.

80er-Jahre-Trendsport Tennis

Das größte Spiel seines Lebens

Wie Boris Becker in Hartford, Connecticut, John McEnroe besiegte

Boris Becker mag drei Mal Wimbledon gewonnen haben, sechs Grand-Slam-Turniere, 49 Einzel-Turniere und die Goldmedaille im Doppel bei Olympia 1992. Doch unsterblich hat er sich durch ein Mammut-Match vor 22 Jahren gemacht. Am 24.Juli 1987 kam es in Hartford, Connecticut im Rahmen des Davis Cups zu einem Match der Giganten: Boris Becker gegen John McEnroe.

Kampf gegen den Abstieg

Es war ein Kampf ums Überleben, denn die beiden Tennismächte hatten sich zuvor nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Deutschland verlor in der ersten Runde gegen Spanien, weil der in einer kleinen Krise steckende Becker sang- und klanglos das entscheidende Einzel gegen Sergio Casal verlor, während sich die USA bis auf die Knochen gegen Paraguay blamierten. Nun drohte einem von ihnen der Abstieg aus der Weltgruppe. Um sicher zu gehen, dass es nicht den Rekordsieger USA traf, fuhren die Amerikaner ihre schwersten Geschütze auf. Seit 1984 hielt es John McEnroe für unter seiner Würde die amerikanischen Flaggen im Davis Cup zu vertreten, doch die Aussicht auf einen Abstieg motivierte den ehemaligen Weltranglisten-Ersten noch einmal. "Ich will nicht in die zweite Liga, wir sollten nicht in Kampuchea oder sonst wo spielen", diktierte er den Journalisten in die Notizbücher - und eröffnete die Psychospielchen mit der Kampfansage "wir werden gewinnen, keine Frage" - wobei er insbesondere Eric Jelen als Schwachstelle im deutschen Team ausmachte.
Doch Jelen gewann sein Einzel gegen Tim Mayotte sensationell, und so stand McEnroe plötzlich unter Zugzwang. Die Bühne war bereitet für eines der größten Tennis-Matches aller Zeiten.

Es fing relativ unspektakulär an. Nach 50 Minuten gewann McEnroe den ersten Satz mit 6:4, indem er Beckers Aufschlag zu Null durchbrach. Doch dann kam der zweite Satz der länger dauern sollte als die meisten Tennisspiele:

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Passend zum Inhalt finden Sie hier einen externen Inhalt von YouTube. Aufgrund Ihrer Tracking-Einstellung ist die technische Darstellung nicht möglich. Mit dem Klick auf „YouTube-Video anzeigen“ willigen Sie ein, dass Ihnen ab sofort externe Inhalte dieses Dienstes angezeigt werden.

YouTube-Video anzeigen

Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Über den Privacy Manager im Footer können Sie die aktivierten Funktionen wieder deaktivieren.

Beim Stand von 7:7 (beim Davis Cup gab es zur damaligen Zeit noch keinen Tie-Break) durchbrach Becker McEnroes Aufschlag zum 8:7, doch der Amerikaner konterte und holte sich das Spiel sofort zurück. Beim Stand von 10:11 lag Becker bereits mit 0:40 bei eigenem Aufschlag zurück und wehrt insgesamt fünf Satzbälle ab, bevor er das Spiel gewann. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das 16000 Zuschauer umfassende Civic Center längst in einen Hexenkessel verwandelt.

Psychospiele im Hexenkessel

McEnroe begann, wie es seine Art ist, jede Schiedsrichterentscheidung zu diskutieren, eine Linienrichterin zu beschimpfen und sich mit Becker über das Netz Beleidigungen zuzuwerfen. Die amerikanischen Reservisten und Trainer spielten das Spiel munter mit und drehten sich immer wieder mit aufheizenden Gesten in Richtung Publikum. Dennoch gelang Becker beim Stand von 13:13 schließlich das entscheidende Break, weil er McEnroes Psychospiele konterte und während dessen Aufschlag auf der Grundlinie hin und her trabte. Fuchsteufelswild versuchte McEnroe seinerseits noch einmal einen Psychotrick, in dem er demonstrativ im Schneidersitz darauf wartete, dass Becker von der Bank zurückkommt. Doch es half nichts. Nach sage und schreibe zwei Stunden und 35 Minuten hatte Becker mit 15:13 den Satzausgleich geschafft. Zu diesem Zeitpunkt war es in Deutschland zwei Uhr morgens.
Doch wer glaubte, McEnroes Widerstand sei damit gebrochen, irrte sich. Der dritte Satz entwickelte sich wieder zu einem nervenaufreibenden Geduldsspiel und ging ebenfalls in die Verlängerung. Insgesamt fünf Breakchancen ließ Becker bei drei Aufschlagspielen von McEnroe aus, der wiederum das erste problematische Aufschlagspiel von Becker kaltblütig ausnutzte und den dritten Satz nach einer Stunde und 33 Minuten mit 10:8 für sich entschied. Es war 3:36 Uhr in den deutschen Wohnzimmern und das Publikum brauchte ebenso wie die beiden Kontrahenten dringend eine Pause, die zum damaligen Zeitpunkt noch fest in den Davis-Cup-Regularien stand.

McEnroe am Ende

18 Minuten später kehrten die beiden wieder auf den Platz zurück, doch irgendwas war in der Kabine geschehen. Während Becker trotz der Satzniederlage voller Energie zurückkehrte, sah man McEnroe an, dass das Match Kraft gekostet hatte. In nur 1 Stunde und 22 Minuten entschied Becker die letzten beiden Sätze mit jeweils 6:2 für sich und hatte nach 6 Stunden 38 Minuten - sechs Minuten mehr als beim bisherigen Rekordmatch zwischen McEnroe und dem Schweden Mats Wilander - seinen Gegner in die Knie gezwungen. "Er hat alles versucht und ich habe alles versucht", fasste Becker nach dem Match, das um 5.16 Uhr deutscher Zeit zu Ende ging, seine Gedanken zusammen, "es war ein Krieg da draußen." Ganz Recht hatte er damit nicht, denn es war nur eine Schlacht. Der Krieg, wenn man es denn so nennen will, war noch nicht vorbei. Erst gewannen die USA das Doppel, dann blieb Eric Jelen gegen McEnroe chancenlos. Die Entscheidung musste zwischen Becker und Tim Mayotte fallen, ging ebenfalls über fünf Sätze und verwandelte das Civic Center erneut in einen Hexenkessel.

Besonders im entscheidenden fünften Satz lagen die Nerven blank, als Becker einen Ball achtlos über die Schulter warf, der im Schoss von McEnroe landete. Der zögerte keine Sekunde und versuchte Becker abzuwerfen, woraufhin der sich mit US-Kapitän Tom Gorman in die Haare geriet. Doch Becker behielt die Nerven, gewann mit 6:2 und sorgte anschließend für das Sportfoto des Jahres, als er mit einer riesigen Deutschland-Fahne eine Ehrenrunde durch die Arena drehte. Der emotionale Wert dieses Sieges war in Worte nicht zu fassen, der sportliche schon. Durch den Sieg blieb Deutschland ein weiteres Jahr in der Weltgruppe und konnte in den kommenden zwei Jahren den Davis Cup für sich entscheiden. All dies wäre ohne diese enorme Kraftleistung von Boris Becker (und Eric Jelen) nicht möglich gewesen.
Rüdiger Meyer