.

Alte Story mit neuem Star

Mitgefühl für den Underdog

The Amazing Spider-Man
Ab 28.6. im Kino: Andrew Garfield als "The Amazing Spider-Man" Sony Pictures
Peter Parker wird im Film Zeuge eines Vorfalls auf dem Schulhof, als ein Junge gehänselt und misshandelt wird. Gab's das in Ihrer Schulzeit auch? Oder waren Sie einer, dem alle Mädchen zu Füssen lagen und der nie gehänselt wurde?

ANDREW GARFIELD
Ich bin sogar jetzt noch sehr schüchtern, wenn's um Mädchen geht. Und ich sah eine Menge dieser Art in der Schule, wurde auch selbst schon so geärgert. In meiner Grundschule, als ich sechs war, gab es diesen Jungen, der selbst unglücklich war und andere deswegen leiden ließ. Heute weiss ich, dass jeder "Bully" meist selbst Opfer war oder sonst irgendwelche Probleme hat. Dass er sich machtlos fühlt und sich auf diesem Wege ermächtigt. Aber dieses "Bullying" ist ein echtes Problem. Weil es Leute tötet - entweder buchstäblich oder zumindest ihre Seele. Doch manchmal macht es sie auch stärker.

In welche Kategorie fällt Peter Parker?

ANDREW GARFIELD
Peter ist einer, den die Unterdrückung stärker macht. Ohne sie - und ohne sein Mitgefühl für den Underdog - würde er es nicht zu dem Helden bringen, der er später wird. Er ist ja Waise, hat keinen Vater. Seine Tante und sein Onkel, bei denen er lebt, sind großartig, aber sie sind eben nicht Mum und Dad. Waisen sind die zähesten Menschen der Welt, sie müssen eine ungeheure innere Stärke entwickeln. Das macht auch Peter Parker zu einer so inspirierenden Figur. Nicht Spiderman wohlgemerkt, sondern Peter. Der ist anfangs machtlos. Er hat zwar die Seele eines Helden, doch ihm fehlen das Instrumentarium und die körperliche Kraft, um das auch umzusetzen. All das wird ihm zuteil, als er sich in Spiderman verwandelt, und dann ist er nicht mehr zu bremsen. Ich habe mich als Kind mit genau diesem Gefühl identifiziert: dass ich mich im Inneren immer stärker fühlte als ich äusserlich tatsächlich war.
Haben Sie an Ihren Peinigern von Schulhof Rache geübt?

ANDREW GARFIELD
Nein, nie. Rache ist eine gefährliche Sache. Sehr menschlich und mitunter fast unwiderstehlich. Aber sie führt zu nichts, das zeigt schon jede griechische Tragödie. Auch Peter lernt, dass Rache keine Antwort ist. Und er verschreibt sich einer Sache, die größer ist als jeder bloße persönliche Rachezug. Er wird zum Symbol einer Solidarität, die Schwächere beschützt, sich kümmert. Man könnte auch sagen: Liebe.

War es leicht für Sie, einen Teenager zu spielen?

ANDREW GARFIELD
Ja. (lacht) Ich spiele noch immer noch wie ein Kind. Und ich fühle mich noch immer wie ein Teenager, mit allen Höhen und Tiefen, die das Erwachsenwerden so mit sich bringt. Das war eine so unvergessliche, reiche, lebendige Zeit. Ich bin heute noch genauso unsicher wie damals - in Bezug auf mich, mein Weltverständnis, Peinlichkeiten, mein Unterbewusstes, den Sinn des Lebens. Manchmal würde ich diese Zeit gern vergessen, aber das geht nicht. Du machst einfach so vieles durch: Schmerz, entscheidende Erfahrungen, Angst. Ich war ein wahnsinnig angstzerfressener Teenie. Dabei lief in meinem Leben gar nichts wirklich schief, ich wollte nur verstehen, wer ich bin und - warum? Warum? Warum? Warum? All diese existentiellen Dramen, die man halt durchläuft. Und die ich immer noch durchlaufe.

Sind Sie deswegen Schauspieler geworden - um so die angsterfüllte Suche nach dem Sinn des Lebens fortzusetzen?

ANDREW GARFIELD
Ich glaube, ich bin Schauspieler geworden, weil ich das Leben - und die Menschen - besser verstehen wollte. Einfach auskundschaften, was es bedeutet, lebendig zu sein, Teil der Welt zu sein mit all ihren verschiedenen Lebensentwürfen.
Wir kennen Sie eher aus Indiefilmen. Haben Sie beim Blockbuster Spiderman gleich zugesagt - oder hatten Sie Zweifel?

ANDREW GARFIELD
Zuerst musste ich mal einen Screentest machen. Und schon vor dem Test musst du einen Vertrag unterschreiben, dass du die Rolle annimmst, falls dir anschließend angeboten wird. Jeder, der den Screentest macht, unterschreibt das - eine etwas merkwürdige Situation, aber so läuft das nun mal bei Filmstudios. Bevor ich mich dazu verplichtete, plagten mich einen Monat lang Zweifel. Ich hatte einfach Angst. Am Ende bliebt mir keine Wahl. Spider-Man war eine Figur, die mir seit 25 Jahren im Blut, im Herzen und in den Sehnen lag. Aber ich war mir natürlich klar darüber, wie tiefgreifend dieser Film mein Leben verändern könnte. Doch das Leben ist ja nur ein Witz, wir sind nur eine kurze Weile auf der Welt, da muss man alles mitnehmen. Ich hätte es lebenslang bereut, wenn ich aus Angst abgesagt hätte. Am Ende war es ganz leicht: Der Dreijährige in mir sagte: Ich will Spider-Man sein! Damit war alles entschieden.

Wie Sie schon sagen: Der Film könnte Ihr Leben grundlegend verändern. Haben Sie sich schon Verkleidungen ausgedacht für die Zeit nach dem Filmstart, wenn jeder auf der Strasse Ihr Gesicht erkennt?

ANDREW GARFIELD
Ich will diesen Sommer in irgendeiner sehr entlegenen Weltgegend verbringen. Einfach entkommen - und ich sage Ihnen nicht, wohin.

Interview: Michael Mutz