Samba adé
Er sollte bei der Eröffnungsfeier in São Paulo einfach nur eine Friedenstaube fliegen lassen. Aber was machte dieser kleine Indio-Bengel? Er enthüllte nach dem offiziellen Part ein Transparent, um für die Rechte seines Stammes zu demonstrieren. Das durfte er nicht tun. Denn sein Volk der Guarani gehört nicht zu den offiziellen Sponsoren der Fifa-Fußball-WM und darf die Veranstaltung daher nicht zu Werbezwecken nutzen.
Zwar verzichteten die Polizeikräfte diesmal auf den Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, dennoch sorgte der Fall für Empörung in den Medien, zuerst in Brasilien und mit Verzögerung in Deutschland. Seine Aktion war im Fernsehen nämlich nicht zu sehen. Die Fifa "zensiert Indio-Protest", schrieben die Zeitungen, die Szene im Stadion sei aus dem offiziellen Bildangebot "herausgeschnitten" worden. In Wahrheit nimmt der Betrug am Zuschauer bei der WM weit größere Ausmaße an: Zum "verschwunden Protest" kommt das Verschwinden eines ganzen Landes. Im Fifa-Fernsehen ist Brasilien irgendwie verschütt gegangen.
Schön, dass sich die Verantwortlichen von den Klischees verabschieden wollen, die von Brasilien im Umlauf sind. Unter der Sonne, die niemals untergeht, tanzen ewig fröhliche Menschen Samba, feiern Karneval und kicken am Strand. In den Bildern, die die TV-Firma HBS (Host Broadcast Services) für die Fifa produziert und weltweit verbreitet, ist davon so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Wie schon in Südafrika 2010 schreibt HBS ihren Kameraleuten und Regisseuren in einem "Maßgabenpapier" genau vor, was ihr Auftraggeber sehen möchte - und was nicht. Zum Beispiel Trainer in Slowmotion, Torschüsse aus der Helikopterperspektive - oder betrunkene englische Fans.
Auch der Samba, so scheint es, ist aus den Stadien komplett verbannt worden. Weder hört man den Klang der Trommeln - seit dem Getröte vor vier Jahren kommen verstärkt Audiofilter zum Einsatz -, noch sind auf den Tribünen die üblichen tanzenden, leicht bekleideten Brasilianerinnen zu sehen. Das Weltbild muss alle Menschen begeistern, sagt die Fifa, ob sie nun in Japan, Norwegen oder Saudi-Arabien zugucken, und allzu viel nackte Haut ist den gläubigen Zuschauern nicht zuzumuten. Wenigstens ein bisschen Sexappeal? Ausgeschlossen. Vier Tage ist die WM erst alt, da beginnt so mancher deutsche Fan, die alten Klischees gewaltig zu vermissen. Ist es nicht absurd, eine WM in Brasilien zu veranstalten und den Samba dabei auszublenden? Er ist ja mehr als eine Begleitmusik zum Geschehen da unten auf dem Rasen, er ist Teil des brasilianischen futebols, ästhetisches Vorbild und Taktgeber ihres besonderen, ursprünglich vom Tanz inspirierten Spiels. Frage: Welches Land besitzt die größte Schnittmenge mit Qatar und wäre deshalb der ideale Austragungsort der WM? Vielleicht die Schweiz.
Angesichts der standardisierten Fifa-Bilder wirkte der Auftritt von Fernanda Brandao am Samstag im Ersten wie ein Akt der Subversion. Die in Deutschland lebende Brasilianerin traf sich in einem Restaurant in Rio de Janeiro mit ihrem Großvater, der 1950 im Stadion von Maracanã bei der Niederlage Brasiliens gegen Uruguay dabei war. Der Tisch war gedeckt, der Fernseher lief. "Der Schmerz sitzt immer noch tief", erzählte der alte Brandao. "Brasilien schuldet mir den Titel." Aus der Tiefe des Raumes stürmte plötzlich eine Samba-Kapelle heran, und Fernanda tanzte, sie tanzte die ganze Nacht. Man wäre gern länger geblieben als zwei Minuten.
Den Maßgaben der Fifa dürfte am späteren Abend auch der Beitrag von Christian Dexn nicht entsprochen haben. Der ARD-Reporter ging dahin, wo es weh tut, wo es derb und lustig zugeht. Unter die Fans nach Manaus inmitten des Regenwalds, zur Einstimmung auf den Rumble in the Jungle zwischen England und Italien (1:2). Wir sahen in die Gesichter leidensfähiger, total ermatteter englischer Fans, die in klimatisierten Hotelbars abhingen, "dröge durch die Hitze", aber für den deutschen Reporter hatten die bierbäuchigen Kerle immer noch zwei, drei gute Gags zum Klima am Rio Negro übrig. Das war großer Sport. Als die Auswahl der Three Lions das Stadion erreichte, sagte Dexn, der Bus müsse den benebelten englischen Fans vorkommen "wie eine Fata Morgana".
Dann ging es zurück auf die glatt polierte ARD-Sonnenterrasse in Rio de Janeiro, wo ein laues Lüftchen wehte. Matthias Opdenhövel präsentierte das Programm. "Jetzt hört es mal auf mit der Motzerei", sagte der Moderator nach dem Film aus Manaus zur Verblüffung der Zuschauer. Er musste etwas anderes gesehen haben.
Schön, dass sich die Verantwortlichen von den Klischees verabschieden wollen, die von Brasilien im Umlauf sind. Unter der Sonne, die niemals untergeht, tanzen ewig fröhliche Menschen Samba, feiern Karneval und kicken am Strand. In den Bildern, die die TV-Firma HBS (Host Broadcast Services) für die Fifa produziert und weltweit verbreitet, ist davon so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Wie schon in Südafrika 2010 schreibt HBS ihren Kameraleuten und Regisseuren in einem "Maßgabenpapier" genau vor, was ihr Auftraggeber sehen möchte - und was nicht. Zum Beispiel Trainer in Slowmotion, Torschüsse aus der Helikopterperspektive - oder betrunkene englische Fans.
Auch der Samba, so scheint es, ist aus den Stadien komplett verbannt worden. Weder hört man den Klang der Trommeln - seit dem Getröte vor vier Jahren kommen verstärkt Audiofilter zum Einsatz -, noch sind auf den Tribünen die üblichen tanzenden, leicht bekleideten Brasilianerinnen zu sehen. Das Weltbild muss alle Menschen begeistern, sagt die Fifa, ob sie nun in Japan, Norwegen oder Saudi-Arabien zugucken, und allzu viel nackte Haut ist den gläubigen Zuschauern nicht zuzumuten. Wenigstens ein bisschen Sexappeal? Ausgeschlossen. Vier Tage ist die WM erst alt, da beginnt so mancher deutsche Fan, die alten Klischees gewaltig zu vermissen. Ist es nicht absurd, eine WM in Brasilien zu veranstalten und den Samba dabei auszublenden? Er ist ja mehr als eine Begleitmusik zum Geschehen da unten auf dem Rasen, er ist Teil des brasilianischen futebols, ästhetisches Vorbild und Taktgeber ihres besonderen, ursprünglich vom Tanz inspirierten Spiels. Frage: Welches Land besitzt die größte Schnittmenge mit Qatar und wäre deshalb der ideale Austragungsort der WM? Vielleicht die Schweiz.
Angesichts der standardisierten Fifa-Bilder wirkte der Auftritt von Fernanda Brandao am Samstag im Ersten wie ein Akt der Subversion. Die in Deutschland lebende Brasilianerin traf sich in einem Restaurant in Rio de Janeiro mit ihrem Großvater, der 1950 im Stadion von Maracanã bei der Niederlage Brasiliens gegen Uruguay dabei war. Der Tisch war gedeckt, der Fernseher lief. "Der Schmerz sitzt immer noch tief", erzählte der alte Brandao. "Brasilien schuldet mir den Titel." Aus der Tiefe des Raumes stürmte plötzlich eine Samba-Kapelle heran, und Fernanda tanzte, sie tanzte die ganze Nacht. Man wäre gern länger geblieben als zwei Minuten.
Den Maßgaben der Fifa dürfte am späteren Abend auch der Beitrag von Christian Dexn nicht entsprochen haben. Der ARD-Reporter ging dahin, wo es weh tut, wo es derb und lustig zugeht. Unter die Fans nach Manaus inmitten des Regenwalds, zur Einstimmung auf den Rumble in the Jungle zwischen England und Italien (1:2). Wir sahen in die Gesichter leidensfähiger, total ermatteter englischer Fans, die in klimatisierten Hotelbars abhingen, "dröge durch die Hitze", aber für den deutschen Reporter hatten die bierbäuchigen Kerle immer noch zwei, drei gute Gags zum Klima am Rio Negro übrig. Das war großer Sport. Als die Auswahl der Three Lions das Stadion erreichte, sagte Dexn, der Bus müsse den benebelten englischen Fans vorkommen "wie eine Fata Morgana".
Dann ging es zurück auf die glatt polierte ARD-Sonnenterrasse in Rio de Janeiro, wo ein laues Lüftchen wehte. Matthias Opdenhövel präsentierte das Programm. "Jetzt hört es mal auf mit der Motzerei", sagte der Moderator nach dem Film aus Manaus zur Verblüffung der Zuschauer. Er musste etwas anderes gesehen haben.