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DDR-Panorama "der Turm"

Gruppenbild mit Mauer

Gruppenbild mit Mauer
Trügerisches Weihnachtsidyll im Dresden der Achtzigerjahre: Familie Hoffmann ist weniger einträchtig, als es scheint MDR/teamWorx/Nik Konietzny

Das TV-Event zum Tag der Deutschen Einheit: Der Zweiteiler "Der Turm" (DO, 4.10.) nach Uwe Tellkamps Roman entwirft noch einmal ein großes DDR-Panorama

Die Hotellounge wimmelt von aufgeregten PR-Damen, von Journalisten mit Diktiergeräten, von Kamerateams, die eine stille Ecke suchen. Aber in jeder Ecke sitzt bereits ein TV-Star und erzählt: Der Pressetag zum ARD-Großprojekt "Der Turm" wird selbst zum Großprojekt.

Mit Spannung wurde der Zweiteiler erwartet. Die Vorlage, der gleichnamige Roman von Uwe Tellkamp, war eine literarische Sensation - sprachgewaltig, wegen seiner Schilderungen eines DDR-Bildungsbürgertums neuartig, aufregend und erhellend. Mit Jan Josef Liefers, Claudia Michelsen und Nadja Uhl bietet der Film die Namen, mit denen ein großes Publikum gewonnen werden kann.

Hervorragende Schauspieler wie Sebastian Urzendowsky, Götz Schubert oder Valery Tscheplanowa spielen aber auch in kleinsten Nebenrollen. Das Budget von 6,7 Millionen Euro war groß und wurde mit Christian Schwochow einem Regisseur anvertraut, der viel Kritikerlob, aber noch keine Publikumserfolge vorzuweisen hat. Spannend!

Das versunkene Land

Das Fazit vorweg: "Der Turm" ist überragend. Zum
Tag der deutschen Einheit wird kein Eventkracher laufen, sondern ein packendes Gesellschaftsporträt, das erfahrbar macht, wie sich Alltag in der DDR angefühlt haben mag. "Ich merke, dass ich da was zu sagen habe", erklärt Regisseur Schwochow, geboren 1978 in Bergen auf Rügen. "Seit dem Mauerfall habe ich permanent das Gefühl, etwas richtigstellen zu müssen."
Um die "Geschichte aus einem versunkenen Land", so der Untertitel des Buches, erzählen zu können, musste Schwochow zumindest Teile davon erst einmal finden. Das herausgeputzte 2012er-Dresden taugt nicht als Kulisse der DDR von 1982 bis 1989. Gefunden wurden die alten grauen Fassaden schließlich in Görlitz, als Dresdner Bahnhof musste der im tschechischen Pilsen herhalten.

Dass die Schauspieler fast ausschließlich aus Ostdeutschland stammen, habe sich bei den Castings ergeben, sagt Schwochow. "Vieles war selbstverständlich, musste nicht erklärt werden. Bei den Westschauspielern klang es anders, fühlte sich nicht richtig an." Alles andere wäre aber auch komisch gewesen. Ein Wessi erklärt den Ossis, wie ihre Heimat war? Hätte nicht funktioniert.

So hatten die Dreharbeiten manchmal die Atmosphäre eines Klassentreffens. "Ich kenne Claudia (Michelsen) seit sie 12 ist", sagt Jan Josef Liefers. So ging es vielen der Darsteller. Immer wieder hätten sich Schauspieler in den Armen gelegen, erinnert sich Schwochow. Friedhelm Eberle, der im Film den Dichter Altberg spielt und Jahrzehnte an der Schauspielschule in Leipzig unterrichtete, traf hier etliche seiner früheren Studenten wieder, darunter auch Nadja Uhl.

Vom Roman zum Film

Die 1000 eng gesetzten Seiten des Romans auf zwei mal 90 Minuten zu übersetzen war eine schwierige Aufgabe. So schwierig, dass Thomas Kirchner, erfahrener Drehbuchautor zum Beispiel der "Spreewald"-Krimis, sie zunächst als unlösbar verwarf. Mit einer Fokussierung auf die Familiengeschichte gelang der Transfer aber doch noch. Die Rückwärtsgewandtheit des Buches, Tellkamps "süße Krankheit Gestern", tritt im Film etwas in den Hintergrund, die Flucht in private Hausmusikabende, in Erinnerungen an das einst prächtige Dresden zeigt er aber auch.

"Der Turm" habe bei ihm viele Erinnerungen wachgerufen, sagt Autor Kirchner. Das wünsche er sich für den Film auch. Und das wird gelingen. Bei den Zuschauern, die aus der DDR stammen, und auch bei den anderen.

Utopie einer besseren DDR

Gefühle werden geweckt, die trotz bewegender Szenen von friedlichen Demonstranten und Bildern des erlösenden Mauerfalls Ablehnung beinhalten. Auch bei einem Teil der Westdeutschen, denen die Einverleibung der DDR und ein großes, wiedervereinigtes Deutschland bis heute unheimlich sind.

Davon sprechen auch Claudia Michelsen und andere Zeitzeugen in der begleitenden Doku: Das Ziel der Friedensbewegung war nie die Vereinigung mit der Bundesrepublik: "Wir wollten ein eigenständiges Land, einen neuen demokratischen Staat", sagt sie. "Helmut Kohl wusste, wie die Masse zu füttern war. Wollt ihr die deutsche Mark? Ja, wir wollen die deutsche Mark! So hat es funktioniert." Wiedervereinigung war für nicht wenige konservativer Schwulst, die Verkündung von "Freiheit" oft ein bloßes Konsumversprechen.

So wie Filme wie "Good Bye, Lenin!" und "Boxhagener Platz" oder die demnächst fortgesetzte Serie "Weissensee" bietet auch "Der Turm" seine eigene Sichtweise auf den Alltag in der DDR. Allmählich entsteht so ein differenziertes Bild dieses "versunkenen" Landes, das der vereinfachenden Stasifixierung von früher entgegensteht. Ein Prozess, der noch in viele gute Filme münden kann.

Frank Aures

Der Turm, Teil 1 MI 3.10. ARD 20.15 Uhr
Der Turm - Die Doku MI 3.10. ARD 21.45 Uhr
Der Turm, Teil 2 DO 4.10. ARD 20.15 Uhr