Die nackte Wahrheit über die Mühsal wissenschaftlicher Arbeit kann manchmal ganz schön verfänglich sein. Zwar setzt auch Dr. William Masters den unbestechlichen Blick eines Forschers auf, wenn er sich in der neuen US-Serie "Masters of Sex" mit Stoppuhr und Notizblock bewaffnet erstmals seinen Studienobjekten widmet.

Dass er zu diesem Zweck in einem Schrank hockt, um die Prostituierte Betty beim Sex mit ihrem Freier zu studieren, gehört allerdings nicht zu den Gepflogenheiten seriöser Datenerhebung - schon gar nicht in den prüden 1950er-Jahren in den USA.
"Damals hat Sex komplett hinter verschlossenen Türen stattgefunden", ordnet Michael Sheen ("Midnight in Paris") die ungewöhn­lichen Methoden des von ihm dargestellten Dr. Masters ein. "Niemand hat darüber geredet, es gab keine Ratgeber, nichts." Entsprechend begrenzt war auch das Wissen der Sexualforscher.

Auf die enorme Dauer ihres Höhepunktes angesprochen, winkt die vorab gebriefte professionelle Probandin Betty ab: alles nur Fake. Das offensichtliche Erstaunen ihres Gegenübers bewegt Betty dann noch zu einem guten Rat: Wenn Masters etwas über Sex erfahren wolle, solle er sich für seine Untersuchungen am besten eine Partnerin suchen.

Vorabend der sexuellen Revolution

Die Initialzündung für ein so un- wie außergewöhnliches Wissenschaftsduo, das in Amerika zwischen 1957 und 1990 mit seinen Studien und Büchern zum menschlichen Sexualverhalten nicht nur in Fachmagazinen für Schlagzeilen sorgte: Denn der Gynäkologe Masters wählte für seine Recherchen keine anerkannte Kollegin aus, sondern Virginia Johnson, eine früh emanzipierte Frau, alleinerziehende Mutter, Aushilfssekretärin und Studienabbrecherin.

"Für mich ist Virginia eine Mutterfigur für alle folgenden Frauengenerationen", schwärmt Lizzy Caplan ("Die Hochzeit unserer dicksten Freundin") über ihren Serienpart. "Sie hat Frauen zu verstehen gegeben, dass es okay ist, Fragen zu ihrem Körper und zur Sexua­lität zu stellen und ein unkonventionelles Leben führen zu wollen, statt das zu tun, was andere erwarten."

Weibliches Selbstbewusstsein, das Caplan mit Haut und Haaren verkörpert - buchstäblich. "Ich bin Virginia vermutlich sehr ähnlich. Ich will eine Familie, aber auch ein eigenes Leben und eine Karriere." Großen Respekt hatte sie dennoch vor der Rolle, die ihre Laufbahn nachhaltig beeinflussen dürfte.

"Ich bin es gewohnt, Komödien zu drehen - da hat es mich schon etwas eingeschüchtert, so eine ernste Rolle zu spielen." Verrückt und urkomisch sei "Masters of Sex" aber trotzdem: "Selbst heute wäre es doch unvorstellbar, dass man in ein Krankenhaus geht und die angestellten Ärzte und Schwestern bittet, sich für eine Studie freiwillig zum Sex zur Verfügung zu stellen!"

Tabubrüche in Serie

Nicht der einzige Tabubruch, den Masters und Johnson im Rahmen ihrer Studien und gegen erhebliche Widerstände gewagt haben. Ein Therapieansatz hätte den beiden sogar fast ein Verfahren wegen Prostitution beschert. "Masters hat Surrogate eingesetzt", erzählt Michael Sheen, "Prostituierte, die mit Männern mit diversen Sexproblemen geschlafen haben. Sie waren quasi Sex-Coaches. Das war ein unglaubliches Konzept."

Klar, auch diese Serie folgt dem Sex-sells-Prinzip, das schon "The Tudors" oder "Game of Thrones" im US-Kabelfernsehen auf die Sprünge half. Doch ist sie weit davon entfernt, möglichst viele Kopulationsszenen sinnfrei aneinanderzu­reihen. Im Gegenteil, "Masters of Sex" bringt alle Voraussetzungen mit, das nächste große Serien-Ding aus den USA zu werden: hervorragende Hauptdarsteller und Drehbücher (Michelle Ashford, "The Pacific"), der Look im Stil von "Mad Men" und dank der zugrunde liegenden Masters-und-Johnson-Biografie des US-Journalisten Thomas Maier ein schier unerschöpfliches Reservoir an Anekdoten aus dem abenteuerlichen Leben des Forscherpaars.

Frank Steinberg/Nadine Sieger

Masters of Sex
DO, 5.12. Sky Atlantic HD, 22:00 Uhr