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Wie die "Lindenstraße" tagesaktuell wird

25-Jahre-Jubiläum

Am 8. Dezember 1985 lief in der ARD die erste Folge der Lindenstraße. Ein Markenzeichen des Seriendauerbrenners ist der aktuelle Bezug. Und wie machen die das?

Die griechische Paketbombe für Angela Merkel brauchte nicht mal eine Woche bis in die Lindenstraße. Am 2. November, einem Dienstag, war das verdächtige Päckchen entdeckt worden, schon am darauffolgenden Sonntag durfte die besorgte Helga Beimer am Frühstückstisch bemerken: "Wenn sogar eine Paketbombe im Bundeskanzleramt ankommt!"

Aufgezeichnet hatte man diese kurze Szene am Donnerstag davor. Das Verrückte: Die komplette Folge 1301 war da schon seit dreieinhalb Monaten im Kasten, das Drehbuch gar schon anderthalb Jahre zuvor geschrieben worden. Zu der Zeit ahnte wohl nicht einmal der Absender etwas von der Paketbombe an die Bundeskanzlerin.

Aktuelle Bezüge dieser Art sind ein Markenzeichen der "Lindenstraße", und mit ihnen steht die von Hans W. Geißendörfer vor 25 Jahren gestartete Serie ziemlich allein da im deutschen Fernsehen. Man stelle sich etwa vor, das Kölner "Tatort"-Duo würde nach gelöstem Fall noch schnell durchsagen, wer anschließend bei Anne Will zu Gast ist. Laut Geißendörfer geht so etwas in der "Lindenstraße" theoretisch noch bis eine halbe Stunde vor Ausstrahlung am Sonntag. Aber wie machen die das?
Foto: ARD, Folge 1: "Herzlich willkommen". Im 1. Stock von Haus Lindenstraße Nr. 3 wohnen die Beimers: v. l. Tochter Marion (Ina Bleiweiß), Mutter Helga (Marie-Luise Marjan), Vater Hans (Joachim Hermann Luger), Klausi (Moritz A. Sachs, vorn Mitte), sein älterer Bruder Benny (Christian Kahrmann, r).
Extraetat für nachgedrehte Szenen

Wichtig ist: Die Aktualisierung muss auch zu der jeweiligen Figur passen, denn nicht jedem "Lindenstraßen"-Bewohner nimmt man ab, was ihm an - oft politischer - Meinung in den Mund gelegt wird. Taxifahrer Andy Zenker würde sich mehr darum sorgen, ob Bayern München in der Champions League bleibt, als dass Deutschland einen Platz im UN-Sicherheitsrat bekommt. Und nicht immer gelingt das News-Tuning. Manches wirkt so, wie es ist: aufgepfropft, nachträglich drangeklatscht. Treue "Lindenstraßen"-Seher ahnen die Momente schon voraus und schließen Wetten ab, welches aktuelle Ereignis kommentiert oder thematisiert wird. Darüber befindet im Übrigen eine kleine Runde in einer montäglichen Redaktionskonferenz, bestehend aus Geißendörfer, der Dramaturgin und den zuständigen Redakteuren beim WDR. Zustimmen müssen alle, zahlen muss Geißendörfer, der die "Lindenstraße" mit seiner Firma GFF für den WDR produziert. Für die Auffrischung einer Folge gibt es ein Sonderbudget. Aus Etatgründen habe er das noch nie verweigert, sagt Geißendörfer, aber natürlich müssen Verhältnis stimmen und Anlass: "Wegen einer Fußballaktualisierung gebe ich keine zehntausend Euro aus."
Die größte Herausforderung aber sind die sozialen, politischen Themen, die bereits in Drehbücher und Storylines einfließen. Es gehört schon viel Gespür dazu, etwas auf die "Lindenstraßen"-Agenda zu setzen, das die Gesellschaft auch in anderthalb Jahren noch bewegt. Das ist der Serie in 25 Jahren aber immer wieder gelungen, ob es um Organhandel, Afghanistaneinsatz oder Islamismus ging. Und man scheut auch Tabus nicht - hier gab es den ersten Kuss zweier Schwuler und den ersten Aidstoten im TV.

Zum Jubiläum gesteht der WDR seinem Dauerbrenner und Quotenbringer eine um zehn Minuten längere Episode zu. Außerdem gibt es eine Sonderfolge, die im Rahmen der "Lindenstraße"-Kultnacht gezeigt und auf DVD veröffentlicht wird. In diesen Tagen steht übrigens auch die Vertragsverlängerung mit dem WDR bis 2014 an. Geht's weiter in der Lindenstraße? Bestimmt. Aktualisierung demnächst an dieser Stelle.

Volker Bleeck

Und hier geht's zur Lindenstraße!