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Der WM-Blog

Luxus muss sich wieder lohnen

Von Pferdeküssen und Menschenbissen

Thomas Hitzlsperger und die Bedürfnisse der Nationalkicker bei einer Weltmeisterschaft

Luxus muss sich wieder lohnen

Altgediente Nationalspieler, die im Fernsehen als Experten unterkommen, stecken in einem Dilemma. Früher, als sie noch aktiv waren, hatten sie bestimmt viel zu erzählen, nur war ihre Meinung damals nicht groß gefragt. Heute sollen sie in Morgenshows oder Mittagsmagazinen lang und breit Auskunft darüber geben, wie gut der Kapseleinriss in der rechten Schulter von Manuel Neuer verheilt ist, obwohl der deutsche Torwart gerade tausende Kilometer entfernt im Luxusresort Campo Bahia im Schlaf liegt.

Da den Experten weder medizinische Bulletins noch Röntgenbilder der Verletzten vorliegen, sind sie gezwungen, ihr sachverständiges Urteil allein nach Sichtung aktueller Fernsehbilder vom Training der deutschen Mannschaft zu treffen. "Aufnahmen, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten", um es (nur einmal!) mit Johannes a.D. Kerner zu sagen, zeigen unsere Nummer eins, wie sie auf diesem deutschen Superrasen im brasilianischen Dschungel das Tor hütet und Bälle fängt, und dies mit beiden Händen. Nichts zu sehen von einer Behinderung. Das wird schon wieder!

Bei solchen Ferndiagnosen lautet das oberste Gebot: Zuversicht verbreiten! Lahms verletzte Wade? Halb so wild. Schweinsteigers schmerzende Kniescheibensehne? Wird zum Auftakt gegen Portugal am 16. Juni mit Sicherheit nicht mehr wehtun. Bahnt sich einmal ein totaler Blackout an ("Was weiß ich denn?"), greifen geübte Experten auf ein altbewährtes Mittel zurück: den Vergleich mit früher. Eine schwere Verletzung, ein Traumtor in letzter Minute, die Strapazen eines Turniers, es gibt nichts, was sie als Kicker nicht schon alles erlebt hätten.

"Muss denn dieser Luxus im deutschen Quartier wirklich sein?" fragt zum Beispiel Moderatorin Jessy Wellmer am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin" den ehemaligen Spieler Thomas Hitzlsperger. Der 51-fache Nationalspieler ist in den kommenden Wochen der Experte an ihrer Seite und wie geschaffen für dieses Gute-Laune-Format. Weil er zu jedem Spiel gute Miene macht und auf eine sympathische Weise unbedarft rüberkommt; dass er in Wahrheit ein ausgebuffter Medienprofi ist, stellte er mit seinem klug gemanagten Coming-out unter Beweis. "Ich durfte es einmal miterleben", erzählt Hitzlsperger und erinnert an seine noble Unterkunft im Grunewald während des Sommermärchens 2006. Um Leistung zu bringen, Erfolg zu haben, müsse man sich auch wohlfühlen, sagt er. "Es ist Luxus, ganz klar, aber die Spieler sind es auch gewohnt von zu Hause." Guten Morgen, reiches Deutschland! Es ist an der Zeit, dass sich die DFB-Elf einen neuer Slogan gibt: Luxus muss sich wieder lohnen!

Könnte die deutsche Mannschaft von ähnlich guter Stimmung wie 2006 durchs Turnier getragen werden, will Wellmer wissen. Das lasse sich nicht miteinander vergleichen, vergleicht der Experte. Damals hätten Millionen hinter ihnen gestanden, diesmal in Brasilien sei es "vielleicht eine kleine Gruppe von Indianern". Höchst professionell lässt Hitzlsperger in Folge keine Fragen zur Fitness genannter Spieler offen: "Ich bin überzeugt, Manuel Neuer wird von Anfang an spielen."

Während der WM haben die deutschen Sender fast ein Dutzend Experten unter Vertrag genommen. Sie nehmen den Moderatoren die journalistische Arbeit ab, ein Spiel zu analysieren und gegebenenfalls Kritik zu üben. Aufgeboten sind zwei Großgrantler (Mario Basler und Thomas Berthold, beide Sat.1), drei Spaßvögel (Gerald Asamoah, N24, Hasan Salihamdizic, ZDF, Giovanne Elber, ARD) sowie ein eigentümlicher Grübler (Christian Ziege, n-tv.) In der ersten Reihe messen sich Mehmet Scholl (ARD) und Oliver Kahn (ZDF): Erwartet wird ein enges Duell um die Nummer eins unter den Experten.

Helmut Monkenbusch