Sie hatte mit allem gerechnet. Nur nicht damit, dass sie an diesem Abend ihre zweite Lola bekäme. Sibel Kekilli, beim Deutschen Filmpreis 2010 als beste Hauptdarstellerin für das Kinodrama "Die Fremde" nominiert, stand überrumpelt am Mikrofon und sagte atemlos: "Ich, weiblich, von Beruf Schauspielerin, Spielalter von 23 bis 30, bin an guten Stoffen interessiert. Lasst mich nicht wieder vier bis sechs Jahre warten. Ich will arbeiten!"

Ein seltsamer Auftritt, werden sich die Fernsehzuschauer gedacht haben. Hatte Kekilli doch seit ihrem Durchbruch mit "Gegen die Wand" (2004) auch internationale Auszeichnungen gesammelt. Die Kollegen im Saal aber wussten sofort, wovon Kekilli sprach. Denn selbst Filmpreise und Berühmtheit schützen nicht vor Arbeitslosigkeit und Rollenflaute.

Nur 2 Prozent können von der Arbeit leben

Von den rund 5000 Schauspielern, die hierzulande für Film und Fernsehen arbeiten, "können etwa zwei Prozent von ihrer Arbeit leben, einer kleiner Teil davon ausgezeichnet", sagt Daniel Philippen, Agent in der ZAV-Künstlervermittlung, die zur Agentur für Arbeit gehört. Seit 2008 haben sich die Einkünfte halbiert, die Drehzeiten werden kürzer, die Gagen geringer. "Bei den Nebenrollen ist die Ansage: Es gibt 800 Euro pro Tag. Entweder macht man's dafür, oder man lässt es. Dann greift ein anderer zu, denn die Tendenz geht zu 500 Euro", so Philippen.

500 Euro Tageslohn klingen üppig, sind aber zum Leben zu wenig, wenn sie nur an ein paar Tagen pro Jahr reinkommen. Sogar die "Big Names" wie Maria Furtwängler und Veronica Ferres müssen inzwischen Zugeständnisse machen. Hans-Werner Meyer, Schauspieler und Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler BFFS, sagt: "Ich finde das ausgesprochen beunruhigend. Wenn es da oben wankt, befinden wir uns unten schon im freien Fall."

Monatlich rund 1000 Euro

Dass die Zeiten schlechter werden, zeigt auch eine Studie der Uni Münster, die im Auftrag des BFFS bundesweit 710 Schauspielerinnen und Schauspieler zu ihren Arbeits- und Lebensumständen befragt hat. Die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild. Gut zwei Drittel der Befragten (68,1 Prozent) haben im vergangenen Jahr weniger als 30 240 Euro brutto verdient. Nach Abzug von Agenturprovision (üblich sind 10 bis 15 Prozent), Steuer und Sozialabgaben bleiben monatlich rund 1000 Euro.
Davon wären eigentlich noch die Beiträge für die Krankenversicherung abzuziehen. "Doch viele unserer Kollegen können sich das schlicht nicht leisten", sagt Julia Beerhold vom BFFS, "deshalb bleiben sie notgedrungen unversichert." Das größere Problem allerdings ist, dass nur die wenigsten Schauspieler Anspruch auf Arbeitslosengeld I geltend machen können, denn das ist für kurzfristig Beschäftigte an drei Bedingungen geknüpft.

Erstens: Man muss in den letzten zwei Jahren mindestens 180 Tage gearbeitet haben. Da ein 90-Minüter in rund 23 Tagen abgedreht wird, müsste ein Schauspieler also in mindestens neun Filmen eine Hauptrolle gespielt haben. Doch dieses Pensum schaffen allenfalls Vieldreher wie Christine Neubauer oder die Hauptdarsteller einer täglichen Serie.

Zweitens: Die Engagements müssen überwiegend kürzer als sechs Wochen gewesen sein. Damit fallen alle Schauspieler raus, die auch am Theater arbeiten, denn ein Bühnenvertrag dauert im Schnitt drei bis sechs Monate. Drittens: Man darf in den letzten zwölf Monaten nicht mehr als die besagten 30 240 Euro brutto verdient haben.

Der Weg führt direkt zu Hartz IV

Ergebnis der Münsteraner Studie: Lediglich auf 4,6 Prozent der Befragten treffen alle drei Kriterien zu, nur 33 von 710 Schauspielern hätten überhaupt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, obwohl ihnen, wie jedem anderen Arbeitnehmer, pro Drehtag Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgezogen werden.

Erfüllt ein Schauspieler die Kriterien, erlebt er auf dem Arbeitsamt nicht selten ein Spießrutenlaufen. Als Ulrike Folkerts vor Jahren zugab, sich arbeitslos zu melden, um ihre Rentenanwartschaft zu sichern, "ist sie in der Presse behandelt worden wie ein Steuerflüchtling", erinnert sich Heinrich Schafmeister, Schatzmeister des BFFS. "Viele Kollegen hat dies so verschreckt, dass sie ihre Ansprüche nicht geltend machen. So produzieren wir letztlich Hartz-IVEmpfänger, von denen es heute schon mehr prominente gibt, als viele zugeben würden."

Um die Situation zu entschärfen, muss schnell etwas passieren. Politik, Produzenten und BFFS führen Gespräche. "Wenn wir allerdings nicht bald zu einer nennenswerten Verbesserung kommen, werden wir tun müssen, was Gewerkschaften eben tun, um ihren Mitgliedern bessere Bedingungen zu verschaffen", sagt Schafmeister. Aussprechen will er es nicht, aber die Zeichen stehen möglicherweise bald auf Streik.

Susanne Sturm