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Klaus-Peter Wolf

Klaus-Peter Wolf schreibt Krimis und Jugendbücher, außerdem Drehbücher für Fernsehfilme und Krimireihen wie "Tatort" und "Polizeiruf 110".

Im Interview erklärt er die Hintergründe zu seinem Buch "Sklaven und Herren", das schildert, wie ältere Schüler jüngere mit erniedrigenden Handy-Filmchen erpressen und regelrecht "versklaven".

TV SPIELFILM: Wie sind Sie auf die Idee zu Sklaven und Herren gekommen?

Klaus-Peter Wolf: Ich ziehe auf langen Lesereisen durch deutsche Schulen. Dabei habe ich gemerkt, dass die Schüler in unseren Krimis gar nicht vorkommen. Und die Jugendkrimis, die es damals so gab, die befassten sich mit Themen wie: Wer hat den Pokal der Fußballmannschaft geklaut? Die tatsächlichen Probleme der Jugendlichen kamen nicht vor.

Dann habe ich begonnen den Schülern zuzuhören. Ich bin gestoßen auf familiäre Gewalt, auf Gewalt untereinander. Ich habe mit Tätern gesprochen, mit Opfern, war in Jugendpsychiatrien, in Jugendgefängnissen, habe dort Lesungen gemacht. So dass ich ganz nah dran war.

Und das Ergebnis der Recherche ist "Sklaven und Herren"?

Ja, ich habe insgesamt fünf Jugendkrimis geschrieben. Die Reihe heißt "Treffpunkt Tatort". Der zweite Band heißt "Sklaven und Herren". Mit Jugendkrimis meine ich nicht sanfte Krimis für junge Leute, sondern Krimis, in denen Jugendliche die Hauptfiguren sind. Sowohl Täter als auch Opfer.

Wie kommen Sie mit den Jugendlichen ins Gespräch?

Ich habe emotionalen Zugang zu den Jugendlichen, indem ich ihnen aus meinen Büchern vorlese. Ich erzähle auch von den Niederlagen in meinem Leben, was schief gegangen ist. Das öffnet sie emotional. Wenn ich auf Lesereise bin, bin ich oft eine ganze Woche in einer Stadt. Die Jugendlichen suchen häufig nach der Lesung den Kontakt zu mir.

Die Schüler kommen nach der Lesung zu Ihnen?

Ja, ich sage bei der Lesung in welchem Cafe ich hinterher anzutreffen bin. Ich merke ja was los ist, bei der Lesung. Ich lese zum Beispiel über elterliche Gewalt und ich merke, dass in der Ecke ein Junge ganz still wird. Man spürt das. Die anderen kommen fröhlich nach vorne und holen sich Autogramme und der eine wartet. Der geht als letzter und geht noch mal vorbei bei mir. Das sind sehr fragile Bande, die da geknüpft werden. Ich lasse sie einfach erzählen.

Was haben Sie erfahren?

Einige haben mir Filme auf ihren Handys gezeigt. Ich war schockiert. Andere heben das T-Shirt und zeigen mir ihre Striemen.

Die Worte "Sklave" und "Herr" werden tatsächlich von den Schülern benutzt?

Natürlich. "Pikkos" ist auch sehr beliebt. Die Begriffe sind nach Region etwas unterschiedlich.

Was ist denn ein Sklave in einem schulischen Kontext?

Ein Sklave ist jemand, der das tut, was der Andere ihm sagt und der keine Entscheidungsfreiheit hat. Die werden von den Lehrern oft als die auffälligen Schüler gesehen, die den Mist machen. In Wirklichkeit wurden die dazu aber gezwungen. Das fängt harmlos an. Die sagen: Wenn der Lehrer reinkommt, setzt du dich auf einen Luftballon, so dass er kaputt knallt. Das macht der Junge. Aber nicht, um den Lehrer zu ärgern. Sondern, weil die Stärkeren es von ihm verlangt haben. Für den Lehrer ist jetzt aber das Opfer der Täter. ER ist der Störenfried.

Das klingt aber doch recht harmlos ...

Ja, das ist aber nur in den ersten Jahren so. Das wird aber härter und härter. Bei manchen wird eine sadistische Ader geweckt. Das endet dann mit: T-Shirt hoch, bück dich. Und dann werden sie mit Gürtel verprügelt.

Die Schüler werden mit Gürteln verprügelt?

Aber, na sicher. Das habe ich gesehen. Der Sklave darf bei den Schlägen auch nicht laut schreien, denn sonst bekommt sein Herr ja Ärger.

Warum lassen sich die Schüler "versklaven"?

Die eigentlichen Sklaven entstehen in der vierten, fünften Klasse. Die sind der Grundschule entwurzelt und kommen in eine neue Schule. Da sind sie die Kleinsten, und die, die sich nicht auskennen. Und dann wird aussortiert. Die betroffenen Sklaven sind zwischen 10 und 11. Die sind schockiert von dem was passiert. Die denken, dass sie sich durch Unterwürfigkeit Freunde machen können. Dabei rasseln sie immer tiefer rein.

Ist das ein neues Phänomen?

Es gab schon immer schwarze Schafe in einer Schulklasse. Das hat jetzt nur eine andere Qualität. Meine Tochter arbeitet ehrenamtlich mit Strafgefangenen. Sie sagte zu mir, dass es auch im Gefängnis "Sklaven und Herren" gibt. Da heißen die Sklaven nur Pikkos. Und das zieht sich quer durch die Gesellschaft. Vielleicht sind die Schulen auch ein Spiegel der Gesellschaft. Die bringen es nur härter auf den Punkt.

Und wie verbreitet ist dieses Phänomen?

Ich war in Zürich an einer Schule. Ein Lehrer sagte mir nach der Lesung, dass es so etwas in Zürich nicht gäbe. Am nächsten Tag hat er sich aber bei mir entschuldigt, weil inzwischen in der Zeitung stand, dass an der Schule gegenüber vier Jungs ein Mädchen über längere Zeit sexuell missbraucht und dabei Filme gedreht haben. Und das Mädchen hat immer weiter mitgemacht, weil die eben diese Filme von ihr gemacht hatten.

Früher hat man jemanden zusammengeschlagen und das durfte keiner wissen. Man hat das verheimlicht. Heute filmen die das, geben damit an und erpressen den anderen. Der wird aber heutzutage nicht mehr nur zusammengeschlagen, sondern richtig erniedrigt. Damit der nicht will, dass dieser Film von ihm gezeigt wird oder im Internet landet. So hat der Täter gegen das Opfer etwas in der Hand. Das ist ganz perfide.

Glauben Sie, dass ihr Roman den Schülern helfen kann?

Der Roman wurde in vielen Schulen augenblicklich zur Klassenlektüre. In dem Moment, in dem solche geheimen Gewalt-Strukturen schriftlich niedergelegt werden, bekommen sie erst Realität. Wir leben in einer Gesellschaft, in der etwas, das noch nicht im Fernsehen war, nicht in einer Illustrierten stand und nicht in Buchform erhältlich ist, gar nicht da ist. Durch das Abbilden wird es diskutabel.

Und das hilft den Schülern?

Die Lehrer erzählen, für die meisten Schüler ist das Buch eine spannende Lektüre. Die diskutieren es, sind empört. Andere sind aber tief betroffen. Die Lehrer merken das und können so auf die Schüler eingehen. Solche Krimis sind ja auch Handlungsanweisungen, um Hilfe zu bekommen. Im Gegensatz zur Fantasy-Literatur, die von Jugendlichen sehr gern gelesen wird. Wenn die Helden im Fantasyroman ein Problem haben, dann kommt irgendwann der Drache und hilft ihnen. Im Leben stehen sie aber mit ihren Problemen da und der Scheiß-Drache kommt einfach nicht.

Das ist in Krimis anders ...

Ja, in einem Krimi wird immer erzählt wie man handeln kann. Ein Krimi strebt grundsätzlich danach, ein Gleichgewicht wieder herzustellen, den Täter zu fassen.

Welche Hilfestellung haben Sie in Ihrer Geschichte angeboten?

In dem Moment, in dem die Schüler anfangen, über ihre Probleme zu reden, einen Vertrauenslehrer mit einzubeziehen, gehen Sie das Problem an. Die Macht des Unterdrückers ist augenblicklich gebrochen.

Züchtet das Internet solche Perversionen?

Früher, als ich Jugendlicher war, war es schwierig, sich Pornos zu beschaffen. Heute ist schwierig für Jugendliche, sich davon fern zu halten. Die Jugendlichen bekommen die gleichen Spam-Mails wie wir Erwachsenen. Die klicken das an, und es geht eine Seite nach der anderen los. Auch ganz harte Sachen. Da funktioniert Sex auch in einem hohen Maße über Erniedrigung. Das hat eine Wirkung. Da wird etwas geweckt.

Interview: Frank Aures

Bilder Sklaven und Herren

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