Es gibt zwei Typen von guten Schauspielern. Die einen prägen jede Rolle durch ihre Persönlichkeit so stark, dass man sie in jedem Charakter erkennt. Ein Film mit Sandra Bullock ist ein Sandra-Bullock-Film. Die anderen nehmen sich zurück und stellen den Charakter, den sie spielen, in den Vordergrund. Meryl Streep ist so eine - und Julia Koschitz gehört ebenfalls in diese Kategorie.

Die in Brüssel geborene Österreicherin taucht tief in die Figuren ein. Sie ist eine Verwandlungskünstlerin, die sich freut, wenn man sie auf dem Bildschirm nicht sofort erkennt. Das Komödiantische geht ihr leicht von der Hand, zum Beispiel in der RTL-Serie "Doctor's Diary". Aber auch für TV-Filme, in denen es um Leben und Tod geht, steht ihr ein Repertoire an Mimik und Gesten zur Verfügung, das sie klug dosiert einsetzt. Die Minimalistin mit den auffälligen Mandelaugen weiß genau, was sie tut.
Preußischer als die Deutschen

Julia Koschitz kam auf Umwegen zu ihrem Beruf. Ursprünglich wollte sie Tänzerin werden. Ein Mädchentraum, der wie eine Seifenblase platzte, als sie mit elf Jahren an einem Konservatorium in Wien vortanzte. "Die anderen waren einfach besser", erinnert sie sich und lächelt. Es ist dieses Augenmaß für das, was sie kann und was noch besser werden muss, das auch ihre Arbeit als Schauspielerin kennzeichnet.

Wenn es um ihren Beruf geht, ist die Österreicherin preußischer als die meisten Deutschen. Sie bereitet sich intensiv auf ihre Rollen vor. Das Prinzip des lebenslangen Lernens ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Vielleicht auch deshalb, weil ihr nichts geschenkt wurde. Nach der Schauspielausbildung am Franz-Schubert-Konservatorium ging's erst mal in die Provinz. Zwei Jahre Theater in Coburg, dann das Gleiche in Regensburg.Eine harte Schule. Als Julia Koschitz ihre Lektion gelernt hatte, schickte die damals 27-Jährige dem Filmregisseur Franz Xaver Bogner ein Demoband.

Der Grimme-Preisträger erkannte sofort das Talent der jungen Frau. Obwohl noch ohne Fernseherfahrung, erhielt sie eine Rolle in Bogners hochgelobter Serie "München 7". Woher ihre Begabung kommt, weiß die Schauspielerin selbst nicht so genau. Ihre Eltern haben jedenfalls nichts mit Theater und Film zu tun. Nur eine Großmutter gab es, die in Operetten auftrat, die sang, spielte und tanzte. Ihre Enkelin fokussiert sich lieber auf die Schauspielerei, nimmt auch heute noch Unterricht, um ihr Potenzial auszuschöpfen.
Ehrgeiz, der sich auszahlt. Regisseur Diethard Küster jedenfalls ist des Lobes voll. "Julia Koschitz wird sehr unterschätzt, weil sie nicht so eine gelackte Schönheit ist", sagt der Filmemacher. In seinem aktuellen Drama "Der Einsturz - Die Wahrheit ist tödlich" spielt sie eine Berliner Staatsanwältin, die in ihre Heimat zurückkehrt, als ihr Vater beschuldigt wird, für den Einsturz einer Sporthalle verantwortlich zu sein.

Über ihr Privatleben redet die "glücklich Liierte" wenig. Dafür umso mehr über ihre Leidenschaft fürs Kino. Zum Beispiel über die Genialität der
Coen-Brüder und ihren neuen Film "A Serious Man". Auch sie selbst ist demnächst auf der Leinwand zu sehen, in "Der letzte schöne Herbsttag" von Regisseur Ralf Westhoff, mit dem sie schon bei "Shoppen" zusammenarbeitete.

Und in der nächsten "Doctor's Diary"-Staffel mischt sie natürlich auch wieder mit. Wer weiß, vielleicht wartet auf die unterschätzte Minimalistin bald maximaler Erfolg. Zu gönnen wär's ihr allemal.
Rainer Unruh

Der Einsturz - Die Wahrheit ist tödlich
DI 16.2. Sat.1 20.15 Uhr
DAS WAHRE UNGLÜCK
SPORTHALLE STÜRZT EIN: 15 MENSCHEN TOT

Für das Unglück im Film gibt es ein reales Vorbild: Am 2.1.2006 stürzte in Bad Reichenhall (Oberbayern) das Dach der Eissporthalle ein. 15 Menschen starben, darunter 12 Kinder und Jugendliche, 34 wurden verletzt.

■ Die Untersuchung der Holzdachkonstruktion ergab, dass ein Leim verwendet wurde, der bei Feuchtigkeit nicht mehr richtig klebt.

■ Am 28.1.2008 begann vor dem Landgericht Traunstein der Prozess gegen den Architekten, den Statiker und den Bauingenieur wegen fahrlässiger Tötung. Verurteilt wurde am 18.11.2008 nur der für die Dachkonstruktion verantwortliche Bauingenieur zu 18 Monaten auf Bewährung. Der Architekt und der Statiker wurden freigesprochen.

■ Am 12.1.2010 hob der BGH das Urteil auf und annullierte den Freispruch für den Statiker wegen formaler Mängel. Der Fall wird neu verhandelt.