Zwölf Uhr mittags: Produzent Christian Becker führt den TV SPIELFILM-Besucher im knöcheltiefen Matsch durch die Westernstadt Roswell. Vorbei am Saloon, der Schmiede, dem Bürohaus der Railroad Company bis zur wuchtigen Eisenbahnbrücke aus naturbelassenen Baumstämmen. Gut 300 Kubikmeter Holz wurden für die Kulissen in einer Waldlichtung des kroatischen Orts Fuzine verbaut. "Für mich stand immer fest, dass wir nach Kroatien gehen", sagt Becker. "Der deutsche Zuschauer glaubt, dass Karl Mays Amerika so aussehen muss."

Mit seiner Firma RatPack hat Christian Becker Leinwandhits wie "Die Welle", "Wickie und die starken Männer" oder "Fack ju Göhte" produziert. Er ist Winnetou-Fan, seit er 1978 als Sechsjähriger die Karl-May-Festspiele in Elspe besuchte und danach die Kultfilme aus den Sechzigern im ZDF sehen durfte.

Seit August produziert Becker an "Originalschauplätzen" seinen eigenen "Winnetou"- Dreiteiler für RTL: "Wir machen kein Remake, wir erzählen Karl Mays Abenteuer neu und leisten uns dabei eine gewisse künstlerische Freiheit." Zwar tauchen die Helden und Banditen, die Landschaften und die legendären Melodien der alten Kinoklassiker wieder auf, doch der neue Wilde Westen soll sich am dreckigen Realismus der US-Westernserie "Deadwood" orientieren. Die Schauspieler tragen patiniertes Leder statt Faschingskostüme, und die moderne Kameraführung erinnert mehr an "Game of Thrones" als an die vergleichsweise steifen Lichtspiele der späten Wirtschaftswunderjahre.
Ursprünglich hatte Becker einen neuen "Winnetou" als Kinoadaption in leichtfüßiger "Fluch der Karibik"-Manier im Sinn, doch Regisseur Philipp Stölzl ("Der Medicus", "Goethe!") empfahl einen epischen Fernsehdreiteiler. "Man muss die alten Filme für sich stehen lassen", sagt Stölzl, "und ein völlig neues Format finden." Denn nur das Fernsehen bietet die Chance, einen 300 Minuten langen Erzählbogen zu spannen, der die Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand erklären kann, wobei das Publikum heute eine andere Männerfreundschaft erwarte als "dieses Landserhafte von Pierre Brice und Lex Barker", ergänzt Stölzl.

Der Aufwand, der an 66 Drehtagen in Kroatien und 15 Studiotagen in Köln betrieben wird, verspricht großes Fernsehen: 76 Schauspieler, 4000 Komparseneinsätze, 500 Kostüme, 400 Perücken und 50 Pferde, jeden Tag arbeiten bis zu 180 Personen am Set. Vom Budget, das Produzent Christian Becker vorsichtig mit "zehn bis zwölf ,Tatorte‘" umschreibt, trägt RTL den Löwenanteil. Den Rest zahlen die Filmstiftung NRW , der FFF Bayern, die Co-Produzenten (u.a. Rialto Film/ Tabenocca) und der Weltvertrieb Beta Film, der auf Winnetous Anziehungskraft jenseits von Deutschland hofft.

Warum Wotan Wilke Möhring Nik Xhelilaj für einen guten Nachfolger von Piere Brice hält und welche Special-Effects beim Dreh von 2015 eine Rolle spielen ... lesen Sie in der aktuellen
TV SPIELFILM (23/2015)
Hier klicken!TV SPIELFILM abonnierenTV SPIELFILM abonnierenTV SPIELFILM XXL abonnieren