Ausstrahlung der Wasserverbrauch um die Hälfte zurückging. Offensichtlich weil keiner sich traute, aufs Klo zu gehen, aus Angst, etwas zu verpassen. Kormákur wünscht sich eine ähnliche Aufmerksamkeit bei seinem neuen Projekt: eine TV-Serie nach dem Roman "Unabhängige Menschen" des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness.

Autor: Rainer Unruh