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Victoria

Filme ohne Schnitt

Filme ohne Schnitt
Senator Film

Der deutsche Kritikerhit "Victoria" ist nicht der einzige Film, der ohne Schnitt in einem einzigen langen Take gedreht wurde. Wir stellen die bekanntesten vor.

Ein zweistündiger Film, in einem einzigen Take gefilmt, ohne einen einzigen Schnitt: Als die Filmkritiker Deutschland von Sebastian Schippers Berlin-Film "Victoria" erfuhren, feierten sie ihn als einzigartiges Experiment. Was in dem Hype etwas unterging: "Victoria" ist beileibe nicht der einzige Film, der dieses logistische Wagnis einging.

Gerade in den letzten Jahren erschienen mehrere dieser One-Take-Filme. Kein Zufall, ermöglicht es doch jetzt die digitale Technik, mehrere Stunden am Stück zu drehen ohne einen Film wechseln zu müssen. Alfred Hitchcock musste bei seinem Echtzeitthriller "Cocktail für eine Leiche" noch tricksen um den Anschein eines einzigen Takes zu erwecken. Weil wir gnädig sind haben wir Hitchcocks Experiment trotzdem in diese Liste aufgenommen, genauso wie andere Filme, die aus technischen Gründen schneiden mussten und Filme, die aus künstlerischen Gründen mit unsichtbaren Schnitten das Feeling von Echtzeit erwecken.
Victoria (2015)
Foto: Senator Film
Die Story ist eigentlich sekundär: Eine Clique junger Männer (u. a. Frederick Lau) und eine junge Spanierin (Laia Costa) treffen sich im Morgengrauen vor einem Berliner Club, ziehen gemeinsam um die Häuser, knacken Autos, klauen Bier - und überfallen eine Bank. Das Unfassbare ist nicht die verhängnisvolle Geschichte selbst, sondern wie sie von Regisseur Sebastian Schipper ("Absolute Giganten") erzählt wird. Als rauschhaftes Echtzeiterlebnis, gedreht in einer einzigen 135-minütigen Kameraeinstellung, entwickelt der Film eine geradezu hypnotische Spannung. Das Team drehte drei Durchgänge, nach zwei eher misslungenen Versuchen glückte der dritte, den wir im Kino zu sehen bekommen.
Russian Ark (2000)
Foto: Alive Vertrieb und Marketing
Bis "Victoria" kam, galt dieser moderne russische Klassiker als der One-Take-Film schlechthin. Wie bekommt man die russische Geschichte von Katharina der Großen bis zum Vorabend der Revolution in den Griff? Regisseur Alexander Sokurow gelingt es, indem er 200 Jahre auf einen einzigen durchgehenden Take ohne jeglichen Schnitt verdichtet - gefilmt im Hermitage-Museum von St. Petersburg mit zahllosen Darstellern und tausenden Statisten. Der logistische Kraftakt wird zur melancholischen Zeitreise auf einem hypnotischen Bilderstrom. Sokurow macht es sich etwas leichter als Sebastian Schipper. Während die Kamera sich bei "Victoria" ins volle Geschehen stürzt, gleitet sie bei "Russian Ark" oft an tableauartig gestalteten Räumen vorbei.
Timecode (2000)
Foto: Screen Gems
Vier Filme zum Preis für einen: Mike Figgis ("Leaving Las Vegas") vierteilt den Bildschirm und zeigt vier parallele Storys um Filmstudio-Angestellte. In Echtzeit gedreht und prallvoll mit Stars (u. a. Holly Hunter, Salma Hayek, Julian Sands). Figgis drehte fünfzehn Durchgänge bevor er mit dem 16. Versuch zufrieden war.
Lost in London (2017)
Foto: Screenshot Youtube/Picturehouse
So was konnte nur dem bekennenden Kiffer Woody Harrelson einfallen: Der "True Detective"-Star drehte, inspiriert durch "Victoria", am 19. Januar 2017 eine Komödie, die gleichzeitig live in mehreren Londoner Kinos ausgestrahlt wurde! Ein bisher einzigartiges Experiment. Basierend auf realen Erlebnissen einer wilden Soho-Nacht von 2002 irren Harrelson, Kollege Owen Wilson und Country-Legende Willie Nelson auf der Flucht vor der Polizei durch London.
Agadam (2014)
Foto: Screenshot Youtube
Den Titel des längsten Films ohne Schnitt reklamierte der indische Horrorfilm Agandam, gedreht in tamilischer Sprache für sich. Mohamad Issack drehte den Film am 7. Dezember in Anwesenheit einer Jury des Guiness Buch der Rekorde und schaffte mit zwei Stunden, drei Minuten und 30 Sekunden einen Eintrag ins Rekorde-Buch. "Agadam" schlug damit um wenige Sekunden den schwedischen Film "7333 Seconds of Johanna", der ebenfalls einen Guiness-Beauftragten ans Set lud. "Victoria" hatte in dieser Hinsicht offenbar keine Ambitionen.

Wenn man die Homepage des Guiness Buch der Rekorde aufruft, findet man an dieser Stelle jedoch mittlerweile einen anderen Film, nämlich...
One Shot - Fear Without Cut (2010)
... diesen obskuren Film, der bereits 2010 entstand:
Der Titel schreit es uns förmlich ins Gesicht: Dieser Bollywood-Thriller setzt voll auf seinen Ohne-Schnitt-Stunt und schaffte es damit ins Guiness Buch der Rekorde. Mit 3 Stunden, 28 Minuten und 4 Sekunden Lauflänge wurde er dort als längster Film ohne Schnitt gelistet. Ansonsten scheint der Film ein Phantom zu sein. In der Filmdatenbank imdb ist weder er noch sein Regisseur Haroon Rashid zu finden. Aber vertrauen wir Guiness...
Weitere One-Take-Movies:
Javdanegi: Ein iranischer Film von 2016, der 145 Minuten lang (damit sechs Minuten mehr als "Victoria") sechs Familien auf einer Zugfahr begleitet.

Ebenfalls aus dem Iran stammt der Slasher-Horror Fish & Cat (2013) über ein Restaurant, das Menschenfleisch serviert, nach einem angeblich wahren Fall...

PVC-1 (2007) Ein Echtzeitthriller aus Kolumbien, bei dem eine Verbrecherbande einen Opfer eine Bombe um den Hals hängen um Lösegeld zu erpressen.
Cocktail für eine Leiche (1948)
Foto: MGM
Streng genommen kein One-Shot-Film, da Alfred Hitchcock für sein Thrillerkammerspiel aus technischen Gründen nur zehn Minuten am Stück drehen konnte. Dann mussten schließlich die Filmrolle gewechselt werden. Um die Schnitte zu verschleiern und ein Echtzeit-Feeling zu erzeugen griff der Meister deshalb auf Tricks zurück. So fährt die Kamera mehrmals auf komplett schwarze Hintergründe, wo heimlich geschnitten werden konnte. Trotzdem verdient der Film wegen seines Wagemuts einen Platz auf dieser Liste, auch wenn Hitch außerdem auch ein paar harte, sichtbare Schnitte einsetzt.
Birdman (2014)
Foto: 20th Century Fox
Dank modernster Technik kann Alejandro González Iñárritu unsichtbare Schnitte eleganter einsetzen als weiland Alfred Hitchcock. So wirkt seine Tragikomödie über einen abgehalfterten Filmstar (Michael Keaton), der am Broadway durchstarten will, wie aus einem Guss, auch wenn die Story in Zeit und Raum springt.
Empire (1964)
Auch wenn streng technisch gesehen nicht alles in einem Zug gedreht wurde, schließlich mussten auch hier Filmrollen gewechselt werden, schießt Andy Warhols Experimentalfilm den Vogel ab. Aus einer einzigen festen Einstellung filmte der Popkünstler in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1964 das New Yorker Empire State Building, stundenlang. 458 Minuten dauert der Film, in Worten: Acht Stunden und fünf Minuten!
Autor: Sebastian Milpetz