Zusammen haben die beiden mehr große Endspiele erreicht als jeder Fußballspieler: Tom Bartels (46) saß für die ARD unter anderem beim Finale der EURO 2008 zwischen Deutschland und Spanien am Mikro. Sein ZDF-Kollege Béla Réthy (55) kommentierte das letzte deutsche WM-Finale 2002 und den letzten Titelgewinn bei der EM 1996 in England.

Mit TV SPIELFILM unterhielten sich die beiden Wortdribbler über die Favoritenrolle Deutschlands, die besondere Herausforderung, ein Finale zu kommentieren - und gnaden­loses Reporter-Bashing im Internet.

TV SPIELFILM: Fußballer, heißt es immer, leben für die großen Momente wie etwa ein EM-Finale - ist das auf Kommentatoren übertragbar?

TOM BARTELS Das ist mir deutlich zu hoch gehängt. Im beruflichen Leben, keine Frage, ist so ein Finale etwas Besonderes. Ich habe mir aber nie zum Ziel gesetzt, als Kommentator irgendwann ein solches Endspiel zu "erreichen".
BÉLA RÉTHY Arbeitstechnisch ist auch ein Finale nur ein Fußballspiel wie Greuther Fürth gegen Paderborn in der ersten Pokalrunde. Aber es ist schon ein anderes Gefühl vor so einem Endspiel, wenn man morgens aufsteht und sich rasiert, eventuell (lacht und greift sich ans unrasierte Kinn). Als Fußballer willst Du Nationalspieler werden - und als Kommentator willst du natürlich auch über das regionale Programm hinaus tätig sein.

Würden Sie darauf wetten, dass Deutschland das EM-Finale erreicht?

BÉLA RÉTHY Ich neige nicht zum Zocken, aber die Chancen waren noch nie so hoch, dass Deutschland den Titel holt. Nur ist die Leistungsdichte bei einer EM viel größer ist als bei einer WM. Dass auch Mannschaften wie Griechenland oder Dänemark bereits den Titel holen konnten, zeigt ja, wie riskant eine Wette wäre.

TOM BARTELS Würden wir jetzt über Basketball sprechen, würde man wahrscheinlich viel leichtfertiger ein Vermögen auf Spanien setzen. Beim Fußball auf höchstem Niveau funktioniert das nicht. Da kann auch eine Mannschaft gewinnen kann, die im Spiel 90 Minuten unterlegen ist. Man denke nur an Chelseas Erfolg gegen Barcelona in der Champions League.

BÉLA RÉTHY Tom und ich können natürlich eine kleine private Wette abschließen - um eine Flasche ukrainischen Riesling oder so.

Wer wettet denn auf den EM-Titel für Deutschland - und wer auf ein Vorrunden-Aus?

BÉLA RÉTHY Ich glaube schon, dass Deutschland sehr weit kommen wird. Minimum Halbfinale.

TOM BARTELS Glaube ich auch.

BÉLA RÉTHY Im Finale würde ich mir aber ausnahmsweise nicht das Spiel Deutschland gegen Spanien wünschen. Man kann sich auch ein bisschen satt sehen an diesem Tiki-Taka der Spanier.

Ihr Traumfinale?

BÉLA RÉTHY Deutschland gegen Niederlande - ein Revival des WM-Endspiels von 1974, als 22 Langhaarige in München ein echtes Spektakel abgeliefert haben.

TOM BARTELS Auf der anderen Seite spricht wieder einiges für die Spanier. Wenn fünf Mannschaften aus Spanien im Halbfinale der europäischen Vereinswettbewerbe stehen, weiß man, dass die nicht so viel falsch gemacht haben in den letzten Jahren.

Fußballer setzen auf Rituale, um mit einem guten Gefühl ins Spiel zu gehen - Sie auch?

BÉLA RÉTHY Mein einziges Ritual ist es, am Tag des Spiels mal abzuschalten und bewusst etwas ganz anderes zu machen. Ein Film gucken, ein Buch lesen, schlafen.

TOM BARTELS Früher habe ich dazu geneigt, bis zur Abfahrt ins Stadion Infos fürs Spiel zu lesen. Macht überhaupt keinen Sinn.

BÉLA RÉTHY Man macht sich nur zu.

TOM BARTELS Genau. Die meisten Infos dienen sowieso nur der eigenen Sicherheit, sind nicht mehr als ein \"Backup\".

BÉLA RÉTHY Als ich 1996 mein erstes EM-Endspiel kommentiert habe, ist mir vorher der Laptop komplett abgeschmiert. Alles was ich gesammelt hatte, alles, was ich mir ausgedacht hatte: weg. Natürlich geht dir da die Düse. Ich habe die Infos dann mit meinem Assistenten auf der Rückseite von einem Pizzadeckel geschrieben. Mein erstes Finale habe ich vom Pizzadeckel kommentiert! Eine Erfahrung, die einen für spätere Aufgaben etwas lockerer macht.

TOM BARTELS Man könnte den Job gar nicht machen, wenn man bei einem Spiel nicht auch ohne jede Unterlage klar käme.

Ihnen stehen heute viele statistische Daten über jeden Spieler zur Verfügung. Wie wichtig ist das für Ihre Arbeit?

BÉLA RÉTHY Die Frage ist, wie man mit den Daten umgeht. Also, ich glaube, die große Kunst besteht darin, diese Daten wegzulassen. Nur ein, zwei ganz signifikante Dinge lassen sich vielleicht mal unterbringen.

TOM BARTELS Für den eigenen Hinterkopf werden da schon oft ganz interessante Fakten geliefert. Aber eine Reportage ist mit Statistiken auch schnell komplett überfrachtet.

BÉLA RÉTHY Zumal sie schon mal in die Irre führen. Ich kann mich an die statistische Auswertung eines Bundesligaspiels zwischen Hertha und Bayern erinnern. Als zweikampfstärkster Spieler wurde ein Berliner Verteidiger benannt. Der hatte aber von den vier Gegentoren drei verschuldet. So gesehen der Matchverlierer.

TOM BARTELS Oder nehmen wir die Torschussvorlagen. Statistisch festgehalten werden natürlich auch Pässe, nach denen jemand aus 30 Metern draufhuft.

Was sind die wichtigsten Tugenden eines Kommentators?

TOM BARTELS Was sicher wichtig ist, ist die Stimme. Auch die Analyse muss natürlich stimmen. Man sollte die kommentierte Sportart also verstehen - auch in ihren Feinheiten. Und sicher ist es auch wichtig, zur richtigen Zeit schweigen zu können.

BÉLA RÉTHY Und man sollte sich nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern das Ereignis begleiten. Wie ein guter Schiedsrichter - der fällt auch nicht groß auf, sondern macht seinen Job.

TOM BARTELS Schon eine immer gleiche Begrüßung oder Verabschiedung würde dokumentieren: Hier geht es um mich. Geht es aber nicht.

Wann hat Sie zum letzten Mal eine Szene auf dem Rasen zum sprachlos gemacht?

TOM BARTELS Wenn ich sehe, wie da am letzten Spieltag der abgelaufenen Saison in Köln schwarze Wolken im Stadion aufsteigen, dann bin ich auf jeden Fall als Zuschauer sprachlos. Béla, Du warst da...

BÉLA RÉTHY Ich war da, aber nicht in der Live-Situation, sondern für einen \"Sportstudio\"-Beitrag. Live kann man sich auf so was nicht vorbereiten. Man muss aber aufpassen, dass man diese Menschen nicht als Idioten oder Schwachköpfe verunglimpft. Manchmal geht die Emotion einfach mit einem durch. Das ist nicht in Ordnung, das ist auch strafbar. Aber man darf diese Menschen nicht beleidigen.

TOM BARTELS Richtig, was Du sagst: Darauf kann man sich nicht vorbereiten.

BÉLA RÉTHY Sollte man auch nicht.

TOM BARTELS Wenn ein Flitzer aufs Spielfeld läuft und jemand dazu zwei, drei Sätze sagt, die er offensichtlich schon vorher aufgeschrieben hat, finde ich das lächerlich.

Da die UEFA die EURO 2012 selbst produziert, werden Flitzer allerdings gar nicht mehr gezeigt.

BÉLA RÉTHY Diese Form der Zensur gibrt es in der Tat. Ich habe bei der WM in Südafrika Spiele gesehen, bei denen es Rudelbildungen auf dem Platz gab - und die Kamera fuhr hoch in die Vogelperspektive und hat sich von diesem Ereignis entfernt, obwohl es eigentlich zum Spiel dazugehörte. Finde ich unmöglich! Aber es soll der reine Sport, die reine Ware präsentiert werden und nicht die Realität.

TOM BARTELS Sehe ich genauso. Wenn irgendwo Pyrotechnik gezündet wird, kannst du davon ausgehen, dass die Bilder in der Weltregie nicht angeboten werden.

Ist diese Produktkontrolle ein Trend? Die Bundesliga wird ja auch über ein Tochterunternehmen produziert.

BÉLA RÉTHY Es ist schon ein bisschen Keimfreiheit gewünscht, ja. Wobei man das relativieren muss: Möglicher Weise machen Leute auch Randale, weil sie damit ins Fernsehen kommen möchten. Vielleicht sollte man ihnen diesen Gefallen nicht tun. Es ist eine schwierige Gemengelage. Aber ein kurzes Dokument des Ereignisses ist glaube ich notwendig.

Wie gehen Sie mit Kritik an Ihrer Arbeit um - besonders das Internet ist voll davon?

BÉLA RÉTHY Bashing!

TOM BARTELS Ich weiß ziemlich gut, was da über mich geschrieben wird. Das ist nicht angenehm, teilweise auch verletzend...

BÉLA RÉTHY Und fast ausschließlich anonym.Klammer auf: widerlich! Klammer zu.

TOM BARTELS Als Fußballreporter hat man da, glaube ich, einen Erfahrungsvorsprung gegenüber Leuten, denen sich das Internet in dieser Form über soziale Netzwerke erst jetzt richtig erschließt. Dass bestimmte Gruppen da so ein Bashing fahren, kennen wir seit zehn, fünfzehn Jahren.

Fühlen Sie sich manchmal als Blitzableiter für schlechte Leistungen auf dem Rasen?

BÉLA RÉTHY Natürlich.

TOM BARTELS Die Kritik am Kommentator ist auf jeden Fall wesentlich heftiger, wenn Deutschland verloren hat.

BÉLA RÉTHY Das war übrigens immer so. Rolf Kramer, bei dem ich Assistent war, hat schon in den 70ern gesagt: Wenn Deutschland gut spielt, ist der Reporter super, wenn nicht, ist er an allem Schuld.

TOM BARTELS Wir drücken dem deutschen Team also schon aus Selbstschutz die Daumen.

Frank Steinberg