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"Wüstenblume" (MO, 27.8.)

"Der Tag der mein Leben veränderte"

Waris bedeutet Wüstenblume, eine Blume, die auch unter sehr harten Bedingungen gedeiht. Es ist aber auch der Name des somalischen Models, das sich gegen die Beschneidung von Frauen stark gemacht hat (MO, 27.8.)

Ein einziger Tag kann ein Leben verändern und Narben auf Körper und Seele hinterlassen. Das weiß auch das somalische Ex-Topmodel Waris Dirie. Waris bedeutet Wüstenblume, eine Blume, die auch unter sehr harten Bedingungen gedeiht. Ein passender Name für eine Frau, die mit ihrer Kraft und ihrem Mut für Millionen von Frauen zum Symbol für Hoffnung und Gerechtigkeit avancierte. Waris Dirie ist die erste Frau, die die Weltöffentlichkeit auf die Praxis weiblicher Genitalverstümmelung aufmerksam machte.

In ihrer Biografie und dem gleichnamigen Film Wüstenblume (ARD am 27.8., 20.15 Uhr) schildert das aus der somalischen Wüste stammende Exmodel Waris Dirie, wie eine Zigeunerin ihr mit einer Rasierklinge ohne Betäubung die Klitoris und die Schamlippen entfernt und ihr danach das Geschlecht bis auf eine steichholzgroße Öffnung zum Urinieren und Menstruieren zunäht. Da war sie gerade fünf Jahre alt. Dirie wäre fast verblutet. Noch heute hat sie Schmerzen. Ein normales Liebesleben konnte sie nie führen.

So wie Dirie geht es nach Angaben von UNICEF mindestens 150 Millionen Frauen weltweit. Vornehmlich in muslimisch geprägten Ländern Afrikas, aber auch in Deutschland bei Immigranten. Täglich werden weitere 8000 Mädchen genital verstümmelt. Über 3000 Jahre alt ist dieses brutale Ritual, das dazu dienen soll, das Sexualleben der Frau zu kontrollieren. Nur Mädchen, die beschnitten sind, gelten als rein und ehetauglich.

"Sehr gut. Jetzt bist du eine Frau"

Das war "der Tag, der mein Leben veränderte", erinnert sich Dirie an den schrecklichsten Tag in ihrem Leben, als wäre es gestern. Damals ging sie mit ihrer Mutter früh morgens in die Wüste hinaus. Irgendwann erblickte sie eine kleine Menschenmenge, ihre vertrauten Tanten und Cousinen waren dort und eine fremde Frau. Dirie wurden die Augen verbunden, ihre Mutter hielt sie fest. Sie hatte sich so auf diesen Tag gefreut, jetzt aber war sie verunsichert. Ihr Herz fing an zu klopfen.

Dirie verrutschte der Augenverband und sie erblickte eine blutverschmierte Rasierklinge, welche die fremde Frau in der Hand hielt. Dirie hatte furchtbare Angst, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie fing an zu schreien und wollte sich losreißen, aber ihre Mutter, die Person, der sie am meisten vertraute, ignorierte die Schreie ihrer Tochter. Dirie konnte den Klang der stumpfen Rasierklinge, die durch ihr Fleisch schnitt, hören. Sie schrie vor Schmerzen und verlor das Bewusstsein.

Als sie wieder aufwachte, versprach ihre Mutter: "Es ist gleich vorbei." Aber das war es nicht. Mit Akaziendornen stach ihr die Beschneiderin Löcher in die Geschlechtsteile, durch die sie anschließend einen festen Faden zog, um sie zuzunähen. Dirie wurde erneut bewußtlos. Als sie erwachte, lag sie auf dem Boden und konnte sich nicht mehr bewegen, ihre Beine waren von der Ferse bis zur Hüfte mit Stoffstreifen verschnürt. Sie schaute zur Seite und erblickte eine Blutlache auf dem Felsen. Daneben trockneten Teile ihrer Genitalien in der Sonne. "Sehr gut. Jetzt bist du eine Frau", flüsterte ihre Mutter.

Ein Erlebnis, das die Frauen nie vergessen werden
Das Ritual der Frauenbeschneidung hinterlässt neben körperlichen (lebensgefährliche Blutungen, Infektionen, Schmerzen beim Urinieren, Geschlechtsverkehr und Gebären), vor allem seelische Wunden. Es ist eine Erinnerung, die sie nie wieder vergessen werden. Das Erlebnis der Verstümmelung geht für die Frauen einher mit Angst, Unterwerfung, Hemmung und Unterdrückung der eigenen Gefühle.

Besonders traumatisierend ist für die Betroffenen, dass sie meist durch sehr vertraute Personen, wie die Mutter oder die Tante, an die Beschneiderinnen übergeben werden.

Startschuss in ein neues Leben

"Als ich nach dieser schrecklichen Tortur wieder das Bewusstsein erlangte, wusste ich, obwohl ich noch ein kleines Mädchen war, dass mit mir etwas geschehen war, das unrecht und falsch war. Obwohl ich nicht wusste wie, wann und wo, war mir klar, dass ich eines Tages dagegen kämpfen würde", erinnert sich Dirie in einem Interview.

So passiert es, dass sich die Somalierin, die nie Lesen und Schreiben gelernt hat, wie durch ein Wunder ihren Weg bahnt und am Ende zu einem der bekanntesten Models und Menschenrechtsaktivistinnen der Welt wird.

Vom Wüstenkind zur Menschenrechtsaktivistin

Mit gerade mal 13 Jahren flieht Dirie 1978 allein in die Landeshauptstadt Mogadischu zu ihrer Tante, um der Zwangsheirat mit einem Mann zu entgehen, der ihr Großvater hätte sein können.
1981 landet sie in London und arbeitet als Dienstmädchen im Haus ihres Onkels, der somalischer Botschafter in London ist. Als dieser nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Somalia (1982) die britische Hauptstadt verlassen muss, flüchtet sie aus der Botschaft. Sie lebt zunächst auf der Straße, bevor sie als Reinigungskraft bei McDonalds anheuert.

Dort wird die damals 18-Jährige von dem englischen Star-Fotografen Terence Donovan entdeckt, der ihr Zutritt in die internationale Modelwelt verschafft. Waris Dirie erhält als erstes afrikanisches Model einen Exklusivvertrag beim Kosmetikkonzern Revlon und ziert die Titelseiten sämtlicher großer Magazine.

Trotz ihres Erfolges erinnert sie sich immer wieder an ihre tragische Vergangenheit. 1997 vereinbart die Zeitschrift Marie Claire ein Interview mit dem Supermodel. Nun fasst Dirie einen mutigen Entschluss: Sie will nicht erneut nur über Laufstege und Fotoshootings reden, sondern stattdessen eine wahre, ergreifende Geschichte erzählen.

So beginnt sie, der Reporterin von ihrem Leben in Somalia und ihrer Verstümmelung zu erzählen. Es fällt ihr schwer, doch sie muss immer an dieses Mädchen denken, das morgen verstümmelt werden soll: "Stopp! Haltet an! Fasst sie nicht an! Ich komme!" Also erzählt Dirie weiter.

Als das Interview endet, laufen der Reporterin Tränen übers Gesicht. Sie verspricht, die Geschichte zu veröffentlichen. Die Leser sind erschüttert. Eine weltweite Welle des Mitgefühls und des Protestes nimmt ihren Lauf.

"Manchmal muss man die Hälfte von sich verlieren, um etwas zu verändern"

Dirie ist froh über ihren Schritt in die Öffentlichkeit, auch wenn sie weiß, dass dieses Thema, und somit ihre traurige Vergangenheit, von nun an ihr Leben beherrschen werden. Seitdem ist sie unentwegt im Einsatz für eine Welt ohne weibliche Genitalverstümmelung. Sie wird UN-Sonderbotschafterin, tritt bei unzähligen Foren, Konferenzen und Charitydinners auf und gründet ihre eigene Stiftung, die Desert Flower Foundation.

Ihr Verdienst ist ihr Mut, der sie zum weltweiten Vorbild und Symbol für die Hoffnung macht.

Leila Halim