Als die amerikanischen Truppen im September 1944 Richtung Rhein vorrückten, wussten sie kaum etwas über die Deutschen. Die Nazis hatten das Land gegenüber dem Westen abgeschottet, und spätestens mit Kriegsbeginn 1939 verschwand die deutsche Wirklichkeit hinter den Nebelkerzen der Goebbel'schen Propaganda.

Die Abteilung für Psychologische Kriegsführung (PWD) der US-Armee sollte für Aufklärung sorgen. Einer ihrer Nachrichtenoffiziere war Saul K. Padover. Der Sohn Wiener Juden kam im Tross der US-Soldaten nach Europa. Er sprach in den letzten Kriegsmonaten und nach dem Frieden mit den unterschiedlichsten Deutschen, vom Arbeiter bis zum General, von der Friseurin bis zum Bischof.
Einige der Interviews, die Padover 1944/45 geführt und in seinem Buch "Lügendetektor" (1946, deutsche Ausgabe 1999 bei Eichborn) dokumentiert hat, wurden vom ZDF für den Zweiteiler "Die Suche nach Hitlers Volk" szenisch nachgestellt. Dokumentaraufnahmen und die Einschätzungen führender NS-Historiker wie Norbert Frei, Christopher Browning, Ian Kershaw und Götz Aly ergänzen das Bild.

Eine einfache Erklärung für das Verhalten von "Hitlers Volk" hat der US-Nachrichtenoffizier nicht gefunden. Sie gibt es auch heute nicht, sagt Stefan Brauburger, Leiter der Redaktion Zeitgeschichte beim ZDF, der besonders die autoritären Traditionen in Deutschland betont. Historiker nennen vor allem folgende Faktoren:

1. Im Hass auf die Juden vereint

Der US-Soziologe Daniel Jonah Goldhagen behauptete 1995 in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker", die Mehrheit des deutschen Volkes und die NS-Führung hätten dasselbe Ziel verfolgt: die Ausrottung der Juden. Wenn dem so gewesen wäre, warum hat sich Hitler dann nicht stärker in der Öffentlichkeit mit dieser "Leistung" gebrüstet? Goldhagens Kollege Christopher Browning wies zu Recht darauf hin, dass rumänische und kroatische Kollaborateure nicht minder grausam als die Deutschen waren. Was nichts entschuldigt. Den Deutschen aber eine besondere Neigung (quasi als Eigenschaft des Volkscharakters) zum Genozid zu unterstellen wird heute wissenschaftlich nicht ernsthaft diskutiert.

2. Die große Umverteilung
Der Historiker Götz Aly legt in seiner Studie "Hitlers Volksstaat" (2005) dar, dass viele Deutsche materiell von der NS-Diktatur profitiert haben. Die Enteignung der Juden, der organisierte Raub in besetzten Ländern und der Einsatz von Zwangsarbeitern seien eine Entlastung der kleinen Leute gewesen. Dadurch habe das Regime ihre Zustimmung erkauft. Gegen Alys These spricht: Wenn die Deutschen wirklich so materialistisch gewesen wären, dann hätten sie Hitler spätestens dann die Gefolgschaft aufkündigen müssen, als die Kosten des Krieges den Nutzen überstiegen.

3. Sehnsüchte bedient
Die Inszenierung der Nationalsozialisten mit Massenchoreografien, spektakulärer Lichtregie und pathetischer Musik bediente Sehnsüchte der Deutschen nach einer Volksgemeinschaft. Zeitgenossen berichten von der Aufbruchstimmung und dem überwältigenden Gefühl, einer großen Sache zu dienen. Hinzu kam: Wer sich anpasste, konnte vorbei an alten Hierarchien blitzschnell Karriere machen wie Raketenkonstrukteur Wernher von Braun oder Architekt Albert Speer.

Rainer Unruh

Die Suche nach Hitlers Volk
DI 24. + 31.3. ZDF 20.15 Uh
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