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TV-Tipp

David Lynch in der österreichischen Provinz: "Mörderisches Tal- Pregau"

Gemütlich geht anders: Das Erste serviert den Weihnachts-Vierteiler "Mörderisches Tal - Pregau" (25.-28.12., 21.45 Uhr). TV SPIELFILM hat mit Machern und Schauspielern gesprochen.

Ein Auto fährt über eine einsame Straße, gesäumt von dicht stehenden Bäumen, die das Licht schlucken. Darüber Berge, von grauen Wolken verhüllt. Musik setzt ein. Eine Frauenstimme singt, halb fragend, halb klagend "Kommst du mit mir in dieses dunkle Tal?". Was so düster anfängt, endet selten gut.

"Pregau" führt auf dem Lost Highway mitten ins David-Lynch-Land monströser Verbrechen. Trotz dieser atmosphärischen Nähe zu "Twin Peaks" oder "Fargo" (siehe Kasten) spielt die Geschichte unübersehbar in Österreich. Dort, in Wien, Salzburg und vor allem in der Steiermark, wurde der Vierteiler vom 16. Juni bis 31. Oktober 2015 gedreht.

In der fiktiven Kleinstadt Pregau klafft ein Abgrund zwischen der zur Schau gestellten Ehrbarkeit und den heimlich begangenen Sünden. Da gibt es den Patriarchen (Wolfgang Böck), der offiziell eine Tierverwertungsanstalt betreibt und heimlich einen Puff. Da gibt es seine Tochter Maria (Ursula Strauss), die ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Neffen hat. Und da gibt es Marias Mann, den von Maximilian Brückner gespielten Kommissar Hannes Bucher, der einmal einen Fehler macht und dadurch eine Kettenreaktion in Gang setzt, die nicht nur sein Leben bedroht.

Er handelt "irrational und unmoralisch, aber emotional nachvollziehbar", sagt Brückner über Bucher. "Er versucht, in dem ganzen Schlamassel ein integrer Mensch zu sein. Deshalb leidet und bangt man auch mit ihm." Brückner hat das an "House of Cards" erinnert: "Man fiebert bis zum Schluss mit, obwohl sich Kevin Spacey wie ein Arschloch verhält."

Der 37-Jährige, 2017 als Martin Luther im ZDF zu sehen, war von dem Drehbuch fasziniert.Von der konsequent horizontalen Erzahlweise, die alle vier Teile über einen durchgängigen Spannungsbogen verknüpft. Und davon, dass die grotesken Szenen, durch die manchmal ein Hauch Tarantino weht, nicht abgemildert wurden.
Armin Rohde hört auf seinen Bauch
Armin Rohde ging es bei der Lektüre des Buchs ganz ähnlich. Trotzdem sagte er ab. "Meine Rolle hat mich zunächst verwirrt", erläutert der Vegetarier in der Münchner Käfer-Schänke, während er herzhaft ins Schnitzel beißt ("Die Spezialität des Hauses, da muss ich einfach eine Ausnahme machen"). Einige Tage nach seiner Absage klingelte das Telefon. Am Apparat der Autor und Regisseur Nils Willbrandt. Er versuchte, Rohde seine Rolle schmackhaft zu machen. "Während wir redeten, hörte ich, wie sein kleiner Sohn zu ihm kommt und etwas von ihm will", erinnert sich Rohde. "Ich habe mitbekommen, wie freundlich und respektvoll der Regisseur mit seinem Kind geredet hat, obwohl er gleichzeitig darum kämpfte, mich für die Rolle zu gewinnen. Das hat er so klug gemanagt, dass ich mir sagte: Dem Mann kannst du vertrauen." Also hörte er auf sein Bauchgefühl und sagte zu. Ein Glücksfall, denn keiner spielt so mit vollem Körpereinsatz wie das Schwergewicht.

Anfangs gibt er Max Dirrmeyer geduckt, ein Opfer, über das die Pregauer spotten, aber dann rafft er sich auf, geht aufrecht und schlägt zurück. "Man kann sich durchaus vorstellen, dass er vielleicht mal bei der Fremdenlegion war", sagt Rohde, der gern mit österreichischen Kollegen wie Robert Palfrader dreht, weil sie nicht wie manche Deutsche die Tiefe ihrer Seele auszubreiten versuchten, sondern einen komödiantischen Überlebenswillen an den Tag legten.
Sprengung aller Genre-Grenzen
Nils Willbrandt gilt trotz seiner norddeutschen Wurzeln schon als halber Homo austriacus. Die Tarnung gelingt ihm so gut, dass Maximilian Brückner nach der Lektüre des "Pregau"-Drehbuchs fest davon überzeugt war, nur ein Österreicher könne sich etwas so Schräges ausdenken. Tatsächlich hat sich Willbrandt für das Projekt ein Jahr freigenommen und vor Ort genau recherchiert, speziell in der Kleinstadt Eisenerz im Norden der Steiermark, wo viele Wohnhäuser leer stehen, weil die Bergarbeiter keine Arbeit mehr finden. "Bei einem Spaziergang durch das Zentrum kann man das Umschalten der Ampel hören", notierte ein Wiener Journalist. Beste Voraussetzungen also, um eine stimmige filmische Atmosphare zu erzeugen für - ja, für was eigentlich?

"Was mir gefällt, ist, dass der Vierteiler die üblichen Genrekonventionen sprengt: Ist das nun ein Drama, ein Krimi, ein Thriller, eine Komödie?" Das fragt sich wohl nicht nur Hauptdarsteller Maximilian Brückner, der als katholischer Oberbayer auch nicht versäumt, die biblische Dimension des Endes hervorzuheben.

Regisseur Willbrandt hatte bei der Bildgestaltung ebenfalls mehr im Sinn als eine quasidokumentarische Abhandlung zur Kleinstadtsoziologie. "Es geht mir nicht um eine Beschreibung des Land- oder Provinzlebens", so Willbrandt, der schon in "Blutadler" (2012) Crime und Mystery mixte. "Man betritt als Filmemacher Fantasieräume, in denen man das, was man träumt, ausleben darf. Und dieses Tal in der Steiermark ist ein Ort, der stark genug ist, um diese Geschichte auszuhalten."
Erfolgreich wie "Wallander"?
Eine Story, die auch etwas enthält, was man in Willbrandts norddeutscher Heimat Spökenkiekerei nennt. Die Tochter des Polizisten wird nämlich von Visionen heimgesucht. Willbrandt filmt das sehr modern, das Übersinnliche bricht ansatzlos aus den Rissen in der Realität in die Wirklichkeit hinein und wird visuell gleichwertig behandelt. Ein echter Fortschritt gegenüber den Zeiten, als erst ein Zoom auf das Gesicht einer Seherin erfolgte, damit jedem klar wird, dass sich die folgenden Bilder nur im Kopf abspielen.

6,3 Millionen Euro haben sich ORF und ARD Degeto die 360 Minuten kosten lassen. Für Das Erste ein Experiment. Auf dem Sendeplatz laufen sonst internationale Reihen wie "Wallander". "Pregau" ist ein Test, ob man dieses Niveau auch mit eigenen Mitteln erreichen kann.
Autor: Rainer Unruh