Heimat ist ein ebenso wichtiger wie schwer zu definierender Begriff. In TV SPIELFILM wagen die Schauspieler Natalia Wörner und Jörg Schüttauf einen Deutungsversuch. Wörner hat ein ganzes Buch darüber geschrieben und ist Patin des ARD-Schwerpunkts zum Thema; Schüttauf stand für das Roadmovie "Heimat ist kein Ort" vor der Kamera, das ihn nach Polen, in die Kindheitsorte seines verstorbenen Filmvaters führt.

TV SPIELFILM: Kennen Sie beiden sich eigentlich?
NATALIA WÖRNER Klar. Jörg, du warst mal mein Zuhälter. Und ich habe dich geohrfeigt!

JÖRG SCHÜTTAUF Echt? Kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß aber noch, dass wir beide mal bei einem Casting von Volker Schlöndorff waren: Ich war Magdeburger Kranfahrer. Und du RAF-Terroristin. Ich hatte Zweifel an meiner Figur. Wir haben die Rollen nicht bekommen.

Deutschland - Dein Tag,
SO, 4.10., Das Erste, 6:00 Uhr


Frau Wörner, heute sind Sie Patin der ARD-Themenwoche.
NATALIA WÖRNER Die ARD kam im Februar auf mich zu, als ich gerade mein Buch "Heimat-Lust - Meine schwäbische Liebeserklärung" fertigstellte. Ich kann also mittlerweile stundenlang über Heimat referieren.

Mussten erst Differenzen zwischen Ihrem Heimatbegriff und dem der ARD geklärt werden?
NATALIA WÖRNER Nein. Ich bat darum, als Patin auch die Flüchtlingsproblematik in Deutschland beleuchten zu können. Und außerdem wollte ich mit der Kindernothilfe auch in deutsche Erstauffanglager und in den Libanon reisen - um zu erfahren, wie ein so kleines Land es schafft, fast zwei Millionen Flüchtlinge aufzunehmen.

Und das war alles kein Problem?
NATALIA WÖRNER Es gab ein kurzes Erstaunen bei der ARD, aber es ging durch. Mittlerweile sind alle sehr froh darüber.

Herr Schüttauf, Ihre Heimat, die DDR, gibt es nicht mehr. Oder?
JÖRG SCHÜTTAUF Die Erinnerungen bleiben doch. Kindheit, Schule, die ersten Jahre am Theater.

Was verbinden Sie mit Heimat?
JÖRG SCHÜTTAUF Natürlich die Gegend, aus der ich komme, Sachsen. Dazu gehört auch die Art, wie die Menschen da sprechen. Der Geruch der Erde. Sehr, sehr schwarzer Boden.

Ist Heimat grundsätzlich etwas Schönes? Sie sind beide so schnell wie möglich von zu Hause weggegangen.
NATALIA WÖRNER Mir war es mit 18 zu eng in Stuttgart. Im Herzen wie im Kopf. Ich verspürte Abenteuerlust und wollte raus in die Welt. Aber ich habe meine schwäbische Herkunftsheimat später auf eine liebevolle Art neu angefasst und entdeckt sowie schätzen gelernt.

JÖRG SCHÜTTAUF Dort, wo ich mich gerade aufhalte und ich mich wohlfühle und die Leute freundlich sind, da ist für mich Heimat. Trotzdem: Ich bin zu Hause, dort wo ich geboren bin, in diesem kleinen Chemnitz. Und ich bin saufroh, dass ich da weg bin. Und wenn ich wieder hinfahre, freue ich mich auf die kleinen Hügel, die ich kenne. Aber fahre dann gern auch wieder weg. In meine zweite und dritte Heimat.

Herbert Grönemeyer, auch Pate der Themenwoche, singt "Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl". Sind Orte wirklich egal?
NATALIA WÖRNER Nein, es ist natürlich sehr beruhigend in einer Welt, die sich so schnell verändert, an Orte zurückzukommen, die sich wenig verändern. Das ist nicht konservativ, sondern entspannend. Man hat dort seinen Platz.

Frau Wörner, Sie erleben im Rahmen Ihrer Arbeit für die Kindernothilfe Menschen, denen die Heimat genommen worden ist.
NATALIA WÖRNER Manche werden regelrecht krank davon. Sie vermissen ihre Sprache, die Gewohnheiten, die Normalität. Die kommen hier an, viele sind auch traumatisiert, und sind mit der Situation natürlich überfordert. In Berlin, in diesem Erstauffanglager, da war eine Frau aus Aleppo, die hatte dort -auf der Straße die Hände eines Mädchens gefunden und erkannt, dass die einer Nachbarin gehört hatten. So etwas zu verkraften ist nicht einfach.

Heimatgefühle entstehen erst, wenn alle Wunden verheilt sind?
NATALIA WÖRNER Das sind sich überlappende Realitäten. Die Flüchtlingskinder in dem Projekt im Libanon, das ich besuchte, bekommen erst mal eine psychologische -Betreuung. Syrische und libanesische Kinder müssen lernen -zusammen klarzukommen. Wunden müssen heilen, die Kinder sich neu zurechtfinden - das geschieht gleichzeitig.

Manche Menschen sehen Heimat vor allem als Gegensatz zum Fremden. Sie sehen sich durch Zuwanderer in ihrer Identität bedroht.
NATALIA WÖRNER Ja, das ist die Angst. Aber diese Angst ist irrational. Das muss man in den Diskussionen klarmachen. Niemandem wird etwas weggenommen. Ich kann verstehen, dass man Berührungsängste hat, aber ich -verstehe nicht, wenn sich die -gewalttätig äußern.

SCHÜTTAUF Es wird doch viel interessanter und bunter in "ihrer Heimat" durch diese neu Zugezogenen! Die Leute aus Ostpreußen waren doch eigentlich auch nichts anderes.

Für manche ist das ehemalige Ostpreußen noch immer Teil Deutschlands. Ihre Schwester in "Heimat ist kein Ort" benennt die polnischen Orte noch immer mit den alten deutschen Namen.
JÖRG SCHÜTTAUF Das erlebe ich übrigens auch immer wieder mit Landkarten oder Navigationssystemen. Das wundert mich schon sehr. Das war in der DDR wirklich verpönt, polnische Ortschaften deutsch zu benennen. Das war verboten, das hatte was mit Nazis zu tun.

NATALIA WÖRNER Wie erklärst du dir, dass es im Osten, wo es besonders wenig Flüchtlinge gibt, zu so vielen Übergriffen kommt?

JÖRG SCHÜTTAUF Es hat über Nacht ein anderes Land gegeben, nämlich die Bundesrepublik. Aus meiner Sicht war das das Beste, was dieser DDR passieren konnte. Aber viele haben dabei ihre Arbeit verloren.

Und der Frust darüber hält bis heute an?
JÖRG SCHÜTTAUF Bei manchen schon. Vor allem bei Leuten, die es in den 25 Jahren nicht geschafft haben, was Neues zu finden. Und dieser Frust wird an ihre Kinder weitergegeben.

Was tun, wenn das in fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida mündet?
NATALIA WÖRNER Wir brauchen jetzt ganz klare Signale. Man kann -eine sich aufplusternde Pegida-Bewegung nicht tolerieren, man muss etwas dagegenhalten. Jeder muss selbst Zeichen setzen. Ob man das am besten mit Zeit, mit Gütern oder ehrenamtlichem Einsatz macht, kann jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist, sich klar zu positionieren.

JÖRG SCHÜTTAUF Ich bin der gleichen Meinung. Es gibt durchaus Menschen, deren Meinung selten gehört wird, aber unser Land ist so demokratisch und hat so viele Anlaufstellen, an denen man seine Ängste und Nöte benennen kann, dass man nicht als Parolen Brüllender durch die Straßen ziehen muss.

Frank I. Aures/ Sebastian Milpetz
Heimat ist kein Ort
FR 9.10. ARD 20.15 Uhr

Themenwoche Heimat
Seit 2006 fokussiert sich die ARD im Gesamtprogramm ihrer TV- und Radiosender einmal jährlich auf einen Themenkomplex, in diesem Jahr auf Heimat. Programmhöhepunkt soll neben diversen anderen Dokumentationen, Magazinbeiträgen und drei Spielfilmen die Ausstrahlung des Projekts "Deutschland, dein Tag" (4.10., Das Erste, 6 Uhr) sein. Das ist eine zwölfstündige (!) Doku, die vor einem Jahr von 60 Kamerateams an unterschiedlichen Orten in ganz Deutschland gedreht wurde.
Natalia Wörner (48) ist Patin der ARD-Themenwoche. Die Schauspielerin ("Kückückskind") arbeitet seit zehn Jahren als Botschafterin für die Kindernothilfe. Der christliche Verein setzt sich weltweit für Kinder ein, die von Armut, Elend und Gewalt bedroht sind.
Jörg Schüttauf (53) startete seine Schauspielkarriere 1985 in der DDR und war seitdem "Der Fahnder", "Tatort"-Kommissar Dellwo (Frankfurt) und spielte in Dutzenden TV- und Kinofilmen mit, darunter "So glücklich war ich noch nie".