Bei Poldi ist noch ein Zimmer frei
Sie hat es wieder getan, und nur einer traute sich im Fernsehen zu sagen: So etwas gehört sich einfach nicht! Giovane Elber. Am späten Montagabend, nach dem deutschen 4:0 gegen Portugal, fragte ARD-Moderator Reinhold Beckmann den Experten an seiner Seite, ob auch Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff nach einem Spiel der Seleção die Kabine aufsucht. "Selbstverständlich nicht", sagte der frühere Bayern-Profi Elber konsterniert. "Das ist bei uns ausgeschlossen." Für die Bundeskanzlerin Angela Merkel gehören solche PR-Auftritte dagegen zur Routine, trotz heftiger Kritik.
Merkel, die Wiederholungstäterin, hat nun in der Arena Fonte Nova von Salvador de Bahia einen schweren Rückfall erlitten. Gemeinsam mit ihrem geheimen Gehilfen beim DFB, Teammanager Oliver Bierhoff, drang sie nach dem Abpfiff in die Räume der siegreichen deutschen Elf ein, für ein weiteres ganz spontanes Rein-Raus-Gruppenbild mit der Kanzlerin.Copyright des Fotos: Bundesregierung. "Sie hat gesagt, dass es schön ist, dass wir gewonnen haben, wenn sie schon eine so lange Reise gemacht hat", gab Trainer Joachim Löw im Anschluss freundlich zu Protokoll. Stimmungskanone Lukas Podolski durfte noch ein Selfie von sich und der Kanzlerin machen und über Twitter mitteilen, Merkel habe ihm gesteckt, "dass sie im Finale wiederkommt".
Zur WM reisen viele Staats- und Regierungschefs an. Russlands Präsident Wladimir Putin will beim Finale am 13. Juli dabei sein. Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden nahm beim Spiel USA gegen Ghana auf der Ehrentribüne Platz. Aber die Kabine ist für sie tabu. Zutritt strengstens verboten! Allein für Merkel gilt das nicht: Die Kanzlerin betrachtet die Duschräume als ihre politische Kampfzone, so wie einst ihr Ziehvater Helmut Kohl. Der zwängte sich - nach dem EM-Sieg 1996 - als erster Staatsmann in die Kabine. Auf die Frage, wie es war mit Kohl in der Kabine, soll Mehmet Scholl geantwortet haben: "Eng".
Kohls altes Mädchen hat sie fast alle gedrückt und geherzt, nicht nur im verschwitzten Bauch der Stadien. Bei der EM-Vorrundenspiel 2008 gegen Österreich saß Merkel auf der Tribüne neben dem rotgesperrten Bastian Schweinsteiger. "Sie hat mir gesagt, dass ich nicht wieder so eine Dummheit tun soll. Und sie hat gesagt, ich soll wieder so spielen wie damals 2006", verriet Schweinsteiger den Journalisten in Basel. Zwei Jahre später flog sie eigens für das WM-Viertelfinale gegen Argentinien nach Kapstadt, elf Stunden hin, elf Stunden zurück, für 90 Minuten Fußball. 2012, wenige Tage vor dem EM-Auftakt gegen Portugal, ließ sie sich mit Jogi und seinen Jungs beim Kaffeekränzchen im Danziger Mannschaftshotel "Dwor Oliwski" fotografieren.
Warum kann sie nicht einfach zu Hause bleiben? "Offenbar haben viele nicht damit gerechnet, dass ich mich für Fußball interessiere", sagte sie einmal der "Süddeutschen Zeitung" auf den Vorwurf, sie täusche Leidenschaft nur vor. Und warum bleibt sie dann nicht einfach länger? Im deutschen Lager in Campo Bahia ließe sich flugs ein Home Office einrichten, mit allem Pipapo, um dringende Regierungsgeschäfte zu erledigen. In der WG von Lukas Podolski wäre bestimmt noch ein Zimmer frei.