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"Wüstenblume"-Autorin Waris Dirie über ihren Kampf gegen Genitalvestümmelung

Schutzengel der Mädchen

Nomaden-Tochter wird Topmodel: Der Kinofilm "Wüstenblume", den die ARD als Free-TV-Premiere zeigt, schildert das Leben von Waris Dirie.

Schutzengel der Mädchen

Der Kinofilm "Wüstenblume", den die ARD als Free-TV-Premiere zeigt, schildert das Leben von Waris Dirie. Das Kind bitterarmer Nomaden aus Somalia wurde ein weltweit gefeiertes Topmodel, das sich seit 1997 gegen die traditionelle Genitalverstümmelung von Mädchen in Afrika und Asien engagiert, die sie selbst im Alter von fünf Jahren erlitten hat.

Die Autobiographie "Wüstenblume" von Waris Dirie ist ein weltweiter Bestseller mit einer Gesamtauflage von mehr als elf Millionen Exemplaren. Als 2009 die Verfilmung der deutsch-amerikanischen Regisseurin Sherry Hormann mit dem äthiopischen Model Liya Kebede als Titelheldin ins Kino kam, stieg das Buch erneut in die Top Ten der meistverkauften deutschen Bücher ein. Wir sprachen mit Waris Dirie, die inzwischen mit ihrem polnischen Freund sowie zwei eigenen und zwei adoptieren Kindern in Danzig lebt.

Frau Dirie, wie hat sich die Sitution der Frauen, die von genitaler Verstümmelung (FGM) bedroht sind, seit der Veröffentlichung Ihres Buchs "Wüstenblume" im Jahr 1997 verändert?

Waris Dirie: Es gibt heute in vielen Ländern, auch in Afrika, Gesetze gegen FGM und es gibt Aufklärungskampagnen. Durch die starke Immigration nach Europa ist FGM mittlerweile auch hier weitverbreitet. Nur in Frankreich gibt es wirksame Maßnahmen. Alle anderen europäischen Regierungen tun nichts, um dieses Verbrechen an unschuldigen Mädchen, das vor ihrer eigenen Haustür in Berlin, London oder Wien stattfindet, zu stoppen, obwohl mehr als 500 000 Opfer in Europa leben.

Haben das Buch und seine Verfilmung Auswirkungen auf die Lage der Frauen in Somalia gehabt?

Waris Dirie: In Somalia herrscht seit 20 Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Es ist also schwer, diesen Film überhaupt in Somalia zu zeigen. Aber wir haben ihn sehr erfolgreich in vielen anderen Ländern gezeigt, in denen FGM praktiziert wird, wie Äthiopien, Nigeria, Ghana oder Dschibuti sowie in afrikanischen Communities in Europa, den USA und Australien. Vor allem die afrikanischen Männer waren geschockt, denn sie haben keine Ahnung, was den Mädchen angetan wird.

Warum halten so viele afrikanische Gesellschaften an dieser grausamem Praxis fest?

Waris Dirie: In vielen afrikanischen, aber auch arabischen und asiatischen Gesellschaften heiraten Männer Mädchen nur dann, wenn sie beschnitten sind. Eine beschnittene Frau empfindet beim Sex große Schmerzen und bleibt so dem Mann treu. Sie bekommt jedes Jahr ein Kind, putzt, kocht und arbeitet für den Mann und die Familie gratis, das ist die gängige, für mich sehr zynische Meinung.

Warum protestieren die Mütter nicht gegen die Tortur, die ihren Töchtern angetan wird?

Waris Dirie:
Ist das Mädchen nicht beschnitten, bezahlt niemand einen Brautpreis. Das Mädchen ist unverheiratbar und bleibt in der eigenen Familie. Der Brautpreis ist allerdings für arme Familien die Altersvorsorge. Es ist ein Teufelskreis, der nur durchbrochen wird, wenn die Menschen aus der Armut entkommen, die Kinder zur Schule gehen und aufgeklärt werden und wenn Frauen in diesen Gesellschaften endlich mit Liebe und Respekt behandelt werden.

Was können wir im Westen tun, um diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen?

Waris Dirie:
Investiert in Schulen und in Arbeitsplätze. Nur durch eigene Arbeit und Einkommen kommen Frauen aus der Armutsfalle. Und natürlich muss man auf Regierungen Druck ausüben, damit Gesetze gegen FGM erlassen und umgesetzt werden und Täterinnen hart bestraft werden.

Was tut die Desert Flower Organisation, damit die Beschneidungen aufhören?

Waris Dirie:
Unser erstes Ziel ist und war, möglichst viele Menschen über dieses grausame Verbrechen an Mädchen aufzuklären. Noch immer wissen viele Menschen nicht, dass es FGM gibt und schon gar nichts über die katastrophalen körperlichen und seelischen Folgen. Obwohl 150 Millionen Frauen weltweit davon betroffen sind. Wir helfen vielen Frauen aber auch persönlich, und Sie können an die Desert Flower Foundation (www.desertflowerfundation.org ) und an mich ([email protected]) direkt schreiben, und wir versuchen, möglichst allen zu helfen. Seit der Gründung meiner Foundation 2002 haben wir über 90 000 E-Mails aus der ganzen Welt bekommen. Man sieht also, dass hier ein großer Informations- und Hilfsbedarf vorhanden ist, da sich Regierungen um die Frauen einfach nicht kümmern.

Wurden Sie jemals von Menschen oder Gruppen bedroht, die an der Genitalverstümmelung festhalten wollen?

Waris Dirie:
Ab und zu gibt es Menschen, die mit meiner Arbeit nicht "einverstanden" sind, weil sie irrtümlich glauben, dass FGM von Religionen vorgeschrieben wird, bzw. dass FGM etwas mit Kultur oder Tradition zu tun hat. FGM hat aber nichts mit Religion, Kultur oder Tradition zu tun, es ist ein Verbrechen an unschuldigen Kindern, die ihr Leben lang an den seelischen und körperlichen Folgen leiden. Nur wenn man aufklärt und die Täter streng bestraft, wird man diese brutale Folter beenden.

Rainer Unruh

Wüstenblume
MO 27.8. ARD 20.15