Fast alle Wissenschaftler sind sich einig: Es war ein gewaltiger Asteroiden- oder Kometeneinschlag, der vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier von der Erde radierte. Als der US-Dinoforscher Jack Sepkoski vor einigen Jahren die großen Aussterbewellen der Erd­geschichte analysierte, machte er eine unerwartete Entdeckung: Ziemlich genau alle 26 Millionen Jahre kam es in der Vergangenheit zu einem umfassenden Artensterben. Warum diese Regelmäßigkeit?

Antwort fand der Astrophysiker Richard Muller: "Es gibt nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind die gleichen Zeitabstände reiner Zufall, oder ein Stern hat sie verursacht." Ein bislang unentdeckter galaktischer Begleiter unserer Sonne, so Muller, bringe alle 26 Millio­nen Jahre Tod und Ver­nichtung über unseren Planeten. Er taufte den bösen Sonnenzwilling im Dunkel des Alls nach der griechischen Rachegöttin: Nemesis.

Dunkle Zwillingssonne

Vermutlich haben Zwei Drittel der Sterne unserer Milchstraße stellare Begleiter. Typisch für solche Doppelsysteme ist, dass ein großes Zentralgestirn von einem kleineren Partner umkreist wird. Muller hat ausgerechnet, was für eine Art Himmelskörper es sein müsste, der unsere Sonne einmal in 26 Millionen Jahren umrundet. Ergebnis: Ein sogenannter brauner Zwerg in einem Lichtjahr Entfernung hätte exakt die passende Masse, Umlaufbahn und Geschwindigkeit.

Falls Nemesis existiert, würde ihre Bahn alle 26 Millionen Jahre die Oortsche Wolke kreuzen. Sie bildet die äußere Grenze unseres Sonnensystems und ist Heimat von 100 Milliarden Kometen. Durchstößt der Stern diese Wolke, kegelt er Tausende Kometen ins innere Sonnensystem. Kollisionen mit der Erde wären dann unvermeidlich.

Unsichtbar und trotzdem da

Doch warum hat man die böse Zwillingsschwester der Sonne nicht längst entdeckt? Die Antwort liegt für Muller auf der Hand: Als brauner Zwerg ist Nemesis extrem leuchtschwach. Für ein optisches Teleskop bleiben solche Objekte unsichtbar. Nicht aber für Infrarotteleskope, die nicht sichtbares Licht, son­dern die Wärmestrahlung registrieren, die ein Himmelskörper aussendet. Ende 2009 schoss die NASA das Infrarotteleskop WISE ins All. Es wird die Nemesis-Theorie in den kommenden Jahren beweisen - oder widerlegen.

Angst vor dem Todesstern brauchen wir zum Glück nicht zu haben. Sollte er existieren, käme er erst in 10 Millionen Jahren wieder in unsere Nähe. Genau genommen würden wir ihm sogar unsere Existenz verdanken. Richard Muller: "Ohne Nemesis würden womöglich heute noch Dinosaurier über die Erde herrschen. Erst ihr Aussterben machte den Weg frei für uns Menschen."

Christian Holst