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Blatter geht, die Probleme bleiben

Daniel Hechler im ausführlichen Interview

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Wichtig ist auf dem Platz: Wer tritt am 26. Februar die Nachfolge des scheidenden FIFA-Präsidenten Sepp Blatter an? Imago
Foto: SWR, Das SWR-Team um Daniel Hechler (M.) trifft den suspendierten FIFA-Boss Sepp Blatter zum Interview
TV TODAY: Für die Doku "Der verkaufte Fußball" haben Sie und Ihre Co-Autoren sich 2015 noch vergeblich um ein Interview mit Sepp Blatter bemüht - diesmal hat es geklappt. Was, denken Sie, hat den scheidenden FIFA-Boss dazu bewogen, nun doch mit Ihnen zu sprechen?
DANIEL HECHLER: Sepp Blatter steht vor den Trümmern seines Lebenswerks. Als gesperrter Präsident hat er alles verloren, was ihm 17 Jahre lang lieb und teuer war. Er wurde von Staats- und Regierungschefs hofiert, war der wohl mächtigste Sportfunktionär der Welt, stets von seiner Entourage umgeben. All das hat er verloren. Das setzt ihm natürlich - auch gesundheitlich - zu. Nun kämpft er um seinen Ruf und seine Ehre. Er wollte seine Sicht der Dinge darlegen und war deshalb nach monatelangen Vorgesprächen letztlich auch bereit, uns ein sehr ausführliches Interview zu geben.

TV TODAY: Fand das Gespräch vor oder nach Bekanntwerden seiner 8-Jahre-Sperre statt? Wo fand es statt?
DANIEL HECHLER: Das Gespräch fand Anfang Dezember in einem Zürcher Restaurant statt. Er war zu diesem Zeitpunkt schon suspendiert, aber noch nicht gesperrt. Bis heute kämpft er ja mit allen Mitteln gegen diesen Entscheid und hofft auf Freispruch.

TV TODAY: Gab es überraschende Aussagen?
DANIEL HECHLER: Blatter hat sich uns gegenüber aufgeschlossen gegeben. Es gab keine Vorbedingungen für das Gespräch, er hat sich fast zwei Stunden Zeit genommen. Wir haben uns natürlich intensiv vorbereitet, ihn mit unseren umfangreichen Recherchen konfrontiert. Seine Einsicht in eigene Fehler ist begrenzt, er kämpft um sein Lebenswerk, weist jede Verantwortung für die Skandale der vergangenen Monate zurück, weicht gerne aus, sieht die Schuld im Zweifel bei anderen. Immerhin hat er eingeräumt, dass er nach der Weltmeisterschaft in Brasilien hätte zurücktreten müssen. Er bereut, nicht auf den Rat seiner Familie und Freunde gehört zu haben. Erneut als FIFA-Präsident anzutreten war auch aus seiner Sicht heute ein Fehler. Dieses klare Eingeständnis war durchaus überraschend. Ebenso viele weitere Einblicke, die er uns - auf zum Teil sehr nachbohrende Fragen - gegeben hat.

TV TODAY: Wie präsent ist Blatter in "seinem" Verband mit Blick auf die Präsidentenwahl am 26. Februar tatsächlich noch?
DANIEL HECHLER: Er besteht auf einem würdigen Abgang auf dem Kongress, aber es spricht so gut wie nichts dafür, dass ihm das gelingen könnte. Da ist er der Realität auch ein Stück weit entrückt. Aber ohne Zweifel versucht er weiter unermüdlich von zu Hause aus die Strippen zu ziehen. Er telefoniert viel, wie er uns versichert hat, auch mit einigen der Präsidentschaftskandidaten, die ihn ja alle gut kennen. Das könne ihm auch niemand verbieten. Wie weit seit Einfluss wirklich noch immer reicht, ist spekulativ.

TV TODAY: Ein Blick auf ihren Twitter-Account legt den Schluss nah, dass die Dreharbeiten angesichts ständig neuer Entwicklungen rund um die FIFA kompliziert sind. Bis wann können Sie auf aktuelle Ereignisse eingehen?
DANIEL HECHLER: In der Tat waren die Recherchen meiner beiden Kollegen Philipp Sohmer, Florian Bauer und von mir sehr umfangreich und intensiv. Die Recherchen haben uns zu vielen Orten dieser Welt geführt. Von der vielversprochenen neuen Transparenz bei der FIFA kann noch immer keine Rede sein. Es wird gemauert und vertuscht. Wir können bis wenige Tage vor der Ausstrahlung noch auf aktuelle Entwicklungen eingehen, wenn das nötig sein sollte.

TV TODAY: Welche Erlebnisse während der Dreharbeiten haben Sie besonders in Erinnerung behalten?
DANIEL HECHLER: Die Begegnung mit Blatter war nach zahllosen Berichten über ihn schon ein ganz besonderes Erlebnis. Auch die Dreharbeiten am Rande der African Nations Championship in Kigali waren für mich sehr aufschlussreich. Wie betagte FIFA-Funktionäre des afrikanischen Verbands von den Präsidentschaftskandidaten dort umgarnt wurden, das hatte schon viel von Kuhhandel und Geschacher und wenig von hohen ethischen Standards und neuer Offenheit.

TV TODAY: Unter den fünf Kandidaten für die Blatter-Nachfolge soll es mit Tokyo Sexwale und Jerome Champagne wenigstens zwei geben, die im Erfolgsfall danach streben, Blatter zum FIFA-Ehrenpräsidenten zu machen. Sie und ihre Co-Autoren haben mit allen Kandidaten gesprochen - sehen Sie bei der Wahl einen Kandidaten, dem Sie tiefgreifende Reformen zutrauen?
DANIEL HECHLER: Alle Kandidaten versprechen einen Neuanfang, Transparenz, Reformen, den Kampf gegen Korruption. Doch gerade die chancenreichsten Kandidaten - Scheich Salman, Gianni Infantino, Tokyo Sexwale - stehen mit ihren Vorgeschichten eben dafür nicht. Wir haben sie intensiv durchleuchtet, mit Gefolgsleuten und Kritikern aus ihrem Umfeld gesprochen, sie auch - so weit das möglich war - mit unseren Recherchen konfrontiert. Viel spricht dafür, dass der nächste Präsident wieder mit fragwürdigen Wahlversprechen, Seilschaften und Stippenzieherei an die Macht kommt und sich mit den altbekannten Methoden im Amt halten wird. Sepp Blatter als Ehrenpräsident wäre natürlich ein Treppenwitz, aber solche Vorschläge zeigen auch, wie gut er noch immer vernetzt ist.

TV TODAY: Derzeit werden Scheich Salman bin Ibrhaim Al Khalifa die besten Chancen eingeräumt. Wäre die Wahl eines Sprösslings aus dem Herrscherhaus in Bahrein, das vor allem durch Menschenrechtsverletzungen für Schlagzeilen sorgt, ein weiterer Image-GAU für die FIFA?
DANIEL HECHLER: Gerade im Hinblick auf Menschenrechte, Demokratie, Transparenz und Reformen wäre Salman eine völlige Fehlbesetzung. Dass er dennoch so hoch gehandelt wird, zeigt, wie die FIFA noch immer tickt. Ohne Frage wäre das ein Image-GAU für den Weltverband.

TV TODAY: Was denken Sie: Drehen Sie im kommenden Jahr aus gegebenem Anlass die nächste FIFA-Doku oder kehrt nach der Wahl zunächst Ruhe ein?
DANIEL HECHLER: Die Entwicklung bei der FIFA bleibt spannend. Und natürlich werde ich als Studioleiter Schweiz weiter intensiv die Situation beim Hauptsitz in Zürich beobachten und berichten. Die Staatsanwaltschaften in New York und Bern ermitteln unter Hochdruck weiter. Es könnte jederzeit zu neuen Festnahmen und Skandalen kommen, wie man uns gegenüber auch gerade jetzt wieder versichert hat. So schnell wird im Weltverband meiner Einschätzung nach also keine Ruhe einkehren.

TV TODAY: Sehen Sie die FIFA in ihrer Existenz bedroht? Immerhin ermittelt die US-Justiz wegen Korruption, Verschwörung und organisiertem Verbrechen...
DANIEL HECHLER: Sicherlich braucht der Weltfußball eine Organisation wie die FIFA, aber eben eine saubere, effiziente, glaubwürdige. Dass die alte FIFA abgewickelt und durch eine neue Institution ersetzt wird, ist möglich, vor allem dann, wenn die US-Staatsanwaltschaft mit harten Sanktionen aufwarten sollte. Aber derzeit scheint das eher unwahrscheinlich. Weitere Erschütterungen und personelle Veränderungen sind aber schon jetzt absehbar. Es wird noch lange dauern, bis sich das Image der FIFA wieder aufhellt.

TV TODAY: Wie viele Länder haben Sie während der Recherchen für die Doku besucht?
DANIEL HECHLER: Wir waren in allen wichtigen Schauplätzen, die mit dem Niedergang der FIFA, den jüngsten Skandalen, dem Wahlkampf der Präsidentschaftskandidaten eng verbunden sind, haben vor Ort investigativ recherchiert und umfassend gedreht, unter anderem in der Schweiz, Afrika, Katar, Russland, New York, Brasilien.

Frank Steinberg

Die Fußball-Mafia
MO, 22.2., Das Erste, 22:15 Uhr


Die große FIFA-Story
DI, 23.2., ARTE, 20:15 Uhr