Sein Leben lang hatte er alles unter Kontrolle: als Profifußballer des FC Bayern und der Nationalmannschaft die gegnerischen Teams, später als Manager und als Präsident die sportlichen und finanziellen Geschicke seines Vereins. Er machte den FC Bayern zu dem europäischen Vorzeigeclub und sich selbst damit zu einem der einflussreichsten Fußballmanager der Welt.

Ulrich Hoeneß, von ­allen nur Uli genannt, war ein Siegertyp, einer, der die Regeln, nach denen er spielen wollte, selbst bestimmte. Jetzt sitzt er auf der Anklagebank im Saal 134 des Münchner Landgerichts und muss sich wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5 Millionen Euro verantworten. Der anklagende Staatsanwalt Achim von Engel gilt als harter Hund und Experte in Sachen Steuerkriminalität, Richter Rupert Heindl als nicht minder kompetent und jeglichen Deals abgeneigt.
Hoeneß' Blick geht ins Leere. Die Spielregeln, die in ­einem Gerichtssaal gelten, beherrscht er nicht. Der Kontrollfreak hat die Kontrolle verloren. So zeichnet es das Dokudrama nach, dessen Kernstück die vier Prozesstage im März 2014 sind, bei denen Kameras und Foto­grafen draußen bleiben mussten.

Thomas Thieme (der schon Helmut Kohl verkörperte) spielt Hoeneß, der sein Lebenswerk in Trümmern liegen sieht: "In diesem Film kommt zutage, was bislang niemand gezeigt hat. Darzustellen, was während des Prozesses in Hoeneß vorging, war die Herausforderung, die mich gereizt hat."

Nur wenige Journalisten waren bei Gericht anwesend, unter ihnen Annette Ramelsberger, langjährige Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung". Auf ihren Protokollen basiert der Film "Uli Hoeneß - Der Patriarch", den Regisseur Christian Twente in einem Mix aus Dokumaterial und fiktionalen Elementen zusammengefügt hat. Elf Drehtage hatte er, davon fünf für den Prozess, der im März 2014 mit einer Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Haft endete.

In monatelanger Recherche­arbeit haben die Filmemacher Dokumentarisches zusammengetragen und viele Gespräche geführt. Freunde, darunter die Journalisten Hans-Ulrich Jörges und Waldemar Hartmann, aber auch Gegner wie Münchens Ex-Oberbürgermeister Christian Ude oder der frühere Werder-Bremen-Manager Willi Lemke kommen zu Wort. Gegenübergestellt ergibt das ein stimmiges Bild eines Mannes, der polarisiert.

"Wir wollen nicht Stellung beziehen, sondern den Menschen Hoeneß in seiner ganzen Ambivalenz zeigen", betont Produzent Walid Nakschbandi, der den ­früheren Bayern-Boss seit 1994 kennt. "Hoeneß war einer der einflussreichsten Strippenzieher der Republik. Er aß mit Jour­nalisten, Politikern und sogar der Kanzlerin zu Mittag, und sie alle schätzten ihn wegen seiner Art, unverblümt seine Sicht der Dinge zu sagen."

Zocken rund um die Uhr

Gern gerierte er sich als mora­lische Instanz. Er setzte sich öffentlich für den straffällig gewordenen Bayern-Spieler Breno ein, er half dem finanziell strauchelnden FC St. Pauli, er spendete Millionen. 2005 sagte Hoeneß in einem Interview: "Ich weiß, dass das doof ist, aber ich zahle volle Steuern." Dabei hatte er zu dieser Zeit längst ein Konto bei der Schweizer Bank Vontobel, von dem aus er hochspekulative Devisengeschäfte abwickelte.

Hoeneß zockte wie ein Süchtiger. Rund um die Uhr. "Mit wem wir auch gesprochen haben, sie alle sagten, der Hoeneß-Pager habe ständig gepiept, weil er selbst auf dem Golfplatz seine Aktienzockerei nicht lassen konnte", sagt Peter Arens, Leiter der ZDF-Hauptredaktion, die das Dokudrama verantwortet. 50 000 Transaktionen sollen es zwischen 2001 und 2010 gewesen sein. Viele brachten Gewinn, manche Verlust, keine wurde in der Steuererklärung angegeben.

Suchender Blick im Gericht

Viel ist über die hektisch zusammengeschusterte Selbstanzeige berichtet worden, die Hoeneß im Januar 2013 beim Finanzamt Rosenheim einreichte. Was sich im Hause Hoeneß abspielte, als die Steuerfahndung am 20. März 2013 in aller Herrgottsfrühe bei ihm klingelte, haben die Filmemacher nachgestellt. Thomas Thieme spielt den Moment, in dem Hoeneß zum ersten Mal ­alles durch die Finger gleitet, so intensiv, dass einem der mäch­tige Fußballmanager beinahe leidtun könnte. Seine zierliche Frau Susi, so erzählte es der Staatsanwalt, nahm den wankenden Koloss tröstend in die Arme.

"Susi Hoeneß war im Prozess an seiner Seite", sagt Regisseur Twente, "Sie hat wohl nicht annähernd von den Ausmaßen seiner Verstrickungen gewusst. Es müssen schockierende Erkenntnisse gewesen sein, aber sie hat sich den Kameras gestellt. Er hat im Gerichtssaal ständig ihren Blick gesucht, sie war und ist sein Fels."

Hoeneß hat das Urteil akzeptiert, nach sieben Monaten Haft wurde er Freigänger, arbeitet inzwischen wieder beim FC Bayern in der Jugendarbeit. Nicht jeder beim FCB, so wissen die Filmemacher, will ihn dort wieder als Präsidenten sehen, aber Chris­tian Twente wettet: "Der der hat noch lange nicht fertig. Uli Hoeneß will die Kontrolle über sein Leben zurück."

Susanne Sturm

Uli Hoeneß - Der Patriarch
DO, 27.8., ZDF, 20:15 Uhr