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"Zettl" (2.2.2012)

In ist, wer drin ist

Zettl – Unschlagbar charakterlos
Max Zettl (Bully Herbig) kennt alle Tricks und kann sogar chinesisch... Warner Bros. Pictures

"Zettl" kommt: Regisseur und Autor Helmut Dietl überzieht Berlin mit Klatsch und Tratsch. Titelheld seiner Kinosatire ist Bully Herbig als Online-Reporter

Die erste Überraschung: Helmut Dietl hat seinen Look geändert. Er trägt Schwarz. "In meinem Alter fände ich Weiß albern." Zweite Überraschung: Dietl, dessen Perfektionismus in der Branche gefürchtet ist, und sein Hauptdarsteller Michael Bully Herbig sind beim Interview im Münchner Hotel "Bayerischer Hof" ein Herz und eine Seele.

Gemeinsam haben sie die Kinokomödie "Zettl" gedreht, in der Dietl die Geschichte des Münchner Klatschreporters Baby Schimmerlos weitererzählen wollte, den Franz Xaver Kroetz 1986 in "Kir Royal" gespielt hat (siehe unten). Schimmerlos sollte in Berlin auf den Online-Journalisten Max Zettl treffen. Dass nun Bully Herbig die alleinige Hauptrolle spielt, ist die dritte Überraschung.

TV SPIELFILM: Alle wundern sich, dass Franz Xaver Kroetz nicht mehr mit von der Partie ist. Wie kommt's?

HELMUT DIETL Der Herr Kroetz war von Anfang an informiert über den jeweiligen Stand der Dinge. Ursprünglich wollte ich erzählen, wie ein Vertreter der alten Schule auf einen der neuen Medien trifft. Baby Schimmerlos ging damals zwar auch über Grenzen, aber er hatte durchaus noch Vorstellungen von Moral und Unmoral. Max Zettl hat die nicht mehr, in seinem Weltbild kommen Begriffe wie Unmoral oder Skrupel gar nicht vor.

Was gefiel Kroetz daran nicht?

HELMUT DIETL Eines Tages, wir waren schon kurz vor Drehbeginn, hatten wir ein Gespräch in München. Bei dem hat sich herausgestellt, dass er all das nicht mehr wollte, was er in der Rolle tun sollte. Mit dem Zug nach Berlin fahren, seine alte Liebe Mona wiederfinden etc. Er sagte: Ich komme doch nicht mit dem Zug daher, sondern mit einem Porsche, und dann müssen sie alle Angst haben, und es müssen viel mehr junge Weiber da sein und nicht so alte wie die Senta Berger als Mona. Zu guter Letzt hat er mir allen Ernstes vorgeschlagen, dass er das Drehbuch selbst umschreiben würde. Ich habe mir 14 Tage Bedenkzeit ausgebeten und ihm dann einen Brief geschrieben, in dem ich ihm sagte, dass ich auf seine Mitwirkung an dem Film verzichte.

Bully, wie macht man sich eine Figur zu eigen, die so rücksichtslos vorgeht wie Max Zettl?

MICHAEL BULLY HERBIG Das war gar nicht schwer, weil das Drehbuch, gerade was die Dialoge betrifft, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet ist. Da musste man sich nur noch draufsetzen.

Helmut Dietl ist gefürchtet dafür, Szenen vorzuspielen, bis sie sitzen. Ihnen auch?

MICHAEL BULLY HERBIG Dauernd, er macht es ja heute noch. Wenn wir uns nachher verabschieden und ich ziehe meine Jacke an, nestelt er daran rum, damit das gut ausschaut. Er kann nicht anders.

Gab's Probelesungen?

MICHAEL BULLY HERBIG Aber ja. Weil wir dabei nur zu zweit waren, haben wir uns alle Rollen aufgeteilt. Das Zufallsprinzip hat dafür gesorgt, dass ich auch die Rolle von Senta Berger gesprochen habe. Ich lese also den Text, und auf einmal sagt er, nein, betone das bitte so. Sage ich zu ihm: Helmut, ich spiele die Mona doch gar nicht, ich lese sie jetzt nur. Trotzdem hat er mich korrigiert. Er hat jahrelang an diesem Text, dieser Partitur, geschrieben, er weiß genau, wie sich das anhören soll. Und es macht ihn wahnsinnig, wenn er das nicht so bekommt.

Macht es Sie auch wahnsinnig?

MICHAEL BULLY HERBIG Nein.

Wie nervös waren Sie vor dem ersten Drehtag?

MICHAEL BULLY HERBIG Den werde ich nie vergessen. Es war eine Szene in einem Restaurant. Die Komparsen haben schon gesessen, die Kerzen gebrannt, alles war perfekt. Karoline Herfurth und ich haben eine Stellprobe gemacht. Ich hatte zwei Sätze gesagt, da kam er schon um die Ecke: Naaa, Bully, das musst du trockener sagen. Ich probier's noch mal. Er: Naaa, Bully, trockener. Als die Stellprobe zu Ende war, guckte mich mein Maskenbildner mit großen Augen an und fragte: Wie viele Drehtage hast du?

Wann wurde es besser?

MICHAEL BULLY HERBIG So war es nur am ersten Drehtag. Ich kam mir vor wie ein Neuwagen. Helmut Dietl hat sich reingesetzt, alles eingestellt, und dann sind wir losgefahren.

Towje Kleiner, mit dem Sie 1979 die Kultserie "Der ganz normale Wahnsinn" gedreht haben, erinnerte sich an Ihren Satz: Ich führe Regie, und du machst, was ich dir sage.

HELMUT DIETL Ja, warum nicht.

Ist das ein Satz, Bully, den Sie als Regisseur zu Ihren Schauspielern auch sagen würden?

MICHAEL BULLY HERBIG Ich würde es ein bisschen blumiger ausdrücken.

HELMUT DIETL Aber gemeint wäre dasselbe.

MICHAEL BULLY HERBIG Gemeint wäre dasselbe.

HELMUT DIETL Filme machen ist keine demokratische Angelegenheit. Natürlich kann jeder eine Meinung haben, aber beim Drehen soll er sie bitte für sich behalten. (Bei diesen Worten steht Dietl unvermittelt auf und öffnet den zweiten Flügel einer Tür, der bislang nur halb geöffnet war, bis beide Flügel ein symmetrisches Bild ergeben.)

War das nicht schön genug?

Herbig Das ist das Nesteln, von dem ich eben gesprochen habe.

HELMUT DIETL So etwas lenkt mich ab.

Sind Sie daheim auch so?

HELMUT DIETL Ich wollte gerade sagen, meine Frau ist an so was gewöhnt.

Für "Zettl" haben Sie drei Jahre in der Berliner Politszene recherchiert. Wissen Sie jetzt, wer mit wem?

HELMUT DIETL Ja, weiß ich. Trotzdem lege ich Wert auf die Feststellung, dass es sich bei dem Film um ein Märchen handelt.

Man setzt sich ins Promi-Restaurant Borchardt, hält die Ohren auf und weiß nach drei Jahren alles über jeden?

HELMUT DIETL Ich habe die Leute angerufen, mit denen ich sprechen wollte, und habe mich mit denen zum Essen getroffen. Gefragt habe ich in den drei Jahren nichts. Und zwar niemanden jemals irgendwas. Die haben alle von ganz allein das Reden angefangen.

Wie in "Kir Royal" persiflieren Sie in "Zettl" die Politschickeria. Keine Angst vor Klagen?

HELMUT DIETL Nein. Bei "Kir Royal" haben die Leute spekuliert, aber ich selbst habe nie was dazu gesagt. Wenn jemand in "Zettl" gern irgendjemanden wiedererkennen möchte, dann soll er das halt tun.

Der letzte Satz des Films lautet: "Mei, du kannst so schön lügen, dir glaubt man sogar, wenn du die Wahrheit sagst." Ihre Quintessenz nach drei Jahren Berlin?

HELMUT DIETL Ja. Die sagen doch alle nur, was ihnen gerade nützt. Zum Beispiel dieser Herr Sigmar Gabriel. Weil er gehört hat, dass sie in Neuseeland gute Erfahrungen damit gemacht haben, Glühlampen zu verbieten, schreibt er nach Brüssel, dass wir jetzt auch Glühlampen verbieten müssen. Jetzt kostet jede Lampe ungefähr das Zehnfache. Sie hält aber nur kurz. Ich habe neulich eine solche Energiesparlampe gekauft, die ein sehr schlechtes Licht gibt.

MICHAEL BULLY HERBIG ...vor allen Dingen ein sehr deprimierendes Licht...

HELMUT DIETL Die war schon nach ein paar Tagen kaputt. Ich gehe in den Laden, da fragen die, ob ich die Lampe öfter an- und ausgemacht hätte. Tja, sagte die Verkäuferin, das geht nicht. Am besten ist es, wenn Sie die brennen lassen. Mit dieser genialen Idee hat sich der famose Herr Sozialdemokrat Gabriel als Umweltminister profilieren können, weil die Liebhaber der Glühlampe keine so mächtige Lobby haben wie die Leuchtmittelindustrie.

Warum sehen wir das nicht im Film?

HELMUT DIETL Im nächsten sehen wir das alles.

Versprochen?

HELMUT DIETL Ja.

MICHAEL BULLY HERBIG Mich hat es zu meinem ersten Hamstereinkauf bewogen. Ich habe kistenweise Glühbirnen gekauft. 40, 60 und 100 Watt. Wer weiß, was mit dem Euro passiert - mit den Glühbirnen bin ich auf der sicheren Seite. 

Susanne Sturm
"Kir Royal" - die Kultserie
Im München der 80er-Jahre feiert die Bussi-Gesellschaft wilde Partys, und Klatschreporter Michael Graeter ist ihr dabei stets dicht auf den Fersen. Helmut Dietl und Co-Autor Patrick Süskind ("Das Parfum") karikierten das bayerische Dolce Vita 1986 in der sechsteiligen ARD-Serie "Kir Royal". Ihr schillernd-skrupelloser Held ist Boulevardschreiber Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz), ihm zur Seite stehen Fotograf Herbie (Kabarettist Dieter Hildebrandt, o. r.) und Freundin Mona (Senta Berger). Quotenmäßig
waren die Sechzigminüter kein großer Erfolg, aber die Kritiker liebten sie. Zweimal erhielt die Serie den Grimme-Preis. Eine DVD-Jubiläumsbox von 2006 (2010 in neuer Verpackung wieder aufgelegt) enthält alle Folgen, ein Dietl-Interview und den Soundtrack.