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Handball: EM-Qualifikation

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die "Ära Sigurdsson" begann mit einem Sieg und einem Remis gegen die Schweiz. Am Ball: Kreisläufer Patrick Wiencek Imago

Vor dem Start der EM-Qualifikation gegen Finnland (MI, 29.10.): Der ehemalige Handball-Punk Stefan Kretzschmar über die Krise des Nationalteams und Kritik unter Männern

Olympia 2012 fand ohne Deutschlands Handballer statt. Ebenso die EM 2014. Und zur WM 2015 nach Katar wird die Auswahl des DHB im Januar nur reisen, weil dem größten nationalen Handballverband der Welt (über 800 000 Mitglieder) nach erneut verpasster Qualifikation eine umstrittene Wildcard zugesprochen wurde.

Keine Frage: Die Nationalmannschaft, Aushängeschild und Quotengarant ihrer Sportart, steckt in einer tiefen Krise. Was die am 29. Oktober beginnende Qualifikation für die EM 2016 für den neuen Bundestrainer Dagur Sigurdsson zu einer echten Herkules-Aufgabe machen dürfte.

Vor dem ersten Spiel gegen Finnland redet Handballikone und Sport1-Experte ­Stefan Kretzschmar (41) wie gewohnt Klartext - plaudert aber auch über seine launigen Auf­tritte als Co-Kommentator an der Seite von Markus Götz bei Spielen der Handball-Bundesliga.

TV SPIELFILM: In den ersten Wochen nach Amtsantritt des neuen Bundestrainers war viel von Umbruch- und Aufbruchstimmung in der Nationalmannschaft zu hören. Teilen Sie diese Einschätzung?

STEFAN KRETZSCHMAR: Mit ­einem neuen Bundestrainer, der mit Abstand wichtigsten Figur im deutschen Handball, ist das ohne jeden Zweifel ein Umbruch. Und wenn man sieht, wie erfolglos wir in den letzten Jahren waren, dass wir drei von vier großen Turnieren nicht erreicht haben, dann kam der eigentlich schon fast zu spät - aber aus meiner Sicht ­immer noch rechtzeitig.

TV SPIELFILM: Welchen Eindruck hatten Sie von den ersten beiden Spielen unter Dagur Sigurdsson?

STEFAN KRETZSCHMAR: Vor allem war zu erkennen, dass sein Hauptaugenmerk auf der Mentalität dieser Mannschaft liegt. Für ihn ist Gewinnen das Wichtigste, und zwar nicht visionär, irgendwann im Jahr 2020, sondern sofort. Nach dem unnötigen Unentschieden im zweiten Spiel gegen die Schweiz hat man sofort gesehen, wie angefressen Sigurdsson war.

TV SPIELFILM: Sie haben nach der verpassten EM-Qualifikation 2013 vor nicht absehbaren Folgen gewarnt. Wie beurteilen Sie die Lage heute?

STEFAN KRETZSCHMAR: Für ein Resümee ist es zu früh, solange nicht geklärt ist, ob die öffentlich-rechtlichen Sender die WM 2015 zeigen.

TV SPIELFILM: Gerade vor dem Hintergrund des offenen TV-Vertrages: Welche Folgen hätte ein Fehlstart in die EM-Quali für das Aushängeschild des deutschen Handballs?

STEFAN KRETZSCHMAR: Es ist ganz einfach: Wir können uns keine Negativschlagzeilen mehr leisten. Das Spiel gegen Finnland ist eine Pflichtaufgabe. Zum Gradmesser wird das Spiel am 2. November gegen Österreich. Die Mannschaft war zuletzt bei mehr Turnieren vertreten als wir, hat sich mittlerweile als europäische Größe etabliert.

TV SPIELFILM: Die verbalen, auch mal ironischen Scharmützel zwischen Ihnen als Sport1-Experten und den Kommentatoren, allen ­voran Markus Götz, sind zum Markenzeichen der Bundesligaübertragungen geworden. Wie hat sich das entwickelt?

STEFAN KRETZSCHMAR: Um die jüngeren Zuschauer zu ­erreichen, musst du auch Entertainment liefern. Der Anspruch ist, den Fachleuten Hintergrundwissen und -informationen zu vermitteln, zugleich aber auch ein bisschen Spaß zu bieten. Ich glaube, da haben die Kollegen Götz, Peter Kohl und Uwe Semrau gemeinsam mit mir einen Weg gefunden. Manchmal schieß ich auch übers Ziel hinaus, wenn ich den Götzi mal beleidige. Dann redet er ein, zwei Tage nicht mit mir, und dann ist es auch wieder gut.

TV SPIELFILM: Götz nannte Sie neulich nach dem Spiel zwischen Magdeburg und Flensburg-Handewitt nicht Kretzschmar, sondern Kretschmann. Noch sauer?

STEFAN KRETZSCHMAR:Ist mir gar nicht aufgefallen - danke auf alle Fälle für die Info!

TV SPIELFILM: Damit dürfte der Haussegen zwischen Götz und Ihnen mal wieder mächtig schief hängen...

STEFAN KRETZSCHMAR: Aber sicher doch. (lacht)

Frank Steinberg

Deutschland - Finnland
MI, 29.10., Sport1, 20:00 Uhr