Deutschlands Küste ist brandgefährlich. Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man sich die derzeitige Fülle der Küstenkrimis ansieht - und die Leichenberge, die sie produzieren.

Überall am Wasser muss ermittelt werden. Auf Sylt ("Nord Nord Mord"), auf der Ostseehalbinsel Darß ("Mord in den Dünen"), auf Usedom ("Mörderhus" mit Katrin Sass), auf Langeoog und in Wilhelmshaven ("Tatort" mit Wotan Wilke Möhring), in ganz Friesland ("Friesland - Mörderische Gezeiten" mit Florian Lukas).

Und mit "Nord bei Nordwest" jetzt auch noch in der Travemünder Bucht. Viele der Küstenkrimis erfüllen zwar die Genre-Anforderungen an Spannung und "whodunit" (Wer war es?), gleiten aber oft in Klischees ab, was Tonfall und Darstellung der Einheimischen angeht. Die neue Reihe fühlt sich dagegen angenehm authentisch an, was sicherlich auch daran liegt, dass so viele Norddeutsche maßgeblich beteiligt waren, allen voran Hauptdarstellerin Henny Reents.

Nord bei Nordwest: Käpt'n Hook
DO 6.11. ARD 20.15 Uhr
Wir treffen uns am Verlagshaus an der Elbe und spazieren Richtung Nordsee. "Marc ist in Jever aufgewachsen, acht Kilometer von Wittmund, wo ich herkomme", sagt die rothaarige Schauspielerin und spricht von Regisseur Marc Brummund. Autor Holger Karsten Schmidt stammt aus Hamburg, Hinnerk Schönemann aus Rostock. Am Set sei von vornherein Einigkeit über viele Inhalte gewesen, ohne dass man darüber hätte sprechen müssen.

In "Nord bei Nordwest" spielt Reents die Dorfpolizistin Lona, die sich in ihrem Revier, der winzigen Halbinsel Priwall, auf einmal mit einem neuen Bewohner, dem wortkargen Tierarzt Hauke Jacobs (Schönemann) und einem Doppelmord konfrontiert sieht. Ungewöhnlich. Aus der Ruhe bringt sie das aber nicht.

Diese Lona sei als kleines Mädchen lieber mit den Jungs auf den Bolzplatz gegangen, als mit Puppen zu spielen, sagt Autor Schmidt über seine Figur. Gilt das auch für Reents? "Ich bin früher jedenfalls viel gerannt. Draußen sein, sich auspowern! Ich saß nicht zu Hause und hab' Kleinzeug gefriemelt."
Der Bewegungsdrang mündete zunächst in ein Tanzstudium und erst später in die Schauspielerei. Mittlerweile ist die 39-Jährige in Krimireihen wie "Tatort", "Polizeiruf 110" oder "Marie Brand" zu sehen, außerdem in Kinofilmen wie "Banklady". In Erinnerung geblieben ist sie auch als schroffe Sprechstundenhilfe von Axel Milberg, als er den "Doktor Martin" spielte. Der behielt auch in den Drehpausen die Rolle des übellaunigen Großstadtarztes bei, um hinterher wieder besser einsteigen zu können.

Dass er das der armen Henny nie erklärt hat, bedauert er in Interviews bis heute. Aber die lacht nur. " Das hat ihn viel mehr beschäftigt als mich. Ich fand das ganz normal."

Hat man vielleicht am länderverbindenden Meer eine größere Toleranz für andersartiges Verhalten als in anderen Gegenden Deutschlands? Reents Eltern jedenfalls hatten mit den für eine ländliche Gegend ungewöhnlichen Berufswünschen ihrer Kinder keine Probleme. Wie war das damals? Reents verfällt in langsames Küstensprech. "Ja." (lange Pause) "Die macht das jetzt." (noch längere Pause) Punkt. "So waren meine Eltern auch, als ich ihnen gesagt habe, dass ich Schauspielerin werden will. Sie haben es einfach akzeptiert."

So wie auch bei ihrem Bruder Mense Reents, der Keyboard bei Indiebands wie "Die Sterne" oder "Die Goldenen Zitronen" spielt. "Ich war mal mit einem Freund unterwegs, der war zu Besuch. Auf der Straße haben Leute geboßelt." Für die Süddeutschen: Boßeln ist eine Art Boulespiel. "Er wollte von den Leuten wissen, was die machen. Sie haben ihm nicht geantwortet." Sie lacht. "Und das war nicht böse gemeint. Es war einfach nicht nötig zu antworten. Weil man ja sieht, was die machen."

Diese Mentalität spiegelt sich auch im Film, wenn Hinnerk Schönemann auf die Frage, warum er auf einem Boot wohne, antwortet: "Dieses Boot ist für mich wie... so'n Boot." Eigentlich ein Texthänger, der aber im Film blieb, weil er so schön ist. Henny Reents muss los, Drehbuch lesen, Texte lernen.

Der Drehstart für "Der wilde Sven", den zweiten Teil von "Nord bei Nordwest" steht vor der Tür. Ein Ertrunkener, ein alter Wikingerfluch - es wird gefährlich. Und sehr norddeutsch.

Frank I. Aures

Nord bei Nordwest: Käpt'n Hook
DO 6.11. ARD 20.15 Uhr