Ohne klare Regeln endet jeder sportliche Wettkampf früher oder später im Chaos. Der Fußballweltverband FIFA etwa benötigt aktuell 142 Seiten, um die schönste Nebensache der Welt in all ihrer Einfachheit zu erklären. Wer nun damit rechnet, dass eine technisch hoch komplexe Rennserie wie die Formel 1 Spielregeln in Telefonbuchstärke braucht, wird sich wundern: Für Weltmeister Sebastian Vettel und seine Konkurrenten sind im Kampf um Konstrukteurs- und Fahrer-WM 2014 "nur" 135 Seiten relevant.
Und noch dazu finden sich im Wirrwarr der Paragraphen nicht nur haarkleine Vorgaben für die neuen V6-Turbomotoren, sondern auch vermeintlich überflüssige Einlassungen, zum Beispiel der Hinweis, der Fahrer müsse sich allein im Auto befinden und es ohne fremde Hilfe bewegen (§ 20.1). Andere dokumentieren die Allmacht des Automobil-Weltverbandes: Liegen zwei Piloten am Saisonende nach Vergleich diverser Leistungskriterien (u. a. Punkte, Anzahl der Siege und Platzierungen) immer noch gleichauf, entscheidet die FIA nach ihrem Ermessen, wer Weltmeister wird (§ 7.2 d).

Interessanter - vor allem für die Konstrukteure der Rennteams - ist da schon das genaue Studium der jeweils gültigen technischen FIA-Vorgaben. Schließlich waren es in der Vergangenheit immer wieder Lücken im Regelwerk oder wenigstens eigenwillige Interpretationen desselben, die Bewegung in die Hierarchie der Königsklasse gebracht haben. In bleibender Erinnerung: die Debatte um die Zulässigkeit des "Doppel-Diffusors". 2009 nutzte Ross Brawn, technisches Superhirn hinter allen sieben WM-Titeln von Michael Schumacher, eine Unschärfe in den Statuten, um sein eigenes Team Brawn GP gleich in der Debütsaison aus der Underdog- in die Favoritenrolle zu katapultieren.

Dank Brawns Geniestreich und trotz vehementer Proteste der Konkurrenz holte der Brite Jenson Button zur eigenen Überraschung damals seinen bis heute einzigen WM-Titel. Und schon vor Beginn der Folgesaison zeichnete sich ein ähnlicher Coup ab, als sich der zu McLaren gewechselte Button und dessen Teamkollege Lewis Hamilton auf der Geraden mittels einer simplen, aber umstrittenen Fahrtwindumleitung Tempovorteile verschafften. Die FIA urteilte: alles legal. Aber der so genannte "Schnorchel-Trick" reichte dann doch nicht zum ganz großen Wurf. Den schaffte 2010 letztlich Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel, mit 23 Jahren der jüngste Formel 1-Weltmeister aller Zeiten.

Dass Vettel drei weitere WM-Titel in Serie holte und so dem Wettbewerb die Spannung nahm, will die FIA allerdings nicht länger hinnehmen. Obwohl durch die Einführung der neuen Motoren und der damit verbundenen Umgestaltung der Boliden 2014 ohnehin Bewegung ins Klassement kommen dürfte, soll ein einfacher Kniff für Thrill bis zum Schluss sorgen: Beim letzten WM-Lauf gibt's ab sofort doppelte Punkte für alle Toplatzierten, also 50 für den Sieger. Bis dahin gehört die Bühne wie immer den kreativsten Tüftlern. 

Frank Steinberg

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